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Das National Youth Orchestra of the USA im Berliner Konzerthaus.

© Kai Bienert

Abschluss von Young Euro Classic: Hier ist Ruhestörung erwünscht

Der 20. „Young Euro Classic“-Jahrgang ist vorbei. Zum Abschluss gab's Transatlantisches mit dem National Youth Orchestra of the USA.

Die Letzten sind besonders jung – und besonders energisch. Beim Abschlusskonzert des 20. „Young Euro Classic“-Festivals sitzen 16- bis 19-Jährige auf der Bühne, rund 100 Amerikanerinnen und Amerikaner aus zwei Dutzend US-Staaten. Das National Youth Orchestra of the USA bildet gewissermaßen das transatlantische Pendant zum European Union Youth Orchestra. Und es schlägt auch gleich die Brücke über den Ozean, mit einem Fanal. Wilde Streicherfiguren zucken nach oben und münden auf der Stelle in einen Fortissimo-Aufschrei des Blechs. So beginnt Tyson J.Davis’ kurzes Stück „Delicate Tension“, ein Auftragswerk der US-Botschaft, inspiriert vom 30. Jahrestag des Mauerfalls. Delikat? Bei der Uraufführung erweist es sich vor allem als spannungsgeladen. Tutti-Tremoli wechseln mit Blechbläser-Glissandi und heftigen Akkordballungen, die sich aus diffusem Gewusel und handfestem Chaos heraus formieren. In Erinnerung an die Welten- und Zeitenwende von 1989 ist solche Umsturzmusik durchaus angemessen.

Delikatesse und Spannung, das passt zum Abschluss des YEC-Jubiläumsjahrgangs. Zu den Höhepunkten zählte Beethovens Neunte samt Open-Air-Übertragung auf den Gendarmenmarkt und Mitsing-Ode ebenso wie der Auftritt des eigens gegründeten deutsch-griechischen Festivalorchesters oder die Uraufführung des jetzt mit dem Komponistenpreis ausgezeichneten Stücks „Alcance / Reach“ Ende Juli. Das Werk des Portugiesen João Godinho, so Jurysprecher Helge Grünewald am Dienstag, überzeugte die Jury, weil es auf spielerische Weise mit musikalischer Inklusion experimentiert. Musiker mit Behinderung spielen als integrierte Schlagzeugformation gemeinsam mit Nichtbehinderten, statt Noten lesen sie eine Soundpartitur.

Spitzenauslastung von 96 Prozent

Die Bilanz von YEC im 20. Jahr: 27 000 Zuschauer in 19 Konzerten, Rekord! Konzerthaus-Intendant Sebastian Nordmann, der Pate des Abends, staunt über die Spitzenauslastung von 96 Prozent. Für den Rest der Saison können die Klassiktempel nur davon lernen. Und wieder herrscht Hochstimmung im Saal. Bei der nicht von Bläsern, sondern von den Streichern gespielten Festivalhymne Ivan Fischers genauso wie bei Berlioz’ Sommer- und Liebesliederzyklus „Nuits d’été“, dem Magdalena Kožená mit verhaltener Glut und angemessener Theatralik begegnet. Auch wenn es dem kammermusikalisch besetzten Streicher- und Bläserensemble an Süffigkeit, Expressivität und einer gewissen Schwüle mangelt, passt der gedämpfte Klang doch gut zu Koženás kultiviertem Mezzosopran. Selbstgespräche, stiller Schmerz, Sehnsucht, Kontemplation: Die jungen Musiker lassen Einfühlsamkeit walten, betten den Gesang ein, wissen um die Zerbrechlichkeit von Gefühlen.

Dass Sergej Prokofjews 5. Symphonie nach der Pause dann umso mehr Ekstase freisetzt, ist nicht zuletzt Antonio Pappano zu verdanken. Man schaut diesem überaus wachen, reaktionsschnellen, temperamentvollen Dirigenten gerne zu, wenn er mit weit ausholenden Gesten und dennoch allzeit differenziertem Schlag den immensen Orchesterapparat zusammenhält. In den aufwühlenden, wüsten Passagen animiert er zur Präzision, gestattet den vorzüglichen Holzbläsern aber auch lyrische Freiheiten. Ein sympathischer Dompteur. Die aufgewühlte Kakofonie im Kopfsatz, der Wirbelwind im Scherzo, die alles verschlingende Zentrifuge im finalen Allegro giocoso – auch die Moskauer Uraufführung datierte zu einer Zeitenwende, im Kriegsjanuar 1945.

Zu Beginn hatte Sebastian Nordmann den berühmten Satz von Leonard Bernstein zitiert: „Let’s make music as friends.“ Die Freundschaft des Konzerthauses mit dem Festival möge noch viele Jahre andauern, fügte er hinzu. Man kehrt aus dem Urlaub zurück und stellt fest, die Gäste, denen man die eigenen vier Wände überlassen hatte, haben dort rauschende Feste gefeiert. Ruhestörung kann etwas Großartiges sein.

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