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Raffael gilt als Meister der Harmonie, auf diesen Aspekt fokussiert der aktuelle Bildband „Raffael im Detail“.

© 2019, Photo Scala, Florence

500. Todestag von Raffael: Die unsterbliche Sehnsucht nach Schönheit

Zum 500. Todestag wird der Renaissancemaler Raffael noch einmal in allen Facetten wiederentdeckt. Das Bode-Museum erinnert an seine verschollenen Tapisserien.

Rom hat Glück gehabt. Wenigstens einige Tage war die große Raffael-Ausstellung im Quirinalpalast zu sehen. Dann musste sie auch schon wieder geschlossen werden wegen der Beschränkungsmaßnahmen aufgrund von Covid-19. In London dürften die Ausstellung in der National Gallery und die Wiedereröffnung des Raffael-Flügels mit den berühmten Kartons im Victoria & Albert-Museum aller Wahrscheinlichkeit nach verschoben werden. Die Hamburger Kunsthalle hat jetzt schon angekündigt, dass ihre für Mai geplante Präsentation erst ab Januar 2021 zu sehen sein wird.

Berlin ist gerade noch davongekommen. Die Madonnen-Ausstellung in der Gemäldegalerie begann bereits Mitte Dezember. Die Meisterwerke aus dem Kupferstichkabinett waren seit Ende Februar zu sehen und haben dadurch ihre größte Aufmerksamkeit schon erfahren, bevor auch sie von den Museumsschließungen betroffen wurden.

Nur der Festakt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zum 500. Todestag des Renaissancemalers, der international Anlass für all die großen Ausstellungen ist und am heutigen 6. April jährt, muss wegen der Pandemie-Vorkehrungen ausfallen.

Die Galerie war für die neun monumentalen Teppiche geplant

Es wäre weit und breit die einzige Feierstunde exakt zum Jubiläumsdatum gewesen, all die Ausstellungen eröffneten entweder vorher oder waren anschließend vorgesehen. Die Absage ist umso bedauerlicher, als die Staatlichen Museen damit zum dritten Mal – nach 1820 und 1920 – Raffael punktgenau auf den Termin geehrt hätten, worauf man natürlich auch stolz gewesen wäre.

Aber Corona kümmert das nicht. Es passt in die merkwürdigen Zeiten, in denen man kaum noch raus-, erst recht nicht ins Museum gehen darf und gezwungenermaßen fast alles um das Nichtsichtbare, Virtuelle kreist, dass im Zentrum des Berliner Festaktes ein Werk gestanden hätte, das seit Jahrzehnten verschollen ist: die Raffael-Tapisserien des Bode-Museums.

Die Festreden, die musikalischen Zwischenspiele sollten an jenem Ort stattfinden, an dem sie bis zu ihrer Auslagerung in den Flakbunker Friedrichshain während des Zweiten Weltkriegs hingen, im sogenannten Gobelin-Saal.

Die gewaltige Galerie war im ersten Stock des Bode-Museums exakt auf Maß für die neun monumentalen Teppiche geplant, genau über dem Herzstück des Hauses, der zentralen Basilika. Durch den Brand im Flakbunker kurz nach der Kapitulation gingen sie für immer verloren. Ihre letzte Spur ist die handschriftliche Eintragung ihres Standorts in einem Grundriss des Bunkers, wo sie zusammen mit Skulpturen gleich neben der Wache eingelagert wurden.

Erinnerung an einen schmerzhaften Sammlungsverlust

Ihre vermutliche Vernichtung durch Feuer gehört zu den schwersten Verlusten der Staatlichen Museen, die hinterbliebene Leerstelle im Bode-Museum ist noch spürbar. Wo sich einst die Wandteppiche befanden, wurden seitdem eher willkürlich Großformate gehängt, ein Konzept gab es nicht mehr.

Ohnehin diente der Raum fortan weniger als Galerie denn als Veranstaltungssaal und blieb ansonsten verschlossen. Das sollte sich mit dem heutigen Festakt ändern, danach ein Hinweis am Saaleingang auf die Geschichte des Ortes und den schmerzhaften Sammlungsverlust verweisen.

Tapisserien. Der Raffael-Saal im damaligen Kaiser-Friedrich-Museum.
Tapisserien. Der Raffael-Saal im damaligen Kaiser-Friedrich-Museum.

© SMB

Die vorgesehene Schrifttafel zur Historie der verschollenen Tapisserien kann nun erst nach Wiedereröffnung der Museen enthüllt werden. Sie wird auch von der kuriosen Bezeichnung Gobelin-Saal erzählen, denn anders, als der Name vermuten lässt, hingen nie Gobelins darin, sondern Tapisserien. Als Gobelins bezeichnet man Tapisserien, die nur in einer bestimmten Manufaktur produziert werden.

Mit der Sanierung des noch Jahrzehnte später kriegsbeschädigten Raums und seiner Wiedereröffnung zum 750. Stadtjubiläum 1987 übernahm man in der DDR trotzdem die eingebürgerte, klangvollere falsche Bezeichnung.

Das Kupferstichkabinett schöpft aus dem eigenen Bestand

Die Staatlichen Museen feiern verglichen mit Rom oder London ansonsten den Renaissancemeister eher bescheiden. Die kleine, feine Ausstellung rund um die fünf Madonnen der Gemäldegalerie kam vor allem zustande, weil London als Gegenleihgabe für die angefragte Madonna Terranuova ihre berühmte „Madonna of the Pinks“ offerierte.

Drum herum arrangiert sich die Schau. Das Kupferstichkabinett schöpft ohnehin aus den reichen eigenen Beständen. So erlauben die Berliner Ausstellungen vor allem einen konzentrierten Blick auf die eigene Sammlungsgeschichte und welche Spuren dieser begehrteste Künstler des 19. Jahrhunderts hinterlassen hat.

Was sich geschlossene Museen zum Raffael-Jubiläum einfallen lassen:

  • Die Staatlichen Museen Berlin bieten unter www.smb.museum nicht nur den von Alexandra Enzensberger zu den Tapisserien herausgegebenen Forschungsbericht, sondern auch den Katalog „Raffael in Berlin“ kostenfrei zum Download an. Dagmar Korbacher, Direktorin des Kupferstichkabinetts, erklärt unter blog.smb.museum, worin die Faszination für Raffaels Werke besteht. Mehr unter #raffaelo500.
  • Die Hamburger Kunsthalle hat auf ihrer Website 1000 Werke in einem „Raffael-Album“ zusammengestellt. Zwar sind sie bereits Bestandteil der „Sammlung-Online“ (www.hamburger-kunsthalle.de/sammlung-online), doch die Hervorhebung verdeutlicht die Bandbreite des Hamburger Bestandes.
  • Die Alte Pinakothek in München hatte immer schon ein enges Verhältnis zu Raffael – ihr Grundstein 1826 wurde an seinem Geburtstag gelegt. Ludwig I. von Bayern und sein Galeriedirektor Johann Georg von Dillis verehrten Raffael als „König von der Mahlerei“. Im Florentiner Saal ist eine Präsentation mit Bezügen zum 19. Jahrhundert arrangiert (www.pinakothek.de/raffael). Der Hashtag #PinaRaffael liefert Vertiefung.
  • Zwei empfehlenswerte Buchveröffentlichungen zum Raffel-Jubiläumsjahr: Ulrich Pfisterer, Direktor des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte, erzählt unter dem Titel „Raffael. Glaube, Liebe, Ruhm“ die Geschichte des Renaissance-Malers, der mit 37 Jahren verstarb und ein gewaltiges Werk hinterließ (C. H. Beck Verlag, München, 384 S., 58 €). Und Stefano Zuffi, spezialisiert auf die Malerei der Renaissance und des Barock, zoomt in dem Band „Raffael. Meisterwerke im Detail“ dicht an die Bilder des Künstlers heran (Verlag Bernd Detsch, Köln, 244 S., 29,95 €).

Damals überstrahlte er noch Michelangelo und Leonardo da Vinci, deren Ruhm als Universalkünstler mit dem 20. Jahrhundert wuchs, während Raffael an Gunst verlor. Während man ihn im 19. Jahrhundert gerade für die Harmonie seiner Kompositionen, den Bezug zur Antike, das ästhetisch Ausbalancierte liebte, dem auch die zeitgenössischen Künstler nacheiferten, geriet Raffael im 20. Jahrhundert zunehmend in Vergessenheit.

Erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts wird in ihm wieder der Gesamtkunstwerker entdeckt, der auch als Architekt wirkte und von Papst Leo X. den Auftrag für die Ausgestaltung der Sixtinischen Kapelle mit Tapisserien erhielt. Die originalen Kartons, nach deren Vorlage die Webereien die Wandteppiche schufen, befinden sich heute in London im Victoria & Albert Museum.

Erste Blockbuster-Ausstellung der Museumsgeschichte

Neben den Leoninischen Wandteppichen entstanden noch vier weitere Sets, von denen heute nur noch jene im Palacio Real in Madrid und im Palazzo Ducale in Mantua existieren. Als die Berliner 1844 die ursprünglich aus dem Besitz von Heinrich VIII. stammende Serie in London erwarben, war das eine Sensation. In der preußischen Hauptstadt angekommen, wurden die neun Tapisserien mit Episoden aus dem Leben der Apostel Petrus und Paulus zunächst in der Rotunde des Alten Museums präsentiert, der prominenteste Ausstellungsort Berlins.

Raffaels "Maria mit dem Kind (Madonna Colonna)", um 1508.
Raffaels "Maria mit dem Kind (Madonna Colonna)", um 1508.

© SMB, Gemäldegalerie/Jörg P. Anders

Es war laut Bénédicte Savoy die erste Blockbuster-Ausstellung der Museumsgeschichte, 1904 wurden die Tapisserien in einen eigenen Saal im neu eröffneten Bode-Museum überführt. Mit ihrer Vernichtung im Zweiten Weltkrieg endete auch die große Wertschätzung. Berlin besaß „nur“ noch die fünf lieblichen Madonnen aus der Frühzeit des Malers, der Blick auf sein Werk verengte sich.

Die Ausstellungen zum 500. Todestag des Künstlers aber wollen ihn wieder weiten. Das neu erwachte Interesse verrät zugleich etwas über den Zeitgeist. Gut möglich, vermutet auch Alexandra Enzensberger, die die Aktivitäten der Staatlichen Museen rund um Raffael koordiniert, dass es neue Sehnsucht nach dem Harmonischen, Lieblichen, Schönen gibt – und das schon vor Corona!

Aufarbeitung der eigenen Sammlung

Die Berliner Perspektive auf die eigene Sammlungsgeschichte ist auf jeden Fall im Trend. Im Zuge der New Critical Museology, die ihren Ursprung im angelsächsischen Raum hat, sind die eigenen Erwerbungen, die Lücken in der Sammlung und die Form der Präsentation der eigentliche Forschungsgegenstand.

Die Nolde-Ausstellung im Hamburger Bahnhof hat diese Form der Betrachtung vorgemacht. Das jüngst im Bode-Museum eingerichtete James-Simon-Kabinett, das an das Wirken des jüdischen Sammlers erinnert und wie mit seinem Vermächtnis während des Nationalsozialismus umgegangen wurde, ist ein weiteres Beispiel.

Dass Corona die Rückholung der Berliner Raffael-Tapisserien ins öffentliche Bewusstsein durchkreuzt, ist schicksalshaft. Die Forschungspublikation wird von den Staatlichen Museen heute, am 500. Todestag Raffaels, unter www.smb.museum freigeschaltet („Apostel in Preußen. Die Raffael-Tapisserien des Bode-Museums“, Sandstein-Verlag, 140 S., 24 €). Wenigstens das.

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