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Blick in die Eröffungsausstellung der Neuen Nationalgalerie im September 1968 mit Kunst von Hans Arp und Piet Mondrian.

© SMB/Reinhard Friedrich

50 Jahre Jubiläumsfeier: Neue Nationalgalerie - der Tempel von Tiergarten

Vor einem halben Jahrhundert eröffnete Mies’ Neue Nationalgalerie. Am Wochenende wird auf der Baustelle gefeiert. Eine Berliner Tradition, könnte man sagen.

Als sich vor zwanzig und mehr Jahren die Kräne über Dutzenden von Großbaustellen in Berlins alter, neuer Mitte drehten, entstand ein neuer Typus von Ereignis: Ohne lang auf Richtfest oder gar Einweihung zu warten, feierte man das Bauen an sich. Den Vogel schoss der Daimler-Konzern ab, der ein „Ballett der Kräne“ auf seiner Mega-Baustelle am Potsdamer Platz tanzen ließ, Daniel Barenboim dirigierte.

Ganz so ausufernd wird das „Baustellenfest“ nicht werden, das der rührige Verein der Freunde der Nationalgalerie gemeinsam mit den Staatlichen Museen am kommenden Wochenende in der Neuen Nationalgalerie feiern wird. Genauer: in ihrer Hülle. Wer über den festungsartigen Bauzaun hinüberblicken kann, sieht das Traggerüst des Bauwerks, dessen zuvor gläserne Seitenwände nun von Plastikplanen verhüllt sind. Die Steinplatten des Podiums, auf dem sich die Halle erhebt und das seinerseits die Decke der darunter liegenden Lager-, Ausstellungs- und Verwaltungsräume bildet, sind abgetragen. Man wäre wohl kaum erstaunt, die hydraulischen Hubpressen des legendären Aufrichtungsvorgangs am 5. April 1967 wieder angelegt zu sehen, um die stählerne Deckenplatte nun in umgekehrter Richtung wieder auf den Boden herunterzulassen.

Von Anfang an wurde Mies' Meisterwerk bewundert

Dazu kommt es gottlob nicht. Der Stahl der Decke und seiner acht außen liegenden Stützen hat dem Zahn der Zeit widerstanden, fünfzig Jahre lang, ein halbes Jahrhundert seit der Einweihung im Herbst 1968. Es hat mancherlei Reparaturen am Bauwerk gegeben, doch nie eine gründliche Instandhaltung; jetzt ist eben die Generalsanierung fällig, die dem beauftragten Architekten David Chipperfield Gelegenheit gibt, „so viel Mies als möglich“ in den Kunsttempel zurückzubringen, so viel, wie Ludwig Mies van der Rohe einst auf den Zeichentischen seines Chicagoer Büros ersonnen hat. Von Beginn an wurde die Meisterschaft dieses Bauwerks erkannt und bewundert. Es gibt keine Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts, in der Mies’ Geniestreich nicht verzeichnet wäre; und sei es nur, um mit dem Widerspruch zwischen der vollkommenen Form und der weniger vollkommenen Funktion zu hadern. Funktional hat der Museumsbau Mängel, die man freilich ebenso gut einer unangemessenen Nutzung zuschreiben kann.

Beauftragt wurde Mies van der Rohe, der 1938 in die USA emigrierte letzte Direktor des Bauhauses, 1962 unmittelbar vom West-Berliner Senat. Es war dieser Vorgang, der heute eine Armada von Verbands- und Interessenvertretern auf die Barrikaden treiben würde, gedacht als ein Zeichen individueller Wiedergutmachung an einem der herausragenden Architekten der Weimarer Republik. Mies, der 1886 geborene Sohn eines Aachener Steinmetzen, hat sich beinahe nie politisch geäußert; doch über seine Haltung konnte es keinen Zweifel geben. Der Koordinator der von der völkischen Rechten als „Araberdorf“ geschmähten Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927, mit der das „neue bauen“ zum Signum der Weimarer Republik aufstieg, bildete architektonisch den denkbar entferntesten Gegenpol zu Hitlers Lieblingsbaumeister Albert Speer.

Mies bezog sich auf Schinkel, ohne ihn zu kopieren

Er starb 1969 in Chicago; die Eröffnung seines Meisterwerks hatte er nicht mehr miterlebt. Der Besuch auf der Baustelle zum Hochstemmen des 1250 Tonnen schweren Daches war sein letzter Aufenthalt in Berlin, wo seine Laufbahn ihren Anfang genommen und erste Höhepunkte erreicht hatte. Mies ließ sich im Mercedes bis unter das in halber Höhe hängende Stahlgitter fahren. „Und als die Platte sich langsam in die Höhe hob“, hat er danach in seinem nie verlorenen rheinischen Tonfall gesagt, „da habe ich gestaunt.“

David Chipperfield, der 1953 in London gebürtige Architekt des Wiederaufbaus des Neuen Museums auf der Museumsinsel und deren Eingangsgebäude namens James-Simon-Galerie, ist die gebotene Wahl für das mindestens 110 Millionen Euro teure Sanierungsvorhaben der Neuen Nationalgalerie. Wobei Chipperfield, das sei festgehalten, 2014 als Sieger aus dem entsprechenden Wettbewerb hervorging. Über mittlerweile ein Vierteljahrhundert hat er sich in die Berliner Museumsarchitektur eingearbeitet, hat Schinkel, den Baumeister des Alten Museums am Lustgarten, förmlich aufgesogen.

Was bedeutet, dass er ihn gerade nicht nachahmt – so wenig, wie Mies Schinkel nachahmt, den er doch vor dem Ersten Weltkrieg als Novize im Architekturbüro von Peter Behrens eingehend studiert hat. Es liegt für jeden Betrachter offen zutage, dass Mies’ Tempel sich auf Schinkels Tempel bezieht, dass der Ältere in Formen baut, die aus dem Repertoire der Antike schöpften und doch Neues ergaben, und der Jüngere ebenso aus dem Vorrat der bereits klassisch gewordenen Moderne, ohne Vorangehendes zu repetieren. Es muss der Architekt eine Persönlichkeit sein, um sich in diesem Spannungsfeld ohne Eitelkeit zu bewegen und zu sagen, wie Chipperfield es getan hat: „So viel Mies wie möglich.“

Nicht nur Ausstellungen sollen hier stattfinden

Über die Einzelheiten der Generalsanierung wird die Öffentlichkeit durch die heutige Pressekonferenz Näheres erfahren, und das interessierte Publikum bei der Begehung am Wochenende. Von den sorgfältig geborgenen Einzelteilen von Gebäude und Ausstattung, die nach Reinigung und Ertüchtigung wieder am ursprünglichen Ort Verwendung finden werden, wird die Rede sein, von behutsamer Zurückführung späterer Einbauten, von der wiedergewonnenen Klarheit des ganzen Bauwerks.

Ja, es war ein Museum, das Mies zu bauen beauftragt war. Das Land Berlin hatte eine „Galerie des XX. Jahrhunderts“ gegründet, um nach der kulturellen Verwüstung der Nazi-Zeit erneut zu sammeln, was ab 1937 verschleudert worden war. Dieser Sammlung sollte der Neubau dienen. Noch während der Planung erfolgte die Vereinigung mit dem Restbestand der Nationalgalerie im Verbund der Staatlichen Museen. Das 19. und 20. Jahrhundert der Kunst fand im Untergeschoss Platz. Die gläserne Halle war Sonderausstellungen zugedacht. Etliche hat es seither gegeben, in der die weite, bis auf die marmorverkleideten Belüftungsschächte stützenlose Hülle ihre Paraderolle des freien und doch bergenden Raums ausspielen konnte.

Die Kunst des 19. Jahrhunderts ist längst auf die Museumsinsel in den angestammten Bau der Alten Nationalgalerie zurückgekehrt. Für die Kunst des gleichfalls abgeschlossenen 20. Jahrhunderts wird in nächster Nachbarschaft ein Neubau hochgezogen. Die Neue Nationalgalerie ist als Ort wechselnder „Bespielung“ vorgesehen, was nicht nur Ausstellung meinen muss; 1978 fand die Halle schon einmal als Arena eines Festwochenprogramms zum Thema „Zirkus“ Verwendung. Alles hat der Bau ausgehalten. Ganz zum Schluss, ehe die Handwerker einzogen, hat Chipperfield vor vier Jahren die Halle in einen Wald 143 nackter Baumstämme verwandelt. Es war dies ein poetisches Bild – auch für die Geschichte der Architektur selbst, die aus dem Holzbau entstand und zu einer solchen Kunstform gelangte wie der großen Halle aus Stahl und Glas.

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