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Kultur: 1907 erholte sich Edvard Munch in Warnemünde von einer Krise - und begann ein neues Werk

Die Ausstellung in der Kunsthalle Rostock dokumentiert die Wandlung mit zahlreichen GemäldenUlrich Clewing Der "Warnemünder Badeanzeiger" verzeichnete ihn unter "Eduard Munch, Kunstmaler, Wohnort: Norwegen". Und so sehen wir ihn auf einem Foto: breitbeinig steht er am Strand, den Pinsel in der einen Hand, die Palette in der anderen.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Rostock dokumentiert die Wandlung mit zahlreichen GemäldenUlrich Clewing

Der "Warnemünder Badeanzeiger" verzeichnete ihn unter "Eduard Munch, Kunstmaler, Wohnort: Norwegen". Und so sehen wir ihn auf einem Foto: breitbeinig steht er am Strand, den Pinsel in der einen Hand, die Palette in der anderen. Ein Sommerfrischler, so hat es den Anschein, der Sonne und Meer genießt, wie alle anderen Feriengäste auch in dem beliebten Ostseebad.

Doch der Eindruck täuscht. Als Edvard Munch im Juni 1907 in Warnemünde eintraf, steckte er in einer tiefen Lebenskrise. Noch immer nicht war er über die Trennung von seiner Verlobten Tulla Larsen fünf Jahre zuvor hinweg. Der Schmerz und die Eifersucht, die er empfand, hatten sich bis zur Psychose gesteigert. Er trank, witterte überall Intrigen, war zerfressen von Hass und krank vor Enttäuschung. Das erste Kapitel der Ausstellung "Munch und Warnemünde" in der Kunsthalle Rostock, die bereits im Munch-Museum in Oslo zu sehen war und anschließend ins finnische Nationalmuseum Ateneum nach Helsinki wandern wird, lässt ahnen, wie es um den Künstler stand.

Um die Jahreswende 1902/03 hatte Munch das Bild "Auf dem Operationstisch" gemalt, das Grundlage wurde für eine Serie von Gemälden, die unter dem Titel "Marats Tod" oder auch "Die Mörderin" bekannt geworden sind. Munch versuchte damit ein Ereignis zu verarbeiten, das erst wenige Monate zurücklag. Während eines Streits mit Tulla Larsen in seinem Sommerhaus in Aasgaardstrand hatte Munch sich versehentlich mit einer Pistole in die linke Hand geschossen. Nach diesem dramatischen Vorfall kam es zwischen beiden zum endgültigen Bruch. Tulla löste die Verbindung mit dem 39jährigen und heiratete ein Jahr später den acht Jahre jüngeren Maler Arne Kavli. Man erkennt Munch, wie er in auffallender perspektivischer Verzerrung ausgestreckt im Operationssaal liegt, sein Kopf scheint regelrecht aus dem Bild herauszuragen. Links von ihm hält eine Krankenschwester eine mit Blut gefüllte Schüssel, hinten stehen drei Ärzte. Ihre Gesichter sind, wie das der Krankenschwester im Vordergrund, lediglich mit wenigen Pinselstrichten angedeutet.

Was man in einem Operationssaal eher nicht erwarten würde: Rechts an der Wand hängt ein Gemälde, auf dem schemenhaft zwölf Figuren zu erkennen sind. Die Position des Verletzten selbst erinnert an das Motiv Jesu Christi nach der Kreuzabnahme. Die religiösen Anspielungen sind mit Sicherheit gewollt, werden hier allerdings umgedeutet. "Du musst es verstehen", schrieb Munch einmal an Tulla Larsen, "dass ich eine Sonderstellung hier auf Erden habe." Diese Sonderstellung, so fährt er fort, beruhe auf "einem Leben voller Krankheit, unglückseligen Verhältnissen und meiner Stellung als Maler". Diese eigentümliche Mischung aus Pathos und Wehleidigkeit führte Munch dazu, Tulla die alleinige Schuld am Scheitern ihrer Beziehung zu geben. In Bildern wie "Die Mörderin (Stilleben)" von 1906 oder "Marats Tod I" von 1907, die beide in Rostock gezeigt werden, greift er die Komposition des älteren Gemäldes auf, nur dass hier an die Stelle des Krankenhauspersonals die Verlobte getreten ist, die offenbar unbeteiligt neben dem Liegenden steht. Die von Munch gewählten Titel schließlich lassen keinen Zweifel: Er sah sich als das Opfer, das für die Sünden der anderen zu büßen hat.

Die ersten Wochen in Warnemünde ist er ganz mit dem Zyklus "Das grüne Zimmer" beschäftigt. Erneut steht die Liaison mit Tulla Larsen im Mittelpunkt. Der Ort des Geschehens ist immer der gleiche: ein klaustroph enger, fensterloser Raum mit der charakteristischen grün gestreiften Tapete, der an jenes Zimmer im Haus in Aasgaardstrand erinnert, in dem damals der Schuss fiel. Munch muss besessen gewesen sein von seinem Unglück: Er schwankt zwischen Eifersucht und Begierde, und so nennt er auch die Bilder, die in der Zeit entstehen. Stilistisch lehnt er sich dabei an französische Vorbilder an. Besonders Matisse in seiner stark farbigen, fauvistischen Phase hat es ihm angetan. Doch bei Munch ist keine Spur von mediterraner Leichtigkeit. Der Maler visioniert sich und Tulla beim Spaziergang am Strand: er, ein fahler, grüngesichtiger Mann, dessen leerer Blick ins Unbestimmte schweift, sie mit einem ihrer extravaganten Hüte, das Haupt gesenkt. Sogar die Boote am Ufer scheinen von der unfrohen Stimmung ergriffen, sie wirken wie elend gestrandete große, tote Fische.

Doch langsam verändert sich Munchs Gemütsverfassung. Er fängt an, Landschaften zu malen, streng horizontal komponierte Ansichten der Promenade "Am Strom", wo der Künstler ein altes Fischerhaus gemietet hatte. Es scheint, als sei die statische Bildaufteilung, die Munch jetzt praktiziert, einher gegangen mit einer seelischen Stabilisierung. Munch lebt auf Diät, hat 15 Kilo abgenommen und sieht, so der Kunstsammler Gustav Schiefler in einem Tagebucheintrag, "unglaublich gut aus". Seine Abkehr von der düsteren Innerlichkeit gipfelt in der Arbeit an dem großformatigen Bild "Badende Männer", die er im Oktober aufnimmt. Monumental, wie die Bewegungsstudien eines Bildhauers und voller Lebenskraft treten sie uns entgegen, die unbekleideten Athleten vor strahlend blauem Himmel, die ein wenig an die lebensgroßen Figuren Ferdinand Hodlers erinnern. Es waren zwei Warnemünder Badewärter, die dafür Modell standen. Mit dem Gemälde löste Munch einen veritablen Kunstskandal aus. Man störte sich so sehr an der Nacktheit der "Badenden", dass das 1911 vom finnischen Ateneum erworbene Werk vor dem Ersten Weltkrieg kein einziges Mal in Deutschland ausgestellt werden konnte.

Dieselbe Männergruppe verwendete Munch im Jahr darauf während eines neuerlichen Aufenthalts in Warnemünde für ein, so schreibt er in einem Brief an Schiefler, "großes dekoratives Bild". Die "Altartafel für das Leben" ist zugleich Höhe- und Schlusspunkt der Rostocker Schau. Dargestellt sind die Lebensalter des Menschen - auch dies ein traditionelles christliches Thema, das die Maler seit der frühen Gotik immer wieder beschäftigt hat und im 19. Jahrhundert durch den Symbolismus des Fin de siScle eine Renaissance erlebte. Die mittlere Tafel mit den "Badenden" wird flankiert von mehreren kleineren Leinwänden unterschiedlicher Formate, darauf Personifikationen von Kindheit, Jugend, Alter und einem Greis. Und auch Warnemünde erweist Munch darin ein letztes Mal die Ehre. Hinter den Figuren liegt, in waagerechten Bahnen in Grün und Blau, das Meer, das den Maler damals, zumindest vorübergehend, seine Ruhe finden ließ.Kunsthalle Rostock, bis 29. August; Katalog 29 Mark © 1999

Ulrich Clewing

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