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Der sogenannte Barbarossakopf, entstanden um 1160, ist ein Höhepunkt der Magdeburger Ausstellung „Mit Bibel und Spaten“.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

900 Jahre Prämonstratenserorden: Sie verstanden sich als radikale Reformer

Das Kulturhistorische Museum Magdeburg zeigt die Geschichte des Prämonstratenserordens. Der Personenkult um seinen Gründer brachte erstaunliche Werke hervor.

Der sogenannte Barbarossakopf zählt zu den berühmtesten Preziosen des Spätmittelalters. Aus mandelförmigen Augen schaut ein junger Mann dem Betrachter entgegen, seine spiralförmigen Locken werden von einem Stirnband gehalten. Kaiser Friedrich Barbarossa hatte die Bronzeskulptur seinem Taufpaten Otto von Cappenberg geschenkt.

Weil es in Ottos Testament heißt, dass die Büste die Züge des Herrschers trage, galt sie lange als dessen Porträt. Eine Zuschreibung, die von der kunsthistorischen Forschung inzwischen verworfen wurde. Nun wird die Plastik, die um 1160 entstand, nach ihrer Funktion benannt: als Kopfreliquiar des Evangelisten Johannes. Diesem Heiligen war die Kirche des westfälischen Städtchens Cappenberg geweiht, der die Skulptur bis heute gehört.

Derzeit ist der Kopf allerdings im Kulturhistorischen Museum Magdeburg zu sehen, als ein Höhepunkt der Ausstellung „Mit Bibel und Spaten“. Es geht um den Prämonstratenser-Orden, der vor 900 Jahren gegründet wurde und zu dessen frühesten Zentren das Gebiet zwischen Elbe und Havel gehörte. Ähnlich wie die nur zwei Jahre älteren Zisterzienser verstanden sich die Prämonstratenser als radikale Reformer. Sie wollten zu den Idealen der Urkirche zurückkehren und den weltlichen Dingen entsagen. Das hinderte den Ordensgründer Norbert von Xanten, der im nordfranzösischen Tal im Tal von Prémontré gleichgesinnte Frauen und Männer um sich geschart hatte, jedoch nicht daran, 1126 das mächtige Amt des Erzbischofs von Magdeburg anzunehmen.

Anders als die Zisterzienser, deren Bescheidenheit sich schon darin zeigt, dass sie ihre Klöster statt mit einem Turm bloß mit einem Dachreiter krönten, hatten die Prämonstratenser gegen Prachtentfaltung wenig einzuwenden. Norbert hatte als asketischer Wanderprediger gelebt, in der Ausstellung zeigt eine Buchmalerei, wie ihm der Heilige Augustinus seine Regeln übergibt. Sie verlangen, dass die Klosterbrüder und -schwestern in Armut, Keuschheit und Gehorsam zu leben haben. Gegen Reichtum an sich hatte Norbert nichts, nur musste er Gott zugute kommen. Das machte seine Glaubensgemeinschaft für reiche Stifter attraktiv. Von deren Geberlaune profitiert die Ausstellung, die rund 700 Exponate von 88 Leihgebern zusammengetragen hat. Sie kann mit dem Glanz von Gold, Silber und anderen Kostbarkeiten prunken.

Otto von Cappenberg war dem Orden beigetreten, um Abbitte dafür zu leisten, dass er an der Erstürmung von Münster und der Zerstörung des Doms teilgenommen hatte. Ein frommes Manöver, das ihn davor bewahrte, vom Kaiser mit der Reichsacht bestraft zu werden. Von Ottos wertvollstem Geschenk an die Prämonstratenser, dem Johannes-Kopf, werden auch die Reliquien gezeigt, die sich über Jahrhunderte hinweg in ihm angesammelt haben. Winzige kunstvoll bestickte Kästchen und Phiolen mit angeblichen Resten vom Gewand Johannes des Täufers oder Splittern des Kreuzes, an dem Jesus Christus starb.

Die Missionsarbeit ging einher mit Eroberungen

Das Magdeburger Museum hat sich mit Mittelalter-Ausstellungen über die ottonischen Kaiser einen Namen gemacht. Daran knüpft die „Mit Bibel und Spaten“-Schau an, die ursprünglich im Anschluss nach Prag wandern sollte. Sie wäre dem Weg gefolgt, den die Gebeine Norbert von Xantens zurücklegten, als sie 1626 von Magdeburg – gegen den Widerstand der lutherischen Stadt – ins Prämonstratenserkloster Strahov überführt wurden, um sie vor den Gefahren des Dreißigjährigen Kriegs zu schützen. Die Prager Pläne zerschlugen sich, weil Geldgeber wegen der Pandemie absprangen. Im Entrée des Magdeburger Museums steht nun immerhin die einstige Umfassung von Norberts Grablege, eine barocke Kunstschmiedearbeit.

[„Mit Bibel und Spaten“, Kulturhistorisches Museum Magdeburg, bis 9. Januar]

900 Jahre Geschichte in einer Ausstellung zusammenzufassen ist ein ambitioniertes Vorhaben. Das Team um Kuratorin Ulrike Theisen hat den Stoff klug in sieben Kapitel komprimiert, die von Norberts Mission („Ausstieg zu Gott“) bis zum Wirken seiner heutigen Nachfolger („In der modernen Welt“) reichen. Der Reliquien-Kult mag uns befremdlich erscheinen, aber er brachte erstaunliche Kunstleistungen hervor. So ist der Reliquienschrein des Heiligen Simon aus dem Kloster Sayn, um 1220 in Trier entstanden und ein Hauptwerk spätromanischer Schatzkunst, wie ein Haus gestaltet, mit Satteldach und großen Fenstern.

Das Mittelalter bildet den Schwerpunkt der Ausstellung. Schließlich haben Norbert von Xanten und seine Nachfolger damals von Magdeburg aus Politik betrieben. Der Ordensgründer war ein Machtmensch und Charismatiker. Schon zu Lebzeiten wurde er wie ein Heiliger beschrieben „Seine Mahnungen waren nicht von dieser Welt und strebten nichts Irdisches an“, heißt es um 1200 in einer Chronik über ihn.

„Er flog wie eine Taube, die ihre Flügel spannt, zur Ruhe in Gott.“ Die Missionsarbeit der Prämonstratenser ging Hand in Hand mit der Eroberung slawischer Gebiete durch die ottonischen Herrscher. Aus Havelberg, wo der Orden den Bischof stellte und mit dem Bau eines trutzburgartigen Doms begann, ist das eindrucksvolle Fragment eines Kopfes zu sehen, der wohl einmal zu einer Engels- oder Heiligenfigur des Lettners gehörte.

Der Orden existiert bis heute

Seinen Mund hat er weit geöffnet, der Gesichtsabdruck zwischen Erstaunen und Entsetzen wirkt fast wie eine gotische Vorwegnahme von Edvard Munchs „Schrei“. Aus dem Kloster Jerichow wird eine Glocke gezeigt, geschmückt mit dem Engel Gabriel, der Maria die Geburt von Jesus verkündet. Das Kloster, einer der ältesten norddeutschen Backsteinbauten, ist neben den beiden Domen in Havelberg und Brandenburg das monumentalste Denkmal, das der Orden in Deutschland hinterlassen hat.

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Die Prämonstratenser haben die Reformation, die Auflösung von mehr als 200 ihrer Klöster während der Säkularisierung im 19. Jahrhundert und die Weltkriege des 20. Jahrhunderts überstanden. Im Kalten Krieg wurden sie in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei brutal verfolgt. Fotos zeigen ausgemergelte Ordensleute in Prag auf der Anklagebank eines Schauprozesses. Sie wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und feierten im Arbeitslager weiter Gottesdienste. In einer Vitrine steht eine strahlenumkränzte „Gurken-Monstranz“, gebastelt aus einer Gurken-Konservendose.

Heute hat der Orden Niederlassungen in der ganzen Welt, etwa 1500 Männer und Frauen gehören ihm an. Nach Magdeburg kehrten die Prämonstratenser 1991 zurück. Unweit des Elbufers, neben der gotischen Sankt-Petri-Kirche, entsteht für sie ein neues Haus. Es ist derzeit der einzige Klosterneubau nördlich der Alpen.

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