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Kultur: Ab in die Wüste

Mai-Thu Perret erfindet bei Barbara Weiss eine Welt ganz ohne Männer.

Zum Saisonstart präsentieren viele bekannte Galeristen große Arbeiten männlicher Künstler mit großen Namen. Barbara Weiss macht da eine der wenigen Ausnahmen: Sie zeigt kleine Arbeiten – von einer Künstlerin, deren Name sich einem breiteren Publikum noch nicht unbedingt eingeprägt hat, von Mai-Thu Perret. Ein Coup, denn die 36-jährige Künstlerin aus der Schweiz stellt auch noch eine gemeine Frage: Was wäre, wenn Frauen Kunst allein machten, ganz ohne die Männer drumherum?

Selbstverständlich ist die Frage rein theoretisch zu verstehen. Anders als vor vierzig, fünfzig Jahren probiert so etwas kaum noch jemand am eigenen Leib aus. Mai-Thu Perret, von Haus aus Literaturwissenschaftlerin, gibt die Antwort in Form einer Fiktion. Sie hat eine Art Roman geschrieben mit dem Titel „The Crystal Frontier“. Er handelt von Frauen, die der Männer überdrüssig in die Wüste von Neu-Mexiko ziehen, um sich der Keramikkunst zu widmen.

Der Text dient als Hintergrund für jene Arbeiten, mit denen Perret Avantgarde-Utopien des 20. Jahrhunderts thematisiert – in Aquarellen, Performances, Filmen, raumfüllenden Installationen sowie kostümierten Figurinen und Lichtskulpturen, wie sie von ihr auch auf der Venedig-Biennale im vergangenen Jahr in der großen Überblicksausstellung von Bice Curiger präsentiert wurden. Dabei setzt sie auf etwas, das in der zeitgenössischen Kunst zuletzt verloren zu gehen schien und das viele jüngere Künstler gerade wieder neu entdecken: auf das Kunsthandwerk.

Neun Aquarelle hängen in der Galerie Weiss, aparte Kombinationen von Purpur, Violett und Grau beispielsweise oder von grauen und gelben Streifen, über die ein rotes Wesen geistert, halb Blume, halb Teufel. Das wirkt, als habe hier ein Bauhäusler den Animismus entdeckt. Gegenüber hängen fünf Bildobjekte mit zerrissenen oder gewrungenen Stücken Sackstoff, die in Keramik erstarrt sind, glasiert in Farben der Spätmoderne wie blassem Korallenrot. Auch sie wirken wie animiert. Ein Stoffstück ähnelt von ferne sogar einer Friedenstaube, sehr frei nach Picasso. Jeder Faden, jede Falte ist unter der Glasur zu erkennen. So verbindet Perret offensiv Avantgarde mit Autodidaktentum, denn eine Ausbildung zur Bildhauerin hat sie nicht gemacht.

Und dann sind da noch 22 kleine Keramikzylinder, aufgestellt auf einem Podest, die an ein archaisches Strategiespiel denken lassen. Sie reizen zum Anfassen, Mitspielen. Das tut übrigens auch das große Haustier in der Ecke: ein aus Rattan perfekt geflochtener Esel. Das kann man süß finden, muss man aber nicht. Eher verhält es sich wohl so, dass ein wenig von den alten Utopien doch wahr geworden ist, wenn sich eine Künstlerin heute dem Niedlichkeitsverdacht aussetzt, ohne ihren Ruf zu riskieren. Denn dass sie auch groß kann, hat Mai-Thu Perret schon hinlänglich bewiesen. Nicht zuletzt mit ihrer großen Ausstellung im Haus der Kunst vor zwei Jahren im Rahmen der Ausstellung „Goldene Zeiten“. Claudia Wahjudi

Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Straße 41/43, bis 20. Oktober; Di bis Sa, 11 bis 18 Uhr.

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