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Die französischen Filmpioniere Auguste und Louis Lumière.

© Ronald Grant Archive / Mary Evans

125 Jahre Kino: Zauber der lebenden Bilder

In Paris fand vor 125 Jahren die erste Kinovorführung statt. Doch zum Feiern ist der krisengeplagten Branche derzeit nicht zumute.

Von Andreas Busche

Ein wenig fühlt es sich an, als wäre das Geburtstagskind von der eigenen Party ausgeschlossen. Vor 125 Jahren, am 28. Dezember 1895, stellten die Brüder Auguste und Louis Lumière im Grand Café in Paris ihren „Cinématographe“ vor: Das 20-minütige Programm gilt als Geburtsstunde des Kinos.

Doch zum Feiern ist der Branche nicht zumute. In den meisten Ländern haben die Kinos geschlossen (Ausnahmen sind China, Singapur und Rumänien), in Frankreich wiesen die Gerichte kurz vor Weihnachten eine Klage gegen die Verlängerung des Kino-Lockdown bis zum 7. Januar ab.

In Berlin zeigten die Skladanowskys ihr ihr „Bioscop“-Programm

Und da auch Netflix kein Jubiläumsprogramm anbietet, etwa mit den schönsten Werken der Stummfilmpioniere Lumière, Georges Méliès, Edwin Porter und Louis Feuillade, bleibt uns nur, darüber zu sinnieren, in welcher Verfassung das Kino wohl im kommenden Jahr seinen 126. Geburtstag erleben wird.

Um die Feiertage brachte Disney erstmals einen Pixar-Film ohne Kinostart heraus, Warner veröffentlichte „Wonder Woman 1984“ direkt über das Bezahlportal HBO Max. Die Ära des Blockbusters, für den sich das Publikum buchstäblich bis um die nächste Straßenecke anstellt, klingt langsam aus.

Auch „Tenet“ konnte das Jahr nicht retten, 2021 ruhen nun alle Hoffnungen auf dem neuen James Bond. Die Branche schaltet ja alle paar Jahrzehnte in den Krisenmodus – in den Fünfzigern bedrohte das Fernsehen die Kinos, in den Achtzigern die Einführung von VHS-Video – aber die Kombination aus Streamingdiensten und Pandemie stellt tatsächlich eine einzigartige Gefahrenlage dar. Der Börsenkurs von Netflix schoss in die Höhe, während die Filmtheater künstlich beatmet werden.

Das frühe Kino war eine reine Jahrmarkt- und Kleinbühnen-Attraktion. Die Berliner Max und Emil Skladanowsky präsentierten am 1. November 1895, zwei Monate vor den Lumières, ihr „Bioscop“-Programm im Varieté Wintergarten in der Friedrichstraße. Ihre „Kurbelkiste“ war ein primitiver Vorläufer des „Cinématographe“.

Mit einem ähnlichen „Cinématographe“ projizierten die Brüder Lumière ihre Bilder.
Mit einem ähnlichen „Cinématographe“ projizierten die Brüder Lumière ihre Bilder.

© Guillaume Horcajuelo/dpa

Inzwischen haben die Bewegtbilder ihren unmittelbaren Zauber natürlich längst verloren, darum lohnt ein Blick in die zeitgenössische Presse der Jahrhundertwende, in der die Ankunft des Kinos wie ein Weltwunder gefeiert wurde.

Die Augenzeugen der Pariser Premiere staunten über „eine Welt, die leibt und lebt“ und die „überraschende Naturtreue“ der Bilder genauso wie nachfolgende Generationen über die Walzer tanzenden Raumschiffe in Stanley Kubricks „2001“ oder die Flüssigmetall-Effekte in „Terminator 2“. Nur einige Mäkler monierten, dass die Szenen schwarz-weiß waren, ein Rückschritt gegenüber Edisons Guckkasten-System „Kinetoscope“.

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Die zwischenzeitige Wiedereröffnung der Kinos im Sommer ließ diese Euphorie vermissen, es herrschte Misstrauen gegenüber der Erfahrung mit anderen Menschen in einem Saal zu sitzten. Es wird noch eine Weile dauern, bis das Kino diese Unschuld wiedergefunden hat. Aber es gibt auch keinen Grund zum Pessimismus. Das Kino wird nicht sterben, schon weil das Geschäftsmodell der Filmbranche immer eine Mischkalkulation war. Die Idee einer autarken Filmindustrie, angefangen mit den Studios im kalifornischen Burbank, zur Blütezeit Hollywoods, bis zur römischen Cinecittà, war tatsächlich nur kurzlebig.

Fabrikant Sollwerck sah das Kino als Ort um Schokolade zu verkaufen

Medienkonzerne wie Disney, Viacom oder Warner benötigen heute digitale Inhalte für ihre Plattformen. Aber schon der erste deutsche Kino-Entrepreneur Ludwig Stollwerck entdeckte in den 1890ern das Kino vor allem als idealen Ort, um seine Schokolade zu verkaufen. „Für die Entwicklung neuer Erfindungen zu einem neuen Medium sind Fragen der Auswertung konstitutiv“, schrieb der Filmhistoriker Martin Loiperdinger vor 20 Jahren in „Film & Schokolade“.

Der Kölner Fabrikant Stollwerck hatte früh erkannt, dass das aufstrebende Bürgertum in der zweiten Welle der Industrialisierung nach neuen Konsumgütern lechzte, eben Schokolade und „lebende Bilder“.

Ironie des Kapitalismus: Stollwerck wollte mit Filmen mehr Schokolade verkaufen, heute müssen Kinobetreiber zum Überleben Schokolade (beziehungsweise Nachos und Cola) anbieten, weil sich der Kartenverkauf allein, gerade bei den teuren Studio-Titeln, kaum noch rechnet.

Es gibt ja genug Optimisten, die darauf hoffen, dass die Pandemie in vielen gesellschaftlichen Bereichen als Korrektiv für die Fehlentwicklungen vergangener Jahrzehnte fungiert. Das Kino ist nach 125 Jahren jedenfalls noch nicht bereit zur musealen Einmottung, genauso wenig wie TV- Geisterspiele die Stadion-Erfahrung ersetzen werden. Das wird man 2021 auch in Hollywood einsehen.

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