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Politische Verwerfungen. An dem chinesischen Maler Yongbo Zhao, hier das Ölgemälde „Die Korruption gedeiht überall II“ von 2015, schätzt Kurator Christian Melzer seinen abgründigen Humor. „Der Mann hat ein Lachen, einfach umwerfend.“

© Yongbo Zhao

Abschied von der Zitadelle Spandau: Bastion für die Kunst

In der Übersichtsausstellung „Schönheit und Abgrund“ zeigt Christian Melzer, Kurator der Zitadelle Spandau, noch einmal alle seine Lieblinge.

Wer hat Angst vorm schwarzen Hund? Niemand. Und wenn er kommt? Dann laufen wir! Diese Abwandlung des eigentlich dem „schwarzen Mann“ gewidmeten Kinderspiels, fällt einem als Erstes zu Peter Herrmanns comichaft verdichtetem Gemälde ein. Den Titel „Wer hat Angst vorm schwarzen Hund?“ hat er praktischerweise in blauen Lettern auf seine an eine kauzige Kindermalerei erinnernde Variation des Themas gepinselt. So wie auch die keck aus dem Zentrum eines im unteren Bilddrittel gemalten Pflasterkreises blickende Promenadenmischung. Dazu einen schwarz gekleideten Finsterling mit Schiebermütze und merkwürdig dekonstruiertem Gesicht, dessen Augen zu Schlitzen verengt sind. Die Arme der verdächtigen Gestalt wirken wie von einer unbekannte Last beschwert. In diesem abgründig-witzigen Szenario gibt es nur einen Boss – und das ist Bello.

Herrmann und sein langjähriger Atelierpartner, der Bildhauer Hans Scheib, sind nur zwei der Hausheiligen von Christian Melzer, denen der Kurator der Zitadelle Spandau mit seiner Abschiedsausstellung „Schönheit und Abgrund“ huldigt. Melzer, der demnächst 65 wird, geht im Februar in Rente. Seit 1993 hat er mehr als 150 Ausstellungen in der Zitadelle veranstaltet. Und das meistens im Ein-Mann-Betrieb. Im Klartext heißt das: Christian Melzer ist von der Finanzierung über Konzeption und Bilderausleihe bis zur Künstlerbetreuung, dem Hängen und Ausleuchten, ja selbst den Drucksachen und der Öffentlichkeitsarbeit für alles zuständig. Nur beim Aufhängen der Bilder fasst manchmal ein Helfer mit an. Das ist ein bodenständiges Kuratorenprofil, das sich heute eher selten finden lässt. „Ich wollte halt mit wenig Geld etwas Gutes machen“, erläutert das Mädchen für alles in Gestalt einen zierlichen Mannes beim Ausstellungsrundgang.

Wobei Melzers größtes Pfund nicht das Talent für Elektrik, sondern die Begeisterung für Kunst ist. Mit vielen Malerhelden der Achtziger und Neunziger, von denen einige inzwischen verstorben sind, hat er sich über die Jahre befreundet. Johannes Grützke, Horst Janssen, Matthias Koeppel, Sooki – sie alle sind mit meist großformatigen Gemälden und Zeichnungen vertreten. 80 sind es insgesamt. Darunter ist auch Melzers besonderer Liebling, der seit 1991 in München lebende Chinese Yongbo Zhao. Dessen rabaukige, karikaturenhafte Öl-Allegorien sind sichtlich von Hieronymus Boschs bizarren Renaissance-Bilderrätseln inspiriert. Mit Titeln wie „Die Korruption gedeiht überall“, „Mutter Erde – ausgesaugt“ oder „Am Arsch der Geschichte“ setzt er politische, gesellschaftliche und religiöse Verwerfungen ins Bild. Die gefallen Christian Melzer mindestens so sehr wie ihr Schöpfer. „Der hat ein Lachen der Mann, einfach umwerfend.“

Spandauer Urgestein. Christian Melzer hat seit 1993 über 150 Ausstellungen in der Zitadelle organisiert.
Spandauer Urgestein. Christian Melzer hat seit 1993 über 150 Ausstellungen in der Zitadelle organisiert.

© privat

Seiner in vorherigen Ausstellungen vielfach gefrönten Lust am Makabren, Hintersinnigen und Satirischen stellt Melzer in den historischen Ausstellungsräumen der Bastion Kronprinz einen anderen Schwerpunkt gegenüber – die Maler der zwanziger Jahre und der sogenannten „verschollenen Generation“. Da waltet dann mit dem melancholischen Expressionisten Paul Kother, dem die Zitadelle demnächst eine eigene umfangreiche Retrospektive widmet, mit Hans-Joachim Staudes Venedig-Pastellen und den feuerspeienden Stahlwerk-Studien von Leonhard Sandrock ein ganz anderer Ernst. Diesen eindrucksvollen Berliner Impressionisten hat Christian Melzer mit einer 100 Gemälde umfassenden Ausstellung im Jahr 1997 gewissermaßen dem Vergessen entrissen.

Für meist an neutrale Ausstellungsräume gewöhnte Besucheraugen ist es erstaunlich zu sehen, wie gut die leise historische und die laute zeitgenössische Malerei mit dem roten Backstein der Zitadelle harmonieren. Das überrasche auch die Künstler immer wieder, erzählt Christian Melzer, der – bei dieser Künstlerliste unschwer zu erraten – weder ein Fan des „White Cube“ noch der Abstraktion ist. Sein Herz gehört der figurativen Malerei und Bildhauerei. Gerade altes Mauerwerk brauche starke, großformatige Arbeiten, sagt er. Und auch die warmen Holztöne der Frauen-Figurengruppe „Zwölf“ von Hans Scheib harmonieren perfekt damit. Nach 25 Jahren kennt der Kurator seine Räume aus dem Effeff: „Diese Ausstellung habe ich im Zug auf dem Weg zur Art Karlsruhe konzipiert.“ Samt Teilnehmern, Werken und genauer Hängung. All das hat er im Kopf.

Und das, obwohl der in Spandau aufgewachsene Melzer, der inzwischen mit seiner Frau, einer Musikerin, in Falkensee lebt, doch von Hause aus Diplom-Meteorologe ist. „Ich habe dann aber doch lieber mein Hobby zum Beruf gemacht“, lächelt er und rafft seine ausgesprochen westberlinische Vita zusammen. Nach vier Semestern Kunstgeschichte erscheint ihm das Engagement in einer linken Partei und später in der Friedensbewegung viel wichtiger als die akademische Bilderdeuterei. Bis er dann mit der Meteorologie doch noch ein solides Studium abschließt und hinterher über Stationen in der Bezirkskulturarbeit auf der Zitadelle landet.

Dass Christian Melzer der Kunst den Rücken kehrt, steht übrigens nicht zu befürchten. „Ich habe so viele Anfragen, mich als freier Kurator um Ausstellungen zu kümmern“, winkt er ab. Es spricht sich halt rum, wenn einer Künstler liebt und dazu noch praktisch veranlagt ist.

Zitadelle Spandau, Bastion Kronprinz, bis 9. September, tgl. 10–17 Uhr und vor den Konzerten des Citadel Music Festivals

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