zum Hauptinhalt
Auf Augenhöhe. Die Teilnehmer:innen des Programms treffen sich pandemiebedingt dieses Jahr nur digital. Die letzten Präsenz-Workshops bei den Berlinale Talents fanden 2020 statt.

© Peter Himsel

20 Jahre Berlinale Talents: Hier werden die Filmgrößen von morgen ausgebildet

Das Nachwuchsförderungsprogramm der Berlinale feiert runden Geburtstag. Eine der Alumnis ist Nora Fingscheidt, die jetzt in den USA dreht.

Als der Verhüllungskünstler Christo 2017 am Telefon sagt, dass er zu den Berlinale Talents kommt, fliegen im Berliner Büro von Christine Tröstrum die Arme hoch. „Wir haben gejubelt, das können Sie sich kaum vorstellen“, sagt die Kulturwissenschaftlerin, die das Programm seit 2008 leitet, seit 2014 gemeinsam mit Florian Weghorn.

Dabei ist es gar nicht so, dass Tröstrum zuvor keine prominenten Rednerinnen und Redner für die Nachwuchs- Workshops akquirieren konnte. Sie hatte bereits Wim Wenders gewonnen, seinen britischen Regie-Kollegen Mike Leigh oder den Schauspieler Dennis Hopper. Aber einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler, das war besonders aufregend und unterstrich die Interdisziplinarität des Programms.

Denn die Berlinale Talents sind ein Vernetzungstreffen für den Nachwuchs der gesamten Filmindustrie. Eingeladen werden junge Talente aus 13 Disziplinen, darunter die Bereiche Szenenbild, Vertrieb, Verleih, Filmkritik, Sound und natürlich Schauspiel, Regie und Drehbuch. Im Rahmen der Filmfestspiele finden an mehreren Tagen Podiumsdiskussionen, Workshops und Seminare statt. In diesem Jahr feiert die Kaderschmiede ihre 20. Ausgabe – Glückwunsch zum runden Geburtstag.

Rund 200 Talente werden jährlich von einem internationalen Komitee ausgewählt. Die Vorgaben für die Bewerbung: Zwei Kurzfilm- oder ein Langfilmprojekt oder eine Serie müssen eingereicht werden, die schon auf einem internationalen Filmfestival liefen. Vor allem Reflexionsfähigkeit und Neugierde seien wichtig, sagt Tröstrum.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Erfolg kann sich sehen lassen: 116 Alumnis sind bei den diesjährigen Berlinale-Beiträgen beteiligt und 35 bei Produktionen, die gerade beim Rennen um die Auslands-Oscars dabei sind. Zu den ehemaligen Teilnehmenden zählen Carla Simón, die mit „Alcarràs“ ins Bären-Rennen geht, und fünf Regisseur:innen, deren Werke in Encounters laufen. Außerdem: die Kamerafrau Ari Wegner (Jane Campions Oscar-Favorit „The Power of the Dog“), der ägyptische Produzent Hossam Elouan und: Nora Fingscheidt. Mit „Systemsprenger“ machte sie vor drei Jahren auf der Berlinale Furore.

Fingscheidt hat sogar zwei Mal bei den Talents mitgemacht

Die 38-Jährige meldet sich aus Los Angeles. Sie hat dort „Unforgivable“ gedreht, eine Netflix-Produktion mit Sandra Bullock, sie erinnert sich bestens. Es sei eine tolle Erfahrung gewesen, sich mit Filmemacherinnen aus aller Welt zu vernetzen. „Da sind Freundschaften und Kontakte entstanden, die bis heute halten.“

Fingscheidt hat sogar zwei Mal bei den Talents mitgemacht. 2012 kam sie noch als Studentin aus Ludwigsburg mit dem Zug nach Berlin und übernachtete bei Freunden. Während eines Networking-Dinners saß sie dem renommierten Sounddesigner Martin Steyer. „Es gab da keine Hierarchien, man konnte mit jedem ins Gespräch kommen.“

Regisseurin Nora Fingscheidt "Systemsprenger".
Regisseurin Nora Fingscheidt "Systemsprenger".

© Manfred Thomas

2017 hatte sie dann das Treatment für „Systemsprenger“ im Gepäck – nach der Berlinale 2019 sahen mehr als eine halbe Million Kinobesucher:innen ihren Film über ein rastloses, aggressives Mädchen, das alle Sozialarbeiter:innen komplett überfordert. „Das Feedback der anderen Teilnehmenden war spannend“, erzählt Fingscheidt.

Schon weil es einige in der Gruppe gab, die aufgrund ihrer eigenen Herkunft nichts mit dem deutschen Jugendhilfesystem anfangen konnten. Ihr Blick von außen habe „Systemsprenger“ auf jeden Fall besser gemacht.

Das Durchschnittsalter der Teilnehmer:innen liegt mittlerweile bei 34 Jahren

Gegründet wurde die Initiative vom damaligen Festivalchef Dieter Kosslick 2003 als „Berlinale Talent Campus“, gefördert wurden vor allem Studierende. „Mit der Zeit haben wir gemerkt, wie wichtig es für Filmschaffende ist, die regional schon relativ bekannt sind, beim Sprung zum internationalen Erfolg unterstützt zu werden“, sagt Tröstrum. Seit acht Jahren firmiert das Programm deshalb unter Berlinale Talents. Das Durchschnittsalter liegt jetzt bei 34 Jahren.

Nicht nur das Alter der Teilnehmer hat sich verändert, sondern auch die Umgangsform. In den ersten Jahren, sagt Tröstrum, habe es vor allem Podiumsdiskussionen gegeben. Die Stars saßen oben, die Studierenden unten und hörten zu. „Wir haben uns von hierarchischen Strukturen zu kollaborativen entwickelt.“ Das Denken und Handeln verändere sich in der Filmbranche, die Gewerke arbeiteten heute weit mehr auf Augenhöhe zusammen. Bei einem Workshop mit Wim Wenders saßen alle im Kreis auf Hockern oder Kästen, auch der Filmemacher. Tröstrum fragte ihn, ob das okay für ihn sei. „Er lachte und meinte, es gefalle ihm besser als das Podium früher.“

Auch neu: Der „Talents Tank“, bei dem fünf Tage lang über die Zukunft der Filmindustrie diskutiert wird, unter anderem über die Themen Nachhaltigkeit, Diversität und Bezahlung. Am Dienstag ist außerdem Ehrenbär-Preisträgerin Isabelle Huppert zu Gast. Unter berlinale-talents.de können alle Veranstaltungen im Livestream verfolgt werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false