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„Toni Erdmann“-Award. Regisseurin Maren Ade und Schauspielerin Sandra Hüller mit dem Deutschen Filmpreis.

© Pedersen/dpa

50 Jahre deutsche Filmförderung: Qualitätskino statt Blockbuster

Kommerzielle Erfolge belohnen oder anspruchsvolle Filme ermöglichen? Neue Leitlinien der deutschen Filmförderung gefährden die Vielfalt des Kinos.

Von Andreas Busche

340 Millionen Euro sind eine Menge Geld. So viel kosten in Hollywood ungefähr zwei Blockbuster, die weltweit genug Geld einspielen müssen, um die Jahresbilanz der US-Filmindustrie aufzupolieren. Tentpole Movies heißen diese Mega-Produktionen branchenintern, Zeltstangen-Filme. Sie stellen das wirtschaftliche Rückgrat in der Mischkalkulation der US-Filmindustrie dar, die die kleineren bis mittleren Produktionen plus zwei kostspielige Flops pro Jahr mittragen.

340 Millionen Euro beträgt das Gesamtvolumen der deutschen Filmförderung. Dieser Betrag dient jedoch nicht als Stütze einer fragilen Zeltkonstruktion; er stellt, um im Bild zu bleiben, das komplette Zelt dar. Man könnte auch sagen: Ohne dieses Geld gäbe es keinen deutschen Film. 2017 sahen 28,3 Millionen Kinogänger die 233 deutschen Filme, die insgesamt 244 Millionen Euro einspielten. Mit anderen Worten: Das deutsche Kino ist eine Subventionswirtschaft. Das liegt nicht zuletzt an der Größe des deutschsprachigen Marktes.

Das Problem wurde schon vor fünfzig Jahren erkannt. Auf den Boom des Nachkriegskinos, der weitgehend auf dem Nachlass des Ufa-Konzerns und der Rückkehr von Exilanten wie Fritz Lang basierte, folgte die große Ernüchterung. Die westdeutsche Filmindustrie konnte mit der Übermacht aus Hollywood nicht länger mithalten. Sie erlebte erst einen Besucherrückgang, dann ein Kinosterben. Während die jungen Autorenfilmer, die 1962 das Oberhausener Manifest verfasst hatten, sich von den alten Seilschaften der Filmindustrie kurzgehalten fühlten. „Jahresproduktion 72 Filme, vorwiegend Neuer Deutscher Film (27 Prozent), Sexfilme (27 Prozent) und Krimis“, fasste der Kritiker Joe Hembus die Situation 1967 zusammen.

Verhältnis von Referenz- und Projektförderung ist ein Streitpunkt

Als Reaktion wurde im folgenden Jahr ein Filmfördergesetz (FFG) ratifiziert, das den deutschen Film national wettbewerbsfähig machen sollte. Festgelegt war darin unter anderem eine Abgabepflicht für alle Kinobetreiber, zehn Pfennig pro Kinokarte. Das Fördersystem beruhte anfangs auf dem Prinzip Belohnung: Produzenten, deren Filme mindestens eine halbe Millionen DM einspielten, erhielten 150 000 DM für eine Folgeproduktion; bei „qualitativ hochwertigen“ Filmen lag die Fördersumme sogar bei 250 000 DM.

Schon der erste Entwurf des FFG unterschied also zwischen kommerziellen und künstlerischen Kriterien – wobei letztere bis heute nicht klar definiert sind (abgesehen von Filmpreisen und Festivalteilnahmen). 1974 wurde die Projektförderung ins Leben gerufen, die Produzenten für geplante Filme beantragen konnten. Das Verhältnis von Referenz- und Projektförderung ist bis heute ein Streitpunkt. Dieser Streit dreht sich im Wesentlichen um die Frage, ob das hiesige Fördersystem dafür da sein sollte, kommerzielle Erfolge zusätzlich zu belohnen oder schwierige, anspruchsvolle Filme zu ermöglichen.

Entscheidungsgewalt über gut ein Viertel der 340 Millionen Euro hat die am 6. März 1968 gegründete Filmförderanstalt (FFA). Im Jubiläumsjahr 2018 verteilt sie 77 Millionen Euro aus den Abgaben der Filmwirtschaft, zu der neben Kinobetreibern und Verleihern auch die Fernsehanstalten sowie die Homevideo-Anbieter gehören. 125 Millionen Euro kommen aus dem Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), ein weiterer beträchtlicher Anteil stammt von den regionalen Förderanstalten wie dem Medienboard Berlin-Brandenburg.

Grütters kritisiert neue Leitlinien

Das Doppeljubiläum von 50 Jahren Filmfördergesetz und Filmförderanstalt klingt nach einer tollen Erfolgsgeschichte, doch die Realität sieht anders aus. Das FFG, das den Handlungsrahmen der FFA vorgibt, ist über Jahrzehnte zu einem komplizierten Gesetzeswerk angewachsen, das den Entwicklungen in einer sich rasant wandelnden Kinobranche Rechnung zu tragen versucht. Richtig zufrieden sind aber nur die, die von dem System profitieren: die Fernsehsender, die sich ihre gesetzlich geregelten Zwangsabgaben über ko-finanzierte Eigenproduktionen wieder reinholen können, und die Verwerter (Verleiher, Vertriebe, Kinos), an die erzielte Gewinne zuerst ausgeschüttet werden. Unter den restlichen Akteuren regt sich Unmut, ein altes Dilemma der FFA: Sie kann es nicht allen recht machen.

Erst im vergangenen Sommer überraschte die Bundesanstalt mit neuen Leitlinien. Für eine Projektförderung sollen künftig nur Filme infrage kommen, die mindestens 2,5 Millionen Euro kosten und das Potenzial für 250 000 Kinobesucher haben. Doch die Kriterien, wie man den Erfolg eines Films im Voraus projiziert, sind vage. Die drei Überraschungserfolge der jüngsten Zeit, Jan-Ole Gersters „Oh Boy“, Sebastian Schippers „Victoria“ und Maren Ades „Toni Erdmann“, hätte wohl keiner der Auguren in den Vergabegremien vorhersehen können. Das zeigt nur, wie schwer kalkulierbar Erfolgsaussichten sind, die die FFA – auf massiven Druck des Hauptverbands deutscher Filmtheater und der Gilde deutscher Filmkunsttheater – als oberstes Förderkriterium durchsetzen möchte. Die Absicht dahinter ist klar: Mehr „publikumsstarke Arthouse-Filme im mittleren Segment“ (O-Ton FFA), also Kaliber wie „Toni Erdmann“. Und weniger kleine Filme mit unter 10 000 Zuschauern, die die Leinwände „verstopfen“.

Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters kritisiert die neuen Leitlinien, die Paragraf 1 des FFG sehr frei interpretieren. Demzufolge besteht der Auftrag der FFA nämlich darin, „die kreativ-künstlerische Qualität des deutschen Films als Voraussetzung für seinen Erfolg im Inland und Ausland“ zu fördern. Die Ausrichtung auf rein wirtschaftliche Kriterien, so Grütters, werde „dem deutschen Kinofilm als Kultur- und Wirtschaftsgut in seiner Vielfalt nicht gerecht“.

Eine außergewöhnliche starke Phase des deutschen Kinos

Aber auch mittelständische Produzenten können kaum zufrieden sein, wenn selbst bei einem internationalen Hit wie „Toni Erdmann“, der in 33 Ländern lief, nach Abzug aller Gewinne für die Verwerter nicht mal genug Geld übrig bleibt, um den nächsten Film vorzufinanzieren. Sie bleiben von Fördergremien und Fernsehredaktionen abhängig, die lieber auf Nummer sicher gehen. Man muss sich also nicht wundern, dass das hoch subventionierte deutsche Kino in Europa, anders als arme Filmnationen wie Griechenland, Polen, Rumänien oder Portugal, keinen sonderlich hohen Stellenwert genießt.

Gut für die FFA, dass ihr 50. Geburtstag in eine außergewöhnlich starke Phase des deutschen Kinos fällt – mit einer Dauerpräsenz in Cannes, Venedig, Sundance und Toronto. An der Meinungsverschiedenheit mit Grütters zeichnet sich allerdings eine Neuausrichtung ab. Es scheint, als möchte die FFA die Zuständigkeit für kommerziell weniger erfolgversprechende Filme am liebsten an die Grütters-Behörde abgeben, nachdem deren kulturelle Filmförderung gerade auf 18 Millionen aufgestockt wurde. Abgesehen von diesem Einzelposten ist Kulturförderung auf Bundesebene aber Wirtschaftsförderung, auch darum wurde 1987 das Kriterium „Qualität“ fest (wenn auch vage) im FFG verankert.

Die neuen Leitlinien hätten zur Folge, dass die Förderwürdigkeit eines Films noch stärker an wirtschaftlichen Faktoren gemessen wird. Damit wäre die bedrohte Vielfalt des deutschen Kinos weiter gefährdet. Das Jubiläum der Filmförderanstalt ist eine gute Gelegenheit, sich auf vergangene Errungenschaften zu besinnen. Die Vergangenheit genießt in der FFA allerdings keine besondere Priorität. Auch die Sicherung des Filmerbes ist mit jährlich drei Millionen Euro deutlich unterfinanziert.

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