zum Hauptinhalt

200 Jahre Völkerschlacht: Der Untergang

100.000 Tote in vier Tagen: Nie starben in Deutschland mehr Menschen in ähnlich kurzer Zeit. Die Völkerschlacht bei Leipzig vor 200 Jahren trug bereits Züge kommender, totaler Kriege.

k

Die Schlacht ist verloren, aber der Heerführer denkt nicht an Kapitulation. Er flieht. Als am 19. Oktober 1813 Preußen, Russen, Österreicher und Schweden das von Franzosen besetzte Leipzig stürmen, hat Napoleon die Stadtgrenze bereits hinter sich gelassen. Er „saß in sicherer Entfernung in der Lindenauer Mühle und hörte mit Zufriedenheit den Lärm der gewaltigen Sprengung, die er angeordnet hatte. Wenn er das Feld schon räumte, dann nicht still und leise, sondern mit einem großen Knall. Noch hundert Jahre später sollte man davon sprechen!“. So lässt die Schriftstellerin Sabine Ebert in ihrem Roman „1813 – Kriegsfeuer“ die Völkerschlacht enden – mit einer kolossalen Verpuffung.

Die Sprengung der Elsterbrücke wurde den mehr als 20 000 französischen Soldaten, die sich noch in der Stadt aufhielten, zum Verhängnis. Sie saßen in der Falle. Napoleon hatte die Brücke zerstören lassen, um die unmittelbare Verfolgung seiner geschlagenen Armee durch die alliierten Truppen zu verhindern. Aber in der Panik des überstürzten Rückzugs erfolgte die Sprengung viel zu früh. „Ein französischer General kam in dem Augenblick an die Brücke, als diese in die Luft flog“, heißt es in einer zeitgenössischen Schilderung. „Er fiel halb zerrissen mit dem Pferde und der einen Hälfte seines Körpers in die Tiefe hinab, während seine andere Körperhälfte in einen benachbarten Garten flog.“ Ein Desaster, das bei Napoleon keine Zufriedenheit ausgelöst haben dürfte.

Mit den historischen Details nimmt es Ebert nicht so genau. Ihr 930-Seiten-Roman lässt sich anstrengungsfrei lesen, weil alle Figuren so denken, sprechen und handeln, als seien sie in der Gegenwart zu Hause. Dem König von Preußen zuckt nervös das rechte Augenlid, und Napoleon herrscht einen Unterhändler an: „Mein Schwiegervater schickt mir also ein Verhandlungsangebot, hä?“

Die Völkerschlacht von Leipzig wurde bis zum Zweiten Weltkrieg als Triumph eines erwachenden deutschen Nationalismus gefeiert und ist heute beinahe vergessen. Wer weiß schon noch, welche Völker genau dort aufeinandertrafen? Oder dass eine Armee der Alliierten vom schwedischen Kronprinzen Karl Johann angeführt wurde, einem Franzosen, der das Kriegshandwerk als Marschall bei Napoleon gelernt hatte? Aber als Narrativ besitzen die Napoleonischen Kriege noch immer Strahlkraft. Der historische Reißer „1813 – Kriegsfeuer“ rangiert seit Monaten auf der „Spiegel“–Bestsellerliste.

Rauch am Horizont, Blut in den Straßen. Der Künstler Yadegar Asisi hat die Schrecken der Völkerschlacht als 11 Meter breites und 32 Meter hohes Panorama-Bild rekonstruiert.. Am rechten Bildrand: die Thomaskirche.
Rauch am Horizont, Blut in den Straßen. Der Künstler Yadegar Asisi hat die Schrecken der Völkerschlacht als 11 Meter breites und 32 Meter hohes Panorama-Bild rekonstruiert.. Am rechten Bildrand: die Thomaskirche.

© Jan Woitas/dpa

Die Völkerschlacht markiert eine Zeitenwende und einen Superlativ. Etwa hunderttausend Menschen starben in dem viertägigen, erbittert geführten Kampf. „Nie hat es in Deutschland mehr Tote in so kurzer Zeit gegeben, nicht in der Varusschlacht, nicht bei der Erstürmung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg, nicht bei den Bombenangriffen auf Hamburg oder Dresden im Zweiten Weltkrieg“, schreibt Andreas Platthaus in seinem gerade erschienenen, umfassend recherchierten Buch „1813. Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt“. Leipzig war der Anfang vom Ende der französischen Herrschaft über Europa, eine Volksschlacht, die bereits Züge kommender, totaler Kriege trug.

Für Napoleon schien sich nach dem verlustreichen Rückzug aus Russland das Kriegsglück gewendet zu haben, doch er hatte noch einmal eine Streitmacht von fast 200 000 Mann zusammenziehen können. Ihnen standen rund 340 000 alliierte Soldaten gegenüber. Dem Kaiser der Franzosen, von Clausewitz „Kriegsgott“ genannt, eilte noch immer der Ruf voraus, in offener Schlacht unbesiegbar zu sein.

Seine Erfolge waren der besonderen Dynamik seiner militärischen Operationen geschuldet. Napoleon hatte mit der alten Regel gebrochen, den Nachschub im Tross mitzuführen, deshalb konnten die Gegner den Bewegungen seiner Truppen nur schwer folgen. Aber dieser Vorteil war dahin, die Alliierten kopierten die Taktik. Nun waren es russische Kosaken, die ihre Attacken mit der größtmöglichen Geschwindigkeit ausführten.

Völkerschlacht: Für die Franzosen war Leipzig des ideale Terrain

„Ich schreibe Dir am Morgen einer Schlacht, wie sie in der Weltgeschichte kaum gefochten ist“, schrieb der preußische Generalstabschef August Neidhardt von Gneisenau in einem Brief an seine Frau. „Wir haben den französischen Kaiser ganz umstellt. Diese Schlacht wird über das Schicksal Europas entscheiden.“ Ursprünglich hatte Napoleon Berlin erobern wollen, doch nach einer Niederlage seiner Truppen bei Großbeeren war der Plan gescheitert. Drei alliierte Heere kreisten die Franzosen in Sachsen ein, der Weg heraus nach Westen führte über den Knotenpunkt Leipzig.

Für die Franzosen war die Handelsstadt Leipzig ein ideales militärisches Terrain. Ohne Tross waren sie darauf angewiesen, Lebensmittel aus ihrer Umgebung zu requirieren. Für die Zivilbevölkerung blieb kaum Nahrung übrig. „Schon ward jeder Brotwagen, der vom Land hereinkam, mit mehr als 50 Bedürftigen verfolgt, die das Brot gern mit Geld aufwogen“, heißt es in einer Quelle. Die Stadt war von Napoleons Soldaten zur Festung ausgebaut worden, im Lauf der Kämpfe verwandelte sie sich in – so Platthaus – „das größte Lazarett der Welt“. Der Gestank war bestialisch, auf dem Marktplatz mussten Passanten durch Blutlachen waten, und vor Auerbachs Hof wurden in einer Holzhütte Amputationen durchgeführt.

Die 40 000 Einwohner hatten Napoleon noch 1807 auf einem Triumphbogen als „Wiederbringer des Glücks“ bejubelt. Nun hofften die meisten von ihnen, obwohl Sachsen noch immer mit dem Korsen verbündet war, auf seine Niederlage. Die Schlacht begann auf dem Land um Leipzig, neugierig beobachtet von den Leipzigern aus den hochgelegenen Fenstern und Dachgeschossen ihrer Häuser. Um Dörfer wie Liebertwolkwitz und Möckern tobten blutige Kämpfe, mehrfach wechselten sie den Besitz. An den Sieg der Preußen bei Möckern erinnert bis heute die Möckernbrücke in Berlin.

Die Engländer beteiligten sich nur mit einer einzigen Einheit an der Schlacht. Aber dabei handelte es sich um eine Brigade von Rocketeers, die erstmals Raketen zum Einsatz brachte. Die Raketen, horizontal in Richtung Feind abgeschossen, erreichten Geschwindigkeiten von bis zu 260 Stundenkilometern. Ein Augenzeuge: „Mit entsetzlichem Zischen und Toben fahren sie in die dichten Vierecke der Franzosen und sprengen die lichterloh brennenden Männer auseinander.“

Am dritten Tag der Schlacht, dem 18. Oktober, erreichen die Kämpfe die Stadt. Die Alliierten beschießen Leipzig mit ihren Kanonen. „Alles lief und rannte, um sich in ein offenes Haus zu retten, aber die meisten waren verschlossen“, erinnerte sich der Student Christian Gottlieb Schneider später in einem Brief. „Ein Stück von einer Granate schlug 2 Stock hoch in das Fenster des Advokaten Römisch, zerschmetterte dem 3-jährigen Kinde den Arm.“ Dass die Franzosen die Schlacht verloren haben, wird offenbar, als 3000 sächsische Soldaten, angeführt von ihren Offizieren, zum alliierten Feind überlaufen. „Nirgends weist die Geschichte einen ähnlich schändlichen Verrat auf“, empörte sich der französische Marschall Macdonald, der in den Sachsen einen Sündenbock für das eigene Versagen gefunden hatte.

Napoleon entkam mit den Resten seiner Grande Armée nach Frankreich. Im April 1814 wurde er als Kaiser abgesetzt und verschwand zunächst nach Elba. Die Allianz seiner Gegner zerfiel. Und die Hoffnungen, dass die Befreiungskriege Deutschland die nationale Einheit und bürgerliche Freiheiten bringen würden? Die waren nach dem Wiener Kongress erst einmal perdu.

Andreas Platthaus: 1813. Die Völkerschlacht bei Leipzig und das Ende der alten Welt, Rowohlt Berlin, 2013, 480 S., 24,95 €; Hans-Ulrich Thamer: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon, C.H. Beck Wissen, München 2013, 126 S., 8,95 €; Arnulf Krause: Der Kampf um Freiheit. Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland, Theiss, Stuttgart 2013, 350 S., 26,95 €.

Zur Startseite