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Mähne für immer: Al Pacino wurde neunmal für den Oscar nominiert, zuletzt im Januar für "The Irishman".

© AFP

80. Geburtstag von Al Pacino: Die Suche nach Wahrheit hinter den Worten

Vom italienischen Machismo zu ambivalenten Archetypen: New-Hollywood-Legende Al Pacino feiert seinen 80. Geburtstag.

Von Andreas Busche

Seinen wertvollsten Ratschlag, hat Al Pacino einmal erzählt, habe er von seinem Mentor Lee Strasberg, dem legendären Begründer der Method-Acting-Schule erhalten. „Lern deine Zeilen, Junge!“, blaffte Strasberg ihn Ende der Siebziger an, der Lehrmeister und sein Schüler standen damals im Justizdrama „… und Gerechtigkeit für alle“ vor der Kamera. Der 77-Jährige spielte den dementen Großvater von Pacino, der zwischen 1973 und 1976 vier Mal für den Oscar nominiert worden war: für die beiden „Paten“-Filme, „Serpico“ und „Hundstage“, seine beiden Filme mit Sidney Lumet, die Pacinos Stern in Hollywood aufgehen ließen.

Das Auswendiglernen sei nie seine Sache gewesen, gab Pacino später zu. Er machte sich seine Rollen lieber mit Haut und Haaren, mit Händen und Füßen zu eigen; suchte nach einer tieferen Wahrheit hinter den Worten. „Es wird 50 Jahren dauern, bis sich die Schauspielerei von der ,Methode‘ erholt hat“, klagte Strasbergs lauteste Kritikerin Stella Adler über den Schauspiel-Guru.

Der Satz trifft in gewisser Weise auch auf die Karriere Pacinos zu, der an diesem Samstag seinen 80. Geburtstag feiert. Anfang der 80er, zehn Jahre nach seinem Debüt in Jerry Schatzbergs lyrischem Junkiedrama „Panik im Needle Park“ von 1971 hatte sich Pacino in eine Sackgasse gespielt.

Mit "Scarface" zur Pop-Ikone

Für seine bekannteste Rolle erhielt er keine Oscar-Nominierung, aber sein entgrenzter Auftritt als kubanischer Drogenkönig Tony Montana in „Scarface“ verschaffte ihm einen Platz im Pantheon der Popkultur. Koksgepudert, mit einer Maschinenpistole herumballernd wurde er zum Vorbild für Gangsta-Rapper – und einige echte Drogenbarone.

Die Rolle ist Pacino zum Fluch geworden. Das aufgekratzte In-die-Kamera-Brüllen, sein nervöses Durch-die-Haare- Fahren, der italienische Machismo gehören bis heute zum Kennzeichen des gebürtigen New Yorkers.

Dabei brachte Pacino in den Siebzigern, ähnlich wie Dustin Hoffman, einen neuen Typus von Männlichkeit ins New-Hollywood-Kino, mit seinem melancholischen Hustler in „Needle Park“ – die Rolle hatte er Doors-Frontmann Jim Morrison weggeschnappt –, dem schwulen Bankräuber Sonny in „Hundstage“, der seinem Freund eine Geschlechtsangleichung finanzieren möchte, oder als Anwalt in the closet in der Aidskrisen-Miniserie „Angels in America“ (2003). In den 80ern arbeitete Pacino unter dem Radar, er stand viel auf Theaterbühnen, lebte in einer On/Off-Beziehung mit Diane Keaton.

Pacino wollte sich nie anpassen

Wenn Pacino heute über diese Zeit spricht, klingt er nachsichtig mit sich selbst. Er bereut Entscheidungen wie seine Rolle in William Friedkins Polizeifilm „Cruising“ über eine Mordserie im Leder- und SM-Milieu, der seinerzeit für seine Homophobie kritisiert wurde. Er wollte sich damals einfach nicht anpassen.

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Die 90er zeigten eine andere Seite Pacinos, dessen impulsive Jugendlichkeit einer inneren Erschöpfung gewichen war, die Michael Mann in dem Actiondrama „Heat“ eindrucksvoll inszeniert. Ein desillusionierter Cop und ein alternder Gangster vor seinem letzten Coup, die sich ähnlicher sind, als sie annehmen.

Die New-Hollywood-Veteranen Al Pacino und Robert De Niro standen nach 20 Jahren erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera, in einer einzigen denkwürdigen Szene. Mann beherzigte eine Lektion, die Pacino nie für sich selbst gelten lassen wollte. Weniger ist mehr.

Dass Pacino auch hinter sein Ego zurücktreten kann, zeigt er 1996 mit dem Dokumentarfilm „Looking for Richard“. In diesem Herzensprojekt geht er in Interviews mit Kollegen, Shakespeare-Experten und Passanten seiner Faszination für die Figur Richard III. nach, den er Anfang der 70er in New York gespielt hatte.

Ein Schauspieler für amerikanische Archetypen

Über die 00er und 10er Jahre lässt sich im Wesentlichen sagen, was schon die „Vanity Fair“ 1989 schrieb: „Seit einer Weile hat niemand mehr Al Pacino gesehen, zumindest nicht in einem guten Film.“ Pacino selbst gibt in Interviews reumütig zu, dass er viele Filme, etwa die Adam-Sandler-Komödie „Jack und Jill“, nur fürs Geld macht. Es ist kein gutes Zeichen, wenn ihm Quentin Tarantino im Retro-Vehikel „Once Upon a Time in Hollywood“ einen Cameo-Auftritt verschafft: Dieses Privileg genießen gewöhnlich vergessene Legenden.

Vielleicht ist es der Beginn einer langen Hommage, zu der auch Martin Scorsese mit dem Mafia-Epos „The Irishman“ seinen Teil beiträgt. De Niro spielt inzwischen ja fast nur noch schlecht gelaunte Großväter, Pacino hingegen verkörpert im Herbst seiner Karriere ambivalente Archetypen wie Phil Spector und Jimmy Hoffa.

Für letzteren erhielt er kurz vor dem 80. Geburtstag, fast 30 Jahre nach seinem Oscar für „Der Duft der Frauen“, die neunte Oscar-Nominierung. Ein Lebenswerk ohnegleichen. „Ich will nicht vermisst werden“, hat Al Pacino vor einigen Jahren gesagt. Man solle sich nur an ihn erinnern.

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