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60 Filme für einen Zuschauer: In Hamneskär findet das kleinste Filmfestival der Welt statt

Das Göteborger Filmfestival hat sich für dieses Jahr ein ganz besonderes Format ausgedacht. Eine Glosse.

Dass die Berlinale in diesem Jahr der Pandemie zum Opfer fällt, ist seit einiger Zeit bekannt. Was aber ersatzweise im März und dann auch natürlich nur online angeboten wird, weiß noch keiner so richtig.

Da ist das Göteborger Filmfestival schon weiter. Es findet statt. Allerdings auf Hamneskär, einem winzigen Inselchen im schwedischen Schärenmeer mit ein paar rot gestrichenen Häusern und einem Leuchtturm, der seit 1977 nicht mehr in Betrieb ist.

Eine Weltpremiere: Das Programm mit 60 Filmen wird für eine Zuschauerin oder einen Zuschauer abgespult, eine Woche lang. Für den ultimativen Solotrip Ende Januar sollen sich bereits 2500 Menschen beworben haben.

„Der Schärenbewohner ist ein Einsiedler; hat es weit zum Gerichtsgebäude, weit zur Kirche und weit zur Schule; weit zu den Nachbarn und weit zur Stadt“, schrieb August Strindberg 1888 über diese Gegend seiner Heimat. In der Einsamkeit würde der Schärenbewohner „Denker werden, wenn er Anleitung hätte, aber stattdessen wird er Fantast.“

Daran dürfte sich nicht allzu viel geändert haben. Für den einzigen Festivalgast sind das ideale Bedingungen. Kein Anstehen, kein Gedränge, niemals das demütigende Gefühl, keine oder die falschen (Berlinale-)Karten bekommen zu haben. Kein Februar-Geschniefe und -Gehuste im Saal, keine Ansteckungsgefahr. Wenn sich einsam steigern lässt, dann heißt es Hamneskär.

Zuerst ein Sehnsuchtsbild, dann ein Alptraum

Es klingt wie ein Traum. Das Festival übernimmt die Reisekosten, sorgt für Unterkunft und Verpflegung, weist allerdings auch darauf hin, dass es im Winter dort nicht sehr lauschig ist. Stürme tosen um das Eiland, die An- und Abfahrt hängt vom Wetter ab.

Und allmählich verwandelt sich das Sehnsuchtsbild, das Privileg des Privatfestivals in eine Albtraumvorstellung. Die ausgewählte Person darf nichts mitbringen, kein Laptop, kein Buch, nicht mal eigenes Schreibzeug. Das Essen muss man sich selbst zubereiten.

Alkoholvorrat: Das wäre eine Frage fürs Bewerbungsgespräch, wie überhaupt nicht klar ist, ob der Marathon ohne erlaubte oder unerlaubte Hilfsmittel durchzuhalten ist. Aus Sicherheitsgründen wird während der einsamsten Filmwoche eine weitere Person auf der Insel sein – mit ihr oder ihm hat der oder die Auserwählte einmal am Tag Kontakt. Arbeit ist mit „The Isolated Cinema“ auch verbunden, über das Extremglotzen hinaus. Das Festival in Göteborg, das ansonsten diesmal für alle digital abläuft, erwartet täglich Bericht aus Hamneskär.

Da fallen einem viele Worte mit K ein. Knast, Klaustrophobie, Koller, Kafka (der gern ins Kino ging), Kotzen (auf der Überfahrt). Viele Filme für die Insel sollen sich übrigens mit dem Thema Isolation beschäftigen. Das ist wahrscheinlich auch in angenehmer Gesellschaft, im Kino mit Freunden und brummender Festivalatmosphäre, nicht leicht auszuhalten.

Rüdiger Schaper

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