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Keine Gewalt. Sie soll stolz auf ihre Hautfarbe sein, lernt die 16-jährige Starr (Amandla Stenberg) von ihren Eltern.

© 20th Century Fox

„The Hate U Give“ im Kino: Worte schwer wie Waffen

Teenagerdrama und schwarzer Alltag: Der US-amerikanische Regisseur George Tillman hat den Jugendbuchbestseller „The Hate U Give“ verfilmt.

Von Andreas Busche

Das „Gespräch“ kennt jeder schwarze Teenager in Amerika. Starr bekommt in „The Hate U Give“ die Einführung von den Eltern schon im Alter von neun Jahren, zusammen mit ihrem älteren Halbbruder Seven und dem einjährigen Sekani. Vater Maverick, der sein Lehrgeld im Gefängnis bereits gezahlt hat, und Mutter Lisa setzen ihre drei Kinder an den Küchentisch und erklären, wie sie sich zu verhalten haben, wenn sie auf der Straße von der Polizei kontrolliert werden. Sie dürfen sich auf keine Diskussion einlassen und sollen die Hände sichtbar vor dem Körper halten. In Amerika hängt das Leben eines schwarzen Teenagers von korrekten Umgangsformen ab.

Starr (Amandla Stenberg) hat diese Lektion nie vergessen, ihr Vater, ein Anhänger der Black Panther, erinnert seine Kinder mit strengen Drills regelmäßig an den Verhaltenskodex. Das ganze Leben der inzwischen 16-Jährigen ist auf diese Weise konditioniert. Ihre Eltern haben es nie aus dem „Ghetto“ geschafft, die Kinder sollen es mal besser haben. Starr besucht eine weiße Privatschule in einer wohlhabenden Nachbarschaft, wo der Hip-Hop-Slang ihrer Mitschüler ein Ausweis von Coolness ist. Starr aber zieht die Kapuze ihres Pullovers vom Kopf, wenn sie die Schule betritt. In Williamson High nennt sie sich ironisch „Starr 2“, dort ist sie nicht mehr der schwarze Teenager aus der hood. Selbst die Lichtverhältnisse in dieser Welt sind bläulich-unterkühlt, im Kontrast zu den warmen Tönen ihres Wohnviertels Garden Heights.

Black Lives Matter hat das Bewusstsein geschärft

Starr hat die Lehren des Straßenphilosophen Tupac Shakur verinnerlicht: „The hate u give little infants fucks everybody.“ Der Hass, den du an die Kinder weitergibst, verdirbt alle. Das Akronym T.H.U.G. L.I.F.E. (Gangsterleben) hatte sich der 1997 erschossene Rapper auf den Bauch tätowiert. „The Hate U Give“ ist auch der Titel von Angie Thomas’ mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnetem Romandebüt, das jetzt George Tillman Jr. verfilmt hat. Thomas schrieb das Buch als Reaktion auf die Tötung Oscar Grants durch einen weißen Polizisten im kalifornischen Oakland 2009, auf dem Vorfall basiert auch Ryan Cooglers Regiedebüt „Fruitvale Station“. Polizeigewalt ist immer noch ein virulentes Problem in den USA, das die Gesellschaft spaltet. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat lediglich das Bewusstsein für das Unrecht geschärft.

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Die Routine des „Gesprächs“ erinnert junge Afroamerikaner daran, dass sie qua Hautfarbe immer schon Opfer sind. „Vergesst trotzdem nie, dass es eine Ehre ist, schwarz zu sein“, erklärt ihnen der Vater (Russell Hornsby), der bei King (Anthony Mackie), dem Gangsterboss des Viertels, in der Schuld steht. Für Starr ist ihre Hautfarbe auch eine Bürde. Der tägliche Wechsel zwischen sozialen „Codes“ zehrt am Selbstwertgefühl, das auch ihr süßer weißer Boyfriend Chris (K.J. Apa) nicht wiederherstellen kann. Starr lebt zwischen zwei Welten. Bis zu jenem Tag, der ihr ihre wahre Zugehörigkeit erneut vor Augen führt: Nach einer Party, die gewaltsam endet, wird ihr Jugendfreund Khalil (Algee Smith) von einem Polizisten in ihrer Gegenwart gestoppt und erschossen.

Niemand ist von der Gewalt unberührt

Von einem Moment zum nächsten bricht die Welt des Teenagers in sich zusammen. Die Polizei wühlt in der Vergangenheit Khalils, der für King mit Drogen gehandelt hat, um die Pflege für seine kranke Großmutter bezahlen zu können. Und eine Bürgerrechtlerin (Issa Rae, die Autorin der HBO-Serie „Insecure“) versucht, Starr zu einer Aussage vor dem Staatsanwalt zu bewegen. Gleichzeitig erkennt sie auch bei ihren besten Freundinnen rassistische Vorurteile. Starr verliert zunehmend den Wirklichkeitsbezug: Chris' Foto auf ihrem Handydisplay wird überlagert von dem Laptop-Hintergrundbild des verstümmelten Emmet Till, der 1955 von Rassisten zu Tode geprügelt wurde.

Im Gegensatz zu den schwarzen Coming-of-Age-Klassikern „Juice“ (1992, mit dem jungen Tupac) und „Fresh“ (1994) lässt Regisseur Tillman das Teenagerdrama aber nie in die Konventionen des Gangsta-Hip-Hop-Kinos kippen. Die Schizophrenie von Starrs Leben erzählt er in schönen Miniaturen voll jugendlichem Pathos: Ihr Patenonkel Carlos, gespielt vom Rapper Common, ist Polizist. In einem anderen „Gespräch“ gesteht er ihr, dass auch er eher bei einem Weißen eine Warnung aussprechen würde, statt zur Waffe zu greifen. Niemand in „The Hate U Give“ ist von der Gewalt unberührt, Verhaltensmuster haben sich eingeschliffen. Auch bei Starrs Vater, der – als es um die Sicherheit seiner Familien geht – seinen einstigen Mentor King attackiert.

Dass die Vorlage dem Segment der Jugendliteratur entstammt, ist Tillmans Film im besten Sinne anzumerken. Das Genre hat zuletzt mit „Margos Spuren“ und „Das Zeiträtsel“ beeindruckende Filme hervorgebracht, die ihre Zielgruppe langsam ernst nehmen. So einfach die Botschaft von „The Hate U Give“ auch ist: Man kann sie nicht oft genug wiederholen. Stern, Freude und Sieben, das Symbol für Ganzheit, heißen die drei Geschwister. Die nächste Generation.

In 5 Berliner Kinos, OV: Cinestar Sony Center, OmU: Kulturbrauerei

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