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Die Aeronauten mit Sänger Olifr M._Guz (links).

© Peter Rausch

Abschiedsalbum der Aeronauten: Ich möchte ein Gletscher sein

Im Januar starb der Sänger Olifr M. Guz. Nun verabschiedet sich seine Band, die Aeronauten, mit dem Album "Neun Extraleben" von ihm.

1995 waren die Aeronauten dann plötzlich auch in Deutschland – nein, keine große Band. Aber wohl eine, die mit ihrem neuen Plattenvertrag dort angedockt hatte, wo gedacht wurde, oft auch um die Ecke, wo debattiert wurde und wo man die Sprachräume mit Sätzen austapezierte, die bisweilen der Interpretation bedurften. Die Schweizer Gruppe hatte für ihr Album „Gegen Alles“ bei L’Age D’Or unterschrieben, Heimstätte von Tocotronic, Die Regierung und Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs. Das war durchaus erstaunlich, denn vom smarten, aber durchaus fordernden Sound-Kosmos des Hamburger Labels war die Gruppe doch ein Stück weit entfernt.

Songs aus dem Café

„Alles, was ich will, ist, nichts mit euch zu tun haben“, sangen Tocotronic. Die Aeronauten sangen: „Ich möchte lieber eine Freundin“. Die Sterne sangen „Ich lief durch die Phasen, war im Apparat“. „Ich saß tagelang in Cafés herum und trank Kaffee, bis es nicht mehr ging“, sangen die Aeronauten. Dazu rumpelten die Gitarren und schmetterten die Bläser in leichter Windschiefe. Die Aeronauten standen mit mindestens genauso vielen Beinen in dem oft geringgeschätzten, jugendzentrumssozialisierten Deutsch- und Skapunk wie in der sogenannten Hamburger Schule.

Warten auf das Spenderherz

Jetzt ist ein neues Album der Aeronauten erschienen. Es trägt den Titel „Neun Extraleben“ und ist, was die Umstände angeht, eine sehr traurige Platte, denn es wird die letzte der Aeronauten sein, zumindest die letzte mit ihrem Sänger. Olifr M. Guz starb am 19. Januar in einem Zürcher Krankenhaus. Dort hatte er vier Monate auf ein Spenderherz gewartet. Dieser Krankenhausaufenthalt riss die Band aus fruchtbaren Aufnahmesessions, deren Ergebnisse wir auf dem Album hören.

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Ein paar Leerstellen finden sich da, an einigen Momenten scheinen die Songs ins Dunkle zu kippen, aber das ist immer nur dann der Fall, wenn Guz, der mit bürgerlichem Namen Oliver Maurmann hieß, nicht am Mikrofon steht, etwa in „Gletscher sterben leise“, einem leisen Instrumental, das von einem Klavier geprägt wird. Das schickt ein paar Töne in den Raum, die von einem Rauschen begleitet werden, nach einer guten Minute gewinnt das Stück an Höhe wie ein Wanderer beim Erklimmen eines Berges. Schließlich legt es sich schlafen.

Rat der Therapeutin

Eigentlich wird die Platte aber von jenem deftigen Wortwitz geleitet, für den man die Aeronauten 25 Jahre lang so sehr liebte: „Die Therapeutin riet mir, etwas zu tun, was mir wichtig ist / Seitdem schreib’ ich Hatemails an Arschlöcher, doch ich erzähl’s ihr nicht“, singt Maurmann, später wiederholt er mantrahaft: „Mir geht’s gut. Es geht mir gut.“

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Oliver Maurmann wurde 1967 auf der deutschen Seite des Bodensees geboren, wuchs aber in der Schweiz auf. Seine ersten Songs veröffentlichte er Mitte der achtziger Jahre auf Kassetten, man kann einige davon auf der 1997 erschienenen Anthologie „In Guz We Trust“ hören. Alles rumpelte und bebte in seiner Musik, dass es ein Vergnügen war. Manchmal fühlt man sich an Dan Treacy und seine Television Personalities erinnert.

Weisheit eines Genforschers

Der Unterschied: In den Texten von Guz war immer mehr Fun drin, war der Spott zärtlicher. Guz sang über Naturwissenschaftler, aber dann natürlich in erster Linie über sich („Ich krieg’ mein Lebtag keine Freundin, eben weil ich ein Genforscher bin“). Er sang aber auch über all diejenigen, die im weitesten Sinne seine Generation sind. Die milde Linken, die Altbaubewohner, die nach der Zigarettenmarke benannten „Parisienne People“.

Vom Radar verschwunden

Ein bisschen verlor man Guz und die Aeronauten in den letzten Jahren aus den Augen. Das ist zu bedauern, wie so oft stellte man das aber erst fest, als Maurmann schon tot war. Dabei erschienen einige Alben, die zwar nicht die Wucht des Frühwerks besaßen, aber jedes Mal die zwei, drei Songs, an denen man als Hörer dann doch hängen blieb. „Ottos kleine Hardcore-Band fickt noch immer das System“, hieß es auf dem letzten Album „Heinz“ (2015). Und auf „Too Big To Fail“ (2012) wird zu süßesten Shalala-Chören über die Vergangenheit gesungen: „Früher war ich einfach zu begeistern. Heute ist alles dasselbe.“

Gesunde Renitenz

„Du sagst, ich will immer nur dagegen sein. Du sagst, das sei kindisch. Doch ich sage Nein“, heißt es weiter im Song, der „Enten“ heißt. Diese Zeilen erklären ziemlich gut, warum die Aeronauten eine so wichtige Band waren. Es ging ihnen immer um eine gesunde Renitenz. Die Aeronauten verteilten Watschen, die Hälfte davon schlugen sie sich aber lustvoll selbst auf die Wangen. Es ist traurig, dass das nun alles vorbei sein soll. Es ist schön, dass es noch einmal da ist, wenigstens 13 Songs lang. Man hätte Guz weitere „Neun Extraleben“ gewünscht, unbedingt („Neun Extraleben“ ist bei Tapete Records erschienen).

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