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Der Palast von Peterhof geriet bei der Einnahme durch die Wehrmacht im September 1941 in Brand. Der Wiederaufbau ist bis heute nicht abgeschlossen.

© Sovfoto/Universal Images Group

20 Jahre Duma-Gesetz zur Beutekunst: Wunden können heilen

Trotz Duma-Gesetz zur Verstaatlichung von Beutekunst: Der Deutsch-Russische Museumsdialog setzt heute wieder auf Kooperation.

Heute vor zwanzig Jahren, am 20. Juli 1999, bestätigte das Verfassungsgericht der Russischen Föderation das sogenannte Beutekunst-Gesetz, das die Duma, das Parlament, zweieinhalb Jahre zuvor beschlossen hatte, das aber wegen des hartnäckigen Widerstandes des Präsidenten Boris Jelzin bis dahin nicht hatte in Kraft treten können. Nun war es soweit. Die Beutekunst, die von der Roten Armee nach dem Sieg über Hitler-Deutschland in die Sowjetunion abtransportierten Kulturgüter aus deutschen Museen, Archiven und Privatsammlungen, wurden zum ständigen Eigentum Russlands, zu Staatseigentum erklärt. Nicht einmal der Veranlasser der Beutezüge, der Diktator und Generalissimus Stalin, hatte diesen Schritt getan. Er wusste, dass die Wunden durch geraubtes Kulturgut viel schlechter heilen als diejenigen gewöhnlicher Zerstörung, und hielt die „Trophäenkunst“, wie sie in der Sowjetunion anfangs genannt wurde, als Verhandlungsmasse für eines Tages zu verhandelnde politische Tauschgeschäfte zurück.

Mit dem (im Übrigen völkerrechtswidrigen) Duma-Gesetz von 1999 wären die umfangreichen Rückgaben von Beutekunst in den 1950er Jahren zuerst nach Dresden, dann nach Ost-Berlin nicht möglich gewesen. „Schätze der Weltkunst – von der Sowjetunion gerettet“ war 1958 eine große Ausstellung in Ost-Berlin betitelt, die die Beschlagnahmungen durch „Trophäenkommissionen“ der Roten Armee als Sicherungsaktion feierte. Und 1985 beging die DDR den 40. Jahrestag des Kriegsendes mit der fast gleichnamigen Ausstellung „Weltschätze der Kunst – der Menschheit bewahrt“ im Alten Museum. Dass die russische Duma einem Zustand Gesetzesrang verlieh, den die Sowjetpolitiker der Tauwetterperiode gerade zu beseitigen gesucht hatten, nämlich den der Inbesitznahme beschlagnahmten Kulturguts, störte die ansonsten auf Kontinuität zur untergegangen Sowjetunion bedachten Hardliner, die zu großrussischen Nationalisten gewendeten Ex-Kommunisten, nicht im Mindesten.

Das Duma-Gesetz beendete die Beutekunst-Debatte

Mit dem Duma-Gesetz zerstoben die letzten schwachen Hoffnungen, in der Beutekunst-Frage irgendwie von der Stelle zu kommen. Es war eine Diskussion der 1990er-Jahre im Gefolge der Perestrojka. Inzwischen ist es müßig, darüber nachzusinnen, welche Chancen in dieser kurzen Zeitspanne des Aufbruchs versäumt wurden. Sicherlich solche, die auf einen fairen Austausch im Lichte der historischen Ereignisse gründeten. Denn dass die russische Seite Abertausende Kulturgüter herausrücken sollte, während deutscherseits angeblich nichts zurückzuerstatten war – das wollte selbst den Gutwilligsten der russischen Gesprächspartner nicht einleuchten.

Die deutschen Kulturpolitiker wie auch Museumsleute besaßen augenscheinlich keine Kenntnis von der Dimension der Verluste, die russische Museen, Schlösser, Kulturstätten in dem vom NS-Regime aufgezwungenen Zweiten Weltkrieg erlitten hatten; so wenig wie von den Verlusten in den aus der zerfallenden Sowjetunion hervorgegangen Republiken.

Auch um dieses Missverhältnis zu bereinigen, wurde 2005 der Deutsch-Russische Museumsdialog unter Federführung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ins Leben gerufen. „Im Fokus steht die gemeinsame Erforschung der deutschen wie der russischen Kriegsverluste“, heißt es jetzt in dem soeben veröffentlichten Band „Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“.

Tatsächlich hat sich der Museumsdialog vorrangig, wenn nicht ausschließlich mit den russischen Verlusten befasst. Dabei wurden für die erste, mit der Vorlage des genannten Bandes zunächst einmal abgeschlossene Forschungsphase, die Museen der beiden altrussischen Städte Pskov und Nowgorod sowie die musealen Zarenschlösser im Umkreis von Sankt Petersburg ausgewählt. Anfangs bestand eine enorme Schwierigkeit darin – wie sich der Autor dieser Zeilen als Teilnehmer an Zusammenkünften in Berlin und Moskau erinnert –, erst einmal die innerrussische Kommunikation herzustellen.

Kriegsverluste waren in russischen Museen nur vage bekannt

Die Museen und musealen Einrichtungen kannten mehr oder weniger ihre jeweiligen Verluste; die großflächigen Verschiebungen aber, die sich durch die in kurzer Zeit und meist ohne den nötigen Fachbeistand durchgeführten Rückführungen aus dem Deutschen Reich ergaben, waren kaum oder gar nicht erfasst. Wenn die Museen in der Sowjetunion so etwas wie Inseln halbwegs freier Geistigkeit gebildet hatten, so eben auch Inseln selbstgenügsamer Abgeschlossenheit.

Das hat sich gründlich gewandelt. Seit 1999 gibt das russische Kulturministerium eine fortlaufende Dokumentation der Kriegsverluste nach Orten und Sachgebieten heraus, die auf 18 Bände in 50 Büchern angewachsen ist. Zugleich konnten die in der unmittelbaren Nachkriegszeit angegebenen, stets bis zum letzten Objekt aufaddierten Verlustzahlen der Schlösser deutlich nach unten korrigiert werden. Denn Objekte, die als Verlust katalogisiert waren, wurden nicht länger gesucht, fanden sich aber an anderen als ihren Vorkriegsstandorten wieder.

Ungeachtet dieser innerrussischen Inventur ist die Forschungsleistung zu rühmen, die in dem jetzt veröffentlichten Buch über russische Museen im Zweiten Weltkrieg vorgestellt wird. Es ist, man kann es nicht anders sagen, ein Panorama fürchterlichster Kulturbarbarei, angerichtet von deutschen Truppen und den zahllosen Institutionen des NS-Herrschaftsapparates, die ihnen folgten und unter anderem auch im Kunstraub tätig waren – darunter das von Alfred Rosenberg geleitete Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Allerdings weniger Raub als vielmehr teils gleichgültige, teils zielgerichtete Zerstörung war es, die die Zarenschlösser bis auf die Außen- oder gar Grundmauern zerstört hat: abgefackelt, zerbombt, den harschen Witterungsbedingungen preisgegeben. Zu alledem liegen fotografische Dokumente vor, nicht zuletzt von den Angehörigen der PK, der Propagandakompanien, aus denen so mancher gefeierter Reportagefotograf der Nachkriegszeit hervorging, wie der im Buch mit Fotografien vertretene Hanns Hubmann.

Das Bernsteinzimmer kehrte als Kopie in den Katharinenpalast zurück

Die Plünderungen und Zerstörungen der Kulturstätten war eingebettet in die Kriegshandlungen, das bedeutet im Falle der Zarenschlösser die Belagerung Leningrads. Zunächst wurden die im Nordwesten gelegenen Städte Pskov und Nowgorod überrollt, die Zarenschlösser folgten bis Ende September 1941. Sie alle „stehen auf sehr unterschiedliche Weise über viele Jahrhunderte für besondere Beziehungen zur Geschichte deutscher Länder, die beiden russische Städte zur mittelalterlichen Hanse, die Paläste über dynastische Verbindungen zu deutschen Fürstenhäusern“, heißt es in dem jetzt vorgelegten Buch. Dabei hatte die Wehrmacht den Auftrag, „Kulturgüter ,sicherzustellen’ und ins Reich ,zurückzubringen’, die deutscher Herkunft waren. Das aus Preußen stammende Bernsteinzimmer ist das spektakulärste Beispiel.“

Das Bernsteinzimmer ist nicht in den Katharinenpalast von Zarskoje Selo – seit Sowjetzeiten mit dem Namen Puschkin – zurückgekehrt, es wurde 2003 durch eine sorgfältige Kopie ersetzt. Aber es wurde zum Symbol der Kriegsverluste wie auch der vermeintlichen Weigerung der deutschen Seite, ernsthaft Nachforschungen nach dem Verbleib der Raubgüter zu betreiben. So ist das jetzige Buch mit seinen vielfach auf Augenzeugenberichten, Tagebüchern und Memoirenliteratur beruhenden Schilderungen das eindrucksvolle Zeugnis gemeinschaftlicher Anstrengung, die tatsächlichen Verluste zu benennen und Spuren zu sichern, die im ein oder anderen Fall doch noch zur Auffindung und Rückgabe führen können oder bereits geführt haben.

So rühmt das Buch die Rückgabe der bei Gläubigen als wundertätig geltenden Mariä-Schutz-Ikone aus Pskov, die sich bis 2002 in deutschem Privatbesitz befand, vermerkt aber beiläufig, dass „das russische Kulturministerium erst 1998 Interesse an dem Verbleib“ der immerhin seit 1970 als existent bekannten Ikone zeigte. Es ist diese Melange aus eingefahrener Gewohnheit und Untätigkeit, die der Deutsch-Russische Museumsdialog aufgeweicht hat. Auf beiden Seiten – denn nur so kommt jener Austausch im Einzelfall zustande, den das Duma-Gesetz von 1999 im Großen verhindert.

(Corinna Kuhr-Korolev, Ulrike Schmiegelt-Rietig, Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede: Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2019. 383 S. m. 125 Abb., 45 €)

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