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Aufruhr. Bonner Studenten demonstrieren gegen Springer.

© picture alliance / Peter Popp/dpa

50 Jahre nach den Schüssen: Welche Rolle spielte die Presse bei dem Attentat auf Rudi Dutschke?

Am 11. April 1968 wurde auf den Studentenführer Rudi Dutschke geschossen. Waren die Boulevardmedien mitschuldig an dem Attentat?

Als Josef Bachmann, ein mehrfach vorbestrafter Hilfsarbeiter, am 10. April 1968 im Interzonenzug von München nach Berlin aufbrach, wo er am nächsten Tag auf Rudi Dutschke schießen würde, hatte er Ausschnitte aus der „Deutschen National-Zeitung“ dabei, die in einer Schlagzeile forderte: „Stoppt den roten Rudi jetzt“. Das Blatt, herausgegeben von dem Verleger Gerhard Frey, war das auflagenstärkste rechtsradikale Medium der Nachkriegsjahre. Heute erscheint es mit geringerer Verbreitung und kürzerem Titel als „National Zeitung“.

Der Attentäter war vier Jahre jünger als Dutschke, er hatte eine unglückliche Kindheit mit langen Krankenhausaufenthalten hinter sich und verehrte Hitler. Vor Gericht sollte er später behaupteten, „linke Blätter“ wie „Spiegel“, „Stern“ und das „Neue Deutschland“ gelesen zu haben. Für die Protagonisten der Studentenrebellion stand hingegen fest, dass Bachmann von der „Bild“-Zeitung aufgestachelt worden war. Während Hans Magnus Enzensberger im „Kursbuch“ sarkastisch fragte: „Warum wird Bachmann erst mobilgemacht, dann festgenommen, erst vorgeschickt, dann abserviert?“, benannte Wolf Biermann in seiner Moritat „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“ den Hauptschuldigen: „Die Kugel Nummer Eins kam / aus Springers Zeitungswald.“

Hatte der Axel-Springer-Verlag geschossen?

Das Gründonnerstags-Attentat markiert einen Eskalationspunkt der Revolte. Was folgte, ist unter dem Begriff der „Oster-Unruhen“ in die deutsche Protestchronik eingegangen. In der ganzen Bundesrepublik kam es zu Straßenschlachten, die Zuspitzung fand vor dem Springer-Hochhaus in der Berliner Kochstraße statt. 2000 Demonstranten zogen zur Kreuzberger Konzernzentrale, warfen Steine, zündeten Autos an und versuchten, die Zeitungsauslieferung zu verhindern. Ähnliche Szenen ereigneten sich auch in Hamburg, München und anderen Städten, aber ihre größte symbolische Kraft entfaltete sie in West-Berlin. Das Springer-Hochhaus war kurz zuvor unmittelbar neben die Mauer gesetzt worden, seine Einweihung 1965 galt als Akt des trotzigen Überlebenswillens. Dass hier nun rote Fahnen wehten und Wasserwerfer eingesetzt wurden, wirkte wie ein Vorspiel kommender härterer Kämpfe.

Aber hatte, wie Biermann metaphorisch behauptete, der Axel-Springer-Verlag tatsächlich geschossen? Die „Bild“-Zeitung nannte die protestierenden Studenten „Politgammler“ und „Wirrköpfe“ und machte sich in Kommentaren über den „Wanderzirkus der Revolution“ lustig. Der „B.Z.“ war nach dem Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 die hämische Zeile „Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen!“ eingefallen. Da brach sich etwas Bahn, was damals „gesundes Volksempfinden“ genannt wurde, doch ein direkter Mordaufruf steckte selbst in der berüchtigten „Bild“-Headline „Stoppt den Terror der Jung-Roten!“ nicht. Es ging um Stimmungen, beide Seiten – Springer und die Studenten – imaginierten einen Bürgerkrieg, zu dem es dann zum Glück nicht kam. Dutschke selber hatte in eine Rede gesagt: „Wir kennen zurzeit nur einen Terror: Und das ist der Terror gegen unmenschliche Maschinerie. Die Rotationsmaschinerie von Springer in die Luft zu jagen und dabei keine Menschen zu vernichten, scheint mir eine emanzipierende Tat zu sein.“

Die Schüsse haben die Republik verändert

In den Tagen nach den drei Schüssen vom Kurfürstendamm bemühten sich die Zeitungen des Springer-Verlags um Deeskalation. Die „Berliner Morgenpost“ machte am 12. April mit der nüchternen Schlagzeile „Einhellige Empörung über Schüsse auf Dutschke“ auf. Aber „Bild“ und „Welt“ blieben Bastionen des Antikommunismus, während die „Enteignet Springer“-Kampagne der Studenten und ihre Forderungen nach einer Gegenöffentlichkeit im Anschluss an den Tunix-Kongress von 1978 zur Gründung der alternativen „taz“ führte.

Die Schüsse vom 11. April 1968 haben die Republik verändert. Rudi Dutschke ging gleich nach seiner Genesung ins Exil, die Revolte hatte mit ihm ihren wichtigsten Kopf und besten Rhetor verloren. Für den größten Teil der Bewegung begann anschließend der Marsch durch die Institutionen, ein kleiner radikaler Kern wählte den Weg in Untergrund und Terror. Im Grunde war 1968 in Deutschland nach den Oster-Auseinandersetzungen schon fast wieder vorbei, so wie 1968 in Frankreich im kurzen revolutionären Pariser Sommer enden sollte. Im Jahr 2000 machte der Springer-Verlag den Protestsänger Wolf Biermann zum Chef-Kulturkorrespondenten der „Welt“. Eine versöhnliche Pointe.

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