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Es war einmal einmal vier junge Männer. Auf dem Weg zum allerersten Konzert im Januar 1988. Brett Dean, Andreas Wittmann, Frank Dodge mit Cello und Phillip Moll (von links).

© Norbert Michalke

30 Jahre Spectrum Concerts: Es gibt nichts Neues, außer man lernt es

Unermüdlich erfindungsreich: Der Cellist Frank Dodge feiert mit seinen Berliner Spectrum Concerts 30-jähriges Bestehen.

Musik bewegt Menschen, aber wie bewegen Menschen Musik? Die „Spectrum Concerts Berlin“ haben darauf eine ganz eigene Antwort gefunden. Seit nunmehr 30 Jahren kann man über diese Kammermusikreihe nur staunen, über die Qualität ihrer Aufführungen, die ungewöhnlichen Programme oder ganz einfach den Mut, stets aufs Neue ins Ungewisse zu planen. „Das Tafelsilber des Berliner Musiklebens“ wurde Spectrum bereits genannt, oder einfach „One of the finest Konzertadressen in town“.

Heute eifern viele Musiker Spectrum nach, und freie, flexible Initiativen sind nichts Ungewöhnliches mehr. In der wohlsubventionierten Musiklandschaft im West-Deutschland der achtziger Jahre waren sie eigentlich undenkbar. Nur ein Amerikaner konnte so etwas Verrücktes stemmen: Planen ohne Geld, unermüdliches Klinkenputzen bei Institutionen (erfolglos) und Privatpersonen (erfolgreicher), Musiker mit knappen Freundschaftsgagen bei Laune halten und bei alldem stets unerschütterlichen Optimismus an den Tag legen.

Doch Frank Dodge, der als Spectrums Gründer und künstlerischer Leiter all dies quasi im Einmannbetrieb verantwortet, tat einfach, was getan werden musste. „Schon 1969 habe ich ein Kammermusikfestival in Porthmouth gegründet“, sagt der aus Boston gebürtige Cellist, der auch heute noch in seinen Konzerten immer wieder zum Instrument greift. Damals war Dodge 19 Jahre alt. In Berlin verließ er seinen gut dotierten Philharmonikerposten, „denn ich wollte nicht dick werden“.

Europa und die Neue Welt

Interessanter erschien es ihm, dem Mangel an Kammermusikveranstaltungen in der eingemauerten Halbstadt abzuhelfen. Und so fand das erste Konzert am 22. Januar 1988 mit Werken von Beethoven, Dvorák, Tison Street und Robert Helps statt. Mi-Kyung Lee, Philip Moll und der Philharmoniker Brett Dean waren die Musiker der ersten Stunde, man spielte in der Akademie der Künste, im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek oder im Neuen Palais in Potsdam. Auf Anhieb zeigte sich hier die Essenz der Spectrum-Programmgestaltung, das Kernrepertoire des 18. und 19. Jahrhunderts mit neuer Musik zu kombinieren – damals keine Selbstverständlichkeit! Auch die Idee, das alte Europa und die Neue Welt sich im Konzert begegnen zu lassen, war neu und ungewöhnlich.

Kultureller Austausch konnte und sollte der deutsch-amerikanischen Freundschaft, die gerade im studentenbewegten Westberlin immer wieder auf den Prüfstand geriet, eine neue Basis geben. Nicht umsonst gehörten später der amerikanische Botschafter John Kornblum und Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu den Ehrenmitgliedern des Spectrum-Fördervereins.

Gravitationszentrum Nadia Boulanger in Paris

Dodge bekräftigte dies mit einer „American Music Week“, bei der die Komponisten Gunther Schuller, Gloria Coates, John Harbison und Robert Helps auftraten. Helps blieb zu seinem Tod 2001 Spectrum auch als Pianist eng verbunden. Im Jubiläumskonzert am kommenden Montag erklingt sein „Nocturne“ für Streichquartett. Zuvor schon war Dodge mit Berliner Musikstudenten auf USA-Tournee gegangen, ließ sie 1991 und 1992 in Boston, New York und Florida mit amerikanischen Komponisten zusammentreffen. Schnell sprach man vom „deutsch-amerikanischen Brückenschlag“, ein Terminus, der dem jugendlichen 68-Jährigen gar nicht mehr so lieb ist: „Das sind doch keine getrennten Welten. Das ist ein Zusammenhang, eine Wurzel, eine Kultur. Jeder amerikanische Musiker, der auf sich hielt, ging zu Nadia Boulanger nach Paris. Daran sollte man sich erinnern.“

Tourneen in die USA, dabei der erste Auftritt 2006 in der Carnegie Hall New York, glichen also Freundes- und Familientreffen, bei denen die Crème internationaler Musiker zusammenkam. So ernst hier das Streichsextett des von den Nazis verfolgten Erwin Schulhoff, das Klarinettenquartett von Krzysztof Penderecki oder Schönbergs „Verklärte Nacht“ klangen, so sehr die Tapisserien des Malers Alan Magee unter dem Motto „Trauerarbeit“ an die dunkelsten Flecken deutscher und amerikanischer Geschichte erinnerten: Hinter den Kulissen regierte Wiedersehensfreude und Spaß.

Janine Jansen, Julia Maria Kretz, Lars Wouters van den Oudenwejer, Maxim Rysanov und Jens Peter Maintz gehörten zum festen Ensemblekern, der sich auch in Berlin in bewährten Werken von Brahms und Schostakowitsch, Entdeckungen wie von Arensky und Tanejew, George Enescu und Erich Wolfgang Korngold blind vertrauen konnte, sich auf den Proben mit wenigen Worten und vielen Scherzen verständigte. Nach New York und Los Angeles nahm man zwei Jahre später Ernst Toch mit, den nach Kalifornien geflüchteten „am gründlichsten vergessenen Komponisten des 20. Jahrhunderts“, dessen Werke nun in Lion Feuchtwangers „Villa Aurora“ auf seinem eigenen Flügel erklingen konnten.

Herzerwärmende Gastfreundschaft im Kosovo

„Janine hat sicher für einen Qualitätsschub im Ensemble gesorgt“, meint Frank Dodge. Die renommierte holländische Geigerin gehört seit 1998 zu Spectrum. Heute tritt sie seltener dort auf. Mit Boris Brovtsyn, Alexander Sitkovetsky oder Valery Sokolov herrscht ein etwas anderer Ton, noch ausgeglichener, wie Dodge findet, weil die Stargeigerin ganz automatisch ehrfürchtige Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sitkovetskys Lockerheit und Charisma machten ihn zum beliebtesten Dozenten bei den Spectrum-Kursen im Kosovo – einem neuen Betätigungsfeld seit 1913.

Das Erlebnis der maroden Musikschule im noch Kriegsspuren zeigenden Städtchen Prizren erinnerte an die deutsche Nachkriegszeit, die kulturelle Vielfalt von Albanern, Türken und Serben war faszinierend, die Gastfreundschaft der jungen Leute herzerwärmend. Bereits zweimal fanden „Berlin Auditions“ in Prizren und Gjakova statt. Musiker sehr unterschiedlicher Qualität können hier voneinander lernen, wie Dodge dies selbst mit seinem Lehrer Broadus Earle an der Yale University erfuhr – „man lernt nichts Neues, wenn alle dasselbe Niveau haben“.

Hajrullah Sylas „Lotët e nënës“ (Die Tränen der Mutter) wurde hier aufgeführt, das Werk eines 1991 geborenen Komponisten aus dem Kosovo mit archaisch-experimentellen Qualitäten. Auch als Anwalt des ganz Neuen hat sich Spectrum verdient gemacht, um die Bulgarin Dobrinka Tabakova etwa oder die Amerikanerin Laura Schwendinger, vor allem aber um Ursula Mamlok, die nach 60 Jahren USA-Exil in ihre Geburtsstadt Berlin zurückkehrte. Spectrum richtete der jüdischen Komponistin 2013 nicht nur ein Konzert zum 90. Geburtstag aus, sondern besorgte auch die Uraufführung ihres Quintetts „Breeze“. Darüber hinaus war die rüstige alte Dame unermüdlicher Gast der legendären „Noodle Parties“ nach den Spectrum-Konzerten, der auch die drei Treppen hinauf zu Dodges Wohnung nicht scheute.

www.spectrumconcerts.com, Mo 21. 1., Kammermusiksaal, 20 Uhr

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