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Die Preisträger (v.l.): "Futur Drei"-Regisseur Faraz Shariat, die Darsteller Benjamin Radjaipour und Banafshe Hourmazdi sowie Drehbuchautor Jacob Hauptmann ("Zeit der Monster") freuen sich über ihre First-Steps-Auszeichnungen.

© dpa/Jens Kalaene

Update

20. First-Steps-Gala in Berlin: Wild, schräg, divers: "Futur Drei" gewinnt Nachwuchs-Filmpreis

20 Jahre First Steps: Ovationen für die scheidende künstlerische Leiterin Andrea Hohnen und Preise für politische Filme: die Gala im Berliner Theater des Westens.

Kaum einer, der an diesem Abend nicht Andrea Hohnen dankt, überschwänglich, nachhaltig, auch ein bisschen erschrocken. Sie geht nach 20 Jahren, auf eigenen Wunsch, sie will noch was anderes im Leben. Aber ist das denkbar, der First-Steps-Preis, der wichtigste Nachwuchsfilmpreis im deutschsprachigen Raum, ohne seine langjährige künstlerische Leiterin?

Hohnen hatte das Projekt von Anfang an gestemmt, nachdem die Produzenten Bernd Eichinger und Nico Hofmann "in einer Weißweinlaune" (Hofmann) die Idee zu dem Nachwuchsfilmpreis entwickelt hatten. Bei der 20. First-Steps-Gala am Montagabend im Berliner Theater des Westens erhält sie den Ehrenpreis und wird tüchtig gefeiert - obwohl sie nicht gerne im Rampenlicht steht.

Andrea Hohnen wirkte immer lieber im Hintergrund, schob unermüdlich die Filme, ihre Macherinnen und Macher nach vorne. Ihre Begeisterungsfähigkeit für den jungen Film, ihre Empathie für die Kreativen, ihre Integrität, Spontanität und Tatkraft ist längst legendär. So mancher Juror, Preisträger und auch Moderator Knut Elstermann weiß Geschichten davon zu erzählen. Ulrich Matthes, Präsident der Deutschen Filmakademie, dankt ihr "auf den Knien meines Herzens", Hofmann nennt sie ein "kreatives Gesamtkunstwerk". Hohnen geht? In der Video-Hommage an die scheidende Chefin brechen Teammitglieder und Filmschaffende reihenweise zusammen.

Frauen sind anders? Aber ja: Hohnen bedankt sich für den Gestaltungsraum, für die Freiheit, die sie in 20 Jahren bei der Gestaltung von First Steps hatte. Sie konnte Umwege machen, auch mal scheitern, aus Fehlern lernen. In Dankesreden von Männern hört man so etwas kaum. Hohnen wünscht dem im Saal versammelten Filmnachwuchs die gleiche Freiheit, vor allem ein "fehlerfreundliches System". Dass ein Film, der daneben geht, nicht der letzte gewesen sein muss.

20 Jahre First Steps, das sind 20 Jahre Wagemut, 20 Jahre "Mondays for Future", sagt Ulrich Matthes zu Beginn. Gut drei Stunden dauert die Jubiläumsgala und wird dank Knut Elstermanns kurzweilig-souveräner Moderation dennoch nicht langatmig. Zahlen gefällig? 3837 Einreichungen gab es seit 1999, wobei unter den Anwärtern der Name Alexander am häufigsten vorkam, 174 Mal, gefolgt von Julia.

Menage à trois. Szene aus "Futur Drei", mit dem Darsteller-Trio Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi und Eidin Jalali.
Menage à trois. Szene aus "Futur Drei", mit dem Darsteller-Trio Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi und Eidin Jalali.

© David Uzochukwu/First Steps

Die diesjährigen Preisträger kommen bei aller Feier in eigener Sache nicht zu kurz. Als Hauptgewinner hat die Spielfilm-Jury, der unter anderem die Filmemacherin Sonja Heiss, der Schauspieler Kostja Ullmann und die "Zeit"-Filmkritikerin Katja Nicodemus angehören, "Futur Drei" von Faraz Shariat ausgezeichnet. " 'Jules et Jim' in Hildesheim" heißt es in der Jury-Begründung: Der junge Migrant Parvis lernt in einer Asylunterkunft ein iranisches Geschwisterpaar kennen; der Film begleitet die drei auf einer wilden Tour zwischen Nachtclubs und Tagesjob, die offenbar an Truffauts Meisterwerk erinnert. Eine Feier der Diversität, ein Film, so die Jury, mit einem besonderen, trockenen Humor, der auch in der Begründung anklingt: "Faraz Shariat schafft es sogar, uns Sex in weißen Tennissocken so zu zeigen, dass wir nicht dem unweigerlichen Drang nachgeben, wegzusehen." Das Hauptdarsteller-Trio Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali und Benjamin Radjaipour erhält zudem den Götz-George-Nachwuchspreis.

Preisträger Shariat: Warum sind Migranten nicht Teil des nationalen Narrativs?

Der gebürtige Kölner Shariat greift in seiner Dankesrede den Appell von Ulrich Matthes auf, der die "rechtsradikale, demokatriefeindliche, rassistische, antisemitische" AfD angeprangert und zum gesellschaftlichen Dialog aufgerufen hatte. Es gehe in "Futur Drei" auch um die Frage, warum Einwanderer bis heute nicht Teil des nationalen Narrativs geworden seien, so Shariat, und sie auch im Film meist nur in Integrationskomödien oder mit romantischem Blick auf ihre verlorene Heimat vorkämen.

Bei "Futur Drei" handelt es sich um eine sogenannte freie Einreichung, der Film entstand nicht an einer Hochschule als Semesterarbeit oder Abschlussfilm. Eine Rarität: Debütfilme auf diese Weise zu finanzieren und zu realisieren, ist schwer hierzulande. Alle anderen Preisträgerproduktionen kommen von Hochschulen.

Auffallend in diesem Jahr ist die Vielzahl der Werke mit politisch-sozialen Sujets, sie überwiegen auch unter den ausgezeichneten Produktionen. Die Preise sind mit 10.000 bis 25.000 Euro dotiert. Tuna Kaptans Kurzfilm "Hörst du, Mutter?", eine an der HFF München entstandene Arbeit, stellt eine kurdische Bäuerin in den Mittelpunkt, die für ihren untergetauchten Sohn Pullover strickt und wegen "Unterstützung terroristischer Aktivitäten" mit Hausarrest samt elektronischer Fußfessel bestraft wird. Wobei sie die verordnete Bewegungseinschränkung so starrsinnig wie schweigsam missachtet. Der Dokumentarfilm "Out of Place" von Friederike Güssefeld (ebenfalls HFF München) begleitet schwer erziehbare Jugendliche bei ihrem Arbeitseinsatz auf einem Hof in Rumänien.

Andrea Hohnen, die langjährige künstlerische Leiterin von First Steps, nimmt ihren Abschied.
Andrea Hohnen, die langjährige künstlerische Leiterin von First Steps, nimmt ihren Abschied.

© Barbara Dietl/First Steps

Noch eine Besonderheit 2019: Die 20. First-Steps-Preisträgerfilme sind noch internationaler als frühere Jahrgänge. Den Preis für den besten mittellangen Spielfilm gewinnt das in Peking spielende Sozialdrama "Ab morgen werde ich..." von Ivan Markovic (UdK Berlin), der bereits auf der Berlinale zu sehen war. Und mit dem Produzentenpreis "No Fear Award" wird Romana Janik geehrt, für die teils unter abenteuerlichen Bedingungen in Weißrussland realisierte DFFB-Produktion "1986". Darin wird eine junge Frau in den Schmuggel von radioaktiv verseuchtem Metall involviert.

Alle nominierten Dokumentarfilme stammen von Frauen

Von den insgesamt zehn Preisen gehen übrigens fünf an Frauen, vier an Männer und einer an das gemischte Darstellertrio von "Futur Drei". Bei den Dokumentarfilmen stammen sogar alle fünf nominierten Werke von Frauen. Tolle Quote, 100 Prozent. Andrea Hohnen, die "Mutter Courage des deutschen Nachwuchsfilms" (Hofmann), wird schließlich mit minutenlangen Ovationen gewürdigt. Es fällt in der Tat nicht leicht, sich First Steps ohne sie vorzustellen.

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