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Kultur: Abflug!

Frisch: Alexander Riedels „Morgen das Leben“

Ulrike träumt davon, sich in einen Schmetterling zu verwandeln. Ersatzweise will sie Masseurin werden, Hauptsache, nicht mehr Sachbearbeiterin. Auch Judith möchte gerne fliegen – als Stewardess, so wie früher, bevor sie sich in einem Kokon aus Mutterpflichten und Heimarbeit verpuppte. Manchmal legt sie noch die Stewardessenuniform an, um ihrem Sohn ein „Dreamer’s Delight Meal mit extra viel Ketchup“ zu servieren. Jochen dagegen könnte auf die Versicherungsvertreter-Uniform gut verzichten: Anzug und Lederköfferchen trägt er nur, um sich bald Besseres leisten zu können als die Dauerunterbringung in einer schäbigen Pension.

Die drei Protagonisten in Alexander Riedels Spielfilmerstling „Morgen das Leben“, alle um die 40 und eher frustriert, eint der Wunsch nach Veränderung. In kurzen Alltagsszenen, ähnlich wie in Ralf Westhoffs Speed-Dating-Komödie „Shoppen“, werden die Münchner Großstadtpflanzen vorgestellt – sogar mit Namensschildern. Der erfrischende Unterschied: Die drei begeben sich abseits von Singlebörsen auf Sinnsuche. Mit „Morgen das Leben“ will Riedel, selber 42, seine Generation mit dem „Ende der Vorläufigkeit“ konfrontieren. Dabei bleibt er, der zuvor zwei Dokumentarfilme gedreht hat, diesem Genre durchaus treu: Die Schauspieler Judith al Bakri, Ulrike Arnold und Jochen Strodthoff geben den Filmfiguren ihre eigenen Vornamen, spielen also gewissermaßen sich selbst. Minutiös zeigt die Kamera ihren einsamen Alltag, ihre Wege durchs Einkaufszentrum, guckt ihnen sogar durch Türrahmen oder Glasfassaden bis ins Badezimmer hinterher. Für Beziehungspaniker wohl der einzige Weg, am Leben anderer teilzuhaben.

Dabei bricht das Geschehen immer wieder ins Skurrile aus – oder geradewegs in die Poesie. Zwar wirken einige Leitmotive, etwa die Schmetterlingsbegeisterung der mauerblümchenhaften Ulrike, etwas flach; dafür werden die Erzählstränge langsam und elegant zusammengeführt. Judith und Jochen, die in der täglichen Kundendiensttretmühle ihre immergleichen Verkaufsformeln herunterspulen, begegnen sich in einer Musterhaussiedlung am Stadtrand. Und Ulrike? Hat sich endlich in einen Schmetterling verwandelt. Nantke Garrelts

Ab Donnerstag im Eiszeit

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