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Eine deutsche Erfindung. „Perry Rhodan – Unser Mann im All“, so der Titel der Dokumentation, die am Donnerstag startet.

© Salzgeber

50 Jahre Perry Rhodan: Raumschiff Erde

80.000 Menschen pro Woche reisen mit ihm durchs All. Zum 50. Geburtstag von Perry Rhodan erkundet ein neuer Dokumentarfilm das Groschenheftuniversum des Astronauten.

Entweder man kennt sich aus. Mit Arkoniden und Holos, mit Koltoroc und Positronik. Dann wird man seine Wände mit Risszeichnungen von Raumschiffen geschmückt haben. Sich nicht als Mensch, sondern als Terraner fühlen. Und das „Perryversum“, die Welt des Perry Rhodan, wie seine Westentasche kennen, denn man pilgert seit Jahrzehnten jede Woche zum Kiosk, wenn wieder das neue Heftchen der am längsten existierenden Science-Fiction-Serie der Welt erscheint.

Oder man kennt nur den Namen. Spricht ihn vermutlich englisch aus, mit retroflexem „R“, „Perry Roudän“, in Unkenntnis der Tatsache, dass die Figur zwar ein amerikanischer Astronaut, die Erfindung jedoch durch und durch deutsch ist. Dann hält man ihn schlichtwegfür irgendeinen Retro-Groschenheft-Helden, dessen Abenteuer zudem in literarisch fragwürdigem Stil verfasst sind.

Dazwischen gibt es, wie bei der Drogensucht, anscheinend nichts. Ein bisschen Perry ist unmöglich. Das merkt man, wenn man Fans begegnet: In dem Dokumentarfilm „Perry Rhodan – Unser Mann im All“ von Hartmut Kasper und Claudia E. Kraszkiewicz, der am 1. September pünktlich zum 50. Geburtstag der Serie im Kino startet, kommen sie ausgiebig zu Wort.

Es zeigt sich: Nicht nur die Konsumenten, die Heftarchivisten, Risszeichnungssammler und Convention-Besucher, sondern auch alle Autoren der Serie waren einst Anhänger des umtriebigen Raumfahrers, der – laut der 1961 von Karl-Herbert Scheer ersonnenen Saga – 1971 bei einer Notlandung auf dem Mond erstmals Kontakt zu Außerirdischen bekommt. Im weiteren Verlauf der so genannten Zyklen, die jeweils 50 oder 100 Heftromane umfassen, bekommt Rhodan von einem „Kollektivwesen“ namens „ES“ die „relative Unsterblichkeit“ verliehen (was angesichts der in 50 Jahren über 2600 Mal erschienenen Abenteuer nicht unrealistisch klingt).

Außerdem werden die Menschen in „Terraner“ umbenannt, ein „Solares Imperium“ wird gegründet, die Mutter Erde zeitweilig als Raumschiff genutzt. Rhodan selbst wird an die Spitze einer Allianz gewählt, die Frieden in der Galaxis erstrebt, aber von „Chaosmächten“ daran gehindert wird. Er kämpft gegen eine „negative Superintelligenz“ namens „Koltoroc“. Und es geschieht noch viel, viel, viel, viel mehr. Zu viel, um es in einem kleinen Text zusammenzufassen. Zu viel übrigens auch, um es zu verfilmen.

Jedenfalls sah es im Perryversum mitnichten immer rosig aus: 1969 nannte das Politmagazin „Monitor“ Perry Rhodan einen „Ersatzhitler“ und verurteilte seine interstellaren Invasionsbestrebungen sowie die Kämpfe zwischen außerirdischen „Rassen“ schwer. „So nennt man außerirdische Völker eben“, rechtfertigt sich damals der 1991 verstorbene Rhodan-Vater Scheer. Mit einer neuen Autorenriege habe man in den Siebzigern wieder Frieden im Weltraum einkehren lassen und die Vorwürfe entkräftet.

Die unterhaltsame Doku springt mit sichtlichem Bemühen, seine Talking Heads nicht bloß vor die Bücherwand zu setzen, zwischen liebevoll ausgesuchten und inszenierten Drehorten wie der Zentrale der Europäischen Weltraumbehörde ESA und einem U-Boot, einem kalifornischen Flugzeugfriedhof und einem alten Rummelplatz hin und her. Und verliert vor Spieltrieb und Begeisterung manchmal ein wenig den Faden.

Denn zwischen Fantum und Nerdsein verläuft ein schmaler Grat. Die Autoren, die die Hefte wegen der knappen Erscheinungsabstände meist parallel schreiben, beziehen ihr Wissen aus vorher vom Chefredakteur vergebenen „Exposés“ mit Handlungsangaben sowie aus einer Datenbank, die nur die ergebensten unter ihnen ausschließlich im Kopf haben. Im Gegensatz zu den Geschichten, die Schriftsteller erzählen wollen, weil sie in ihnen gären, ist beim Serienschreiben das meiste bereits festgelegt. Figuren und Plots sind nur begrenzt verhandelbar. Das mögen manche als Beschneidung der Kreativität sehen. Andere nehmen es als Herausforderung.

Im Film erscheinen Autoren, Zeichner und Fans wie eine freundlich lächelnde, zuweilen belächelte Familie. Sympathisch spinnerte Menschen jeden Alters, größtenteils männlich: Die drei Frauen, die zu Wort kommen, sind Witwen von Perry-Rhodan-Autoren oder -Zeichnern, keine Macherinnen. Das hat sich in 50 Jahren kaum geändert. Im aktuellen Team gibt es immerhin Verena Themsen, die vorher für Nebenstränge aus dem Perryversum und für Fantasy-Reihen geschrieben hat. Ihr erster reiner Perry-Band, „Die Planetenbrücke“, ist wie alle anderen bei Pabel-Moewig, einer Tochter der Bauer Media Group erschienen.

Man sollte meinen, dass eine Doktorarbeit in Physik zum Thema „Ein Speicherringtarget für hochpräzise Stahlprofil-Diagnose auf Basis einer magneto-optischen Atomfalle“ nicht unpraktisch für eine Science-Fiction-Hobbyautorin ist. Aber die 40-Jährige, die mit ihrer Familie in der Nähe von Heidelberg wohnt, wehrt beim Telefoninterview ab: „Im Endeffekt ist die Technik der Zukunft ja eher wie Magie“, sagt Themsen. Die Entwicklung der Figuren interessiere sie mehr. Dass Rhodan, der von den Coverzeichnern meist als blonder Mann mit markantem Kinn dargestellt wird, von Leserinnen weitgehend ignoriert wird, kann sich Themsen nicht erklären: „Die meisten Frauen verbinden mit Science-Fiction vielleicht ein Technikgewitter und lesen dann zum Beispiel eher Fantasy. Dabei unterscheidet sich das gar nicht sehr.“ Und von nichts kommt nichts: Wenn im Heft keine Frauen vorkommen, lassen sich Leserinnen eben schwer überzeugen.

Vielleicht liegt es aber auch daran, wann und warum man Fan wird: Viele steigen vor der Pubertät ein, in einem Alter, in dem Mädchen schon die Hormone rauschen hören, während Jungs ihre Freizeit mit „Lego Weltraum“ vollbauen. Und der Stil, der eine große Plotmenge erzählen muss und somit keine Zeit für literarische Sperenzchen lässt, ist eventuell auch nicht so vieler Frauen Ding.

Die vielen Leser, die jede Woche ins komplexe Perryversum flüchten, werden dennoch nichts vermissen. Der Journalist und Doktor der Philosophie Rainer Stache, der – natürlich – mit einer Arbeit über seinen Lieblingshelden promovierte, möchte im Dokufilm nicht von Trivial- sondern von „Parallelliteratur“ reden: Es gebe keine richtige und falsche, sondern nur die passende Literatur. Passend für wöchentlich 80 000 Menschen, Entschuldigung, Terraner.

Ab Donnerstag im Cinemaxx Potsdamer Platz, Eiszeit, Tilsiter Lichtspiele

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