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Figuren tanzen lassen. Die Schaubude am Prenzlauer Berg.

© Badaboom Berlin

25 Jahre Puppentheater Schaubude: Kaspar ist ein Anarchist

Aufstand der Schreibmaschinen: Das Berliner Puppentheater Schaubude feiert seinen 25. Geburtstag mit einem Festival der Dinge.

Der erste Kampf beginnt gleich am Morgen. Wo ist eine Toilette? Die Frage gewinnt eine sehr existenzielle Dringlichkeit, wenn man auf der Straße lebt. Oder Frau. Denn es sind weibliche Obdachlose, denen man über Kopfhörer zuhört, wie sie von ihrem Dasein im Draußen berichten. Von gestohlenen Habseligkeiten, der Angst, im Schlaf angezündet zu werden, oder von schlechten Ratschlägen der verbliebenen Wohlmeinenden: „Du könntest doch einfach bei Bekannten übernachten.“ Währenddessen baut man, zusammen mit einer Spielpartnerin oder einem Partner, auf einer Glasplatte kleine Holzhäuser auf. Setzt Miniatur-Menschen und -Autos dazu, lässt es aus dem Zuckerstreuer über die Stadt schneien und entrollt schließlich ein Transparent mit der Aufschrift: „Es ist kalt hier draußen!“

Die Installation, die im Foyer der Schaubude aufgebaut ist, trägt den Titel „Das Haus der obdachlosen Frauen“. Erfunden hat sie die katalanische Künstlerin Xesca Salvà. Insgesamt gibt es drei solcher Häuser, denen man lauschen und die man bespielen kann, und sie alle erzählen von Einsamkeit. „Das Haus der Großmutter“ hat das Alleinsein im Alter zum Thema, das „Haus der Lust“ gehört den Sexarbeiterinnen. Es sieht nach Puppenstube aus, ein Rollo lässt sich hochfahren und gibt den Blick auf Beine in roten High Heels frei, in einer oberen Etage ist ein Pornokino im Taschenformat eingerichtet.

Dazu berichten die Frauen vom Alltag im Job. Von Vorurteilen gegenüber SM zum Beispiel, was ja vermeintlich so düster sei, „aber ich lache die ganze Zeit“, berichtet eine der anonymen Stimmen. Nun könnte man denken, Salvàs Arbeit „Häuser“ verniedliche im wahrsten Sinne das in Interviews gesammelte Elend durch den Transfer ins Kleinformat. Aber das Gegenteil ist der Fall. Grade aus dem Kontrast von spielerischem Setting und trostloser Schilderung erwächst das Tragische.

Mit Tim Sandweg hat die Digitalisierung Einzug in das Theater gehalten

Die Schaubude, das Figuren- und Objekttheater an der Greifswalder Straße, feiert ihren 25-jährigen Geburtstag nach der Neugründung 1993. Gerd Taube war es damals, der das abgewickelte Staatliche Puppentheater Ost auf neue Beine stellte und erstmals einen Spielplan für Erwachsene etablierte. Das Genre hatte zu der Zeit noch mit Vorurteilen zu kämpfen, wurde mit dem falschen Bild vom Kaspar assoziiert (der ja kein Hampelmann, sondern ein waschechter Anarcho ist).

Intendantin Silvia Brendenal, die das Haus 1997 übernahm, internationalisierte in den folgenden Jahren das Programm – maßgeblich beeinflusst vom französischen Théâtre d’objets, das ähnlich dem Neuen Zirkus im Nachbarland schon lange viel avantgardistischer unterwegs war als das deutsche Pendant.

Mit Tim Sandweg, der die Schaubude nun seit 2015 leitet, hat neben vielem anderen die Digitalisierung Einzug ins Berliner Figuren- und Objekttheater gehalten. Tolle Festivals auf der Höhe der Zeit hat es seitdem an der Greifswalder Straße gegeben, etwa das internationale „Theater der Dinge“ unter dem Tocotronic-Motto „Digital ist besser“. Die nächste Ausgabe steht im November an. Schon bemerkenswert, mit welchem Geschwindigkeitsvorsprung vor dem Sprechtheater die Figuren- und Objektkünstler bisweilen auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren vermögen.

Das Verlangen nach Unterhaltung wird gefeiert und hinterfragt

Jetzt ist aber erst mal der Geburtstag dran. Und zu dem beschenkt sich das Haus mit einem „Jubiläumskonzert der Dinge“, das neben den Häusern der Verlorenheit noch zwei weitere eindrucksvolle Arbeiten umfasst. Die Installation „No em va fer Joan Brossa – Ich entstamme nicht Joan Brossa“ der ebenfalls katalanischen Gruppe Cabosanroque verbeugt sich vor dem titelgebenden Dichter, Grafiker, Theater- und Filmemacher mit einem mechanischen Wunderwerk.

Es besteht aus Schreibmaschinen, die selbsttätig tippen können, einem Meer aus Bechern und Gläsern, in denen die Flüssigkeit unversehens zu blubbern beginnt und einer weißen Plane, die sich hydraulisch hebt. Ist wohl eine Anspielung auf Brossas Sonnett „halb mit einem Betttuch bedeckt“, wie sich überhaupt der gesamte, auch mechanisch musizierende Apparat aus Verweisen aufs Werk des Avantgardisten zusammensetzt. Der ist Anfangs in einer Tonaufnahme mit einer Rückschau auf seine Verwundung im Spanischen Bürgerkrieg zu hören. Erzählt, wie eine Krankenschwester sagte: „Dieser Typ wäre besser tot“.

Weit lichter geht es im „Petit Cirque“ zu, dem kleinen Zirkus, zu dem der französische Künstler Laurent Bigot einlädt. Der hat eine elektroakustische Miniatur-Manege gebaut, in der kleine Ballerina-Figuren auf dem Seil tanzen, eine Lautsprechermembran als Trampolin dient und ein Brummkreisel-Panda seine eigenwilligen Runden dreht. Zirkuspionier P.T. Barnum hätte seine Freude dran gehabt. Eine Welt geht hier auf, in der das Verlangen nach Unterhaltung gleichzeitig gefeiert und hinterfragt wird. Und das mit einer überschießenden, in jedem Detail schillernden Fantasie. Die gehört natürlich auch zum Figuren- und Objekttheater.

Schaubude Berlin, Greifswalder Straße 81-84 (Prenzlauer Berg). Nächste Vorstellungen: Freitag, 18.5., (18, 19, 21 und 22 Uhr), Samstag, 19.5., und Sonntag, 20.5. (16.30, 17.30, 20 und 21 Uhr).

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