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Der Mittelalter-Roman „Kristinlavransdotter“ ist ihr bekanntestes Werk. Sigrid Undset (1882- 1949)im Jahr 1922 in ihrem Arbeitszimmer.

© Anders Beer Wilse/Lillehammer Art Museum

Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset: In vielen Räumen daheim

Sigrid Undset bekam 1928 den Literaturnobelpreis. Sie ist eine der größten Schriftstellerinnen Norwegens. Eine Spurensuche in Lillehammer.

Es herrscht an diesem Augustmorgen nicht der größte Andrang vor dem Haus von Sigrid Undset im norwegischen Lillehammer, von ihr Bjerkebæk genannt, Birkenbach. Niemand steht in dem vorderen Neubau, wo sich die Kasse befindet, viele ihrer Bücher zum Verkauf liegen und es einen Lesesaal und Ausstellungsraum gibt. Und auch in dem eigentlichen Wohnhaus der 1949 verstorbenen Schriftstellerin, einem großen dunkelbraunen Holzgebäude mit einem Anbau, verlieren sich nur wenige Interessierte, um sich die Einrichtungsgegenstände, Bücherregale und Bilder an den Wänden in den vielen Räumen des Hauses anzuschauen.

Eine Bibliothek von 7000 Büchern hat Undset im Lauf ihres Lebens zusammengetragen. Diese ist noch nahezu vollständig erhalten, trotz der Beschlagnahme des Hauses durch die Nazis zwischen 1941 und 1944. Ihre Schreibmaschine steht noch in einem der Arbeitszimmer, die Betten ihrer Kinder sind zu sehen, und auch das für damalige Verhältnisse moderne Bad mit fließendem Wasser ist vollständig erhalten. Nach ihrem Tod zog Undsets Sohn Hans in das Haus, und nach dessen Tod wiederum machte die Stadt Lillehammer zusammen mit dem norwegischen Kulturministerium daraus im Jahr 2007 ein Museum.

"Kristin Lavransdatter" ist ihr bekanntestes Werk

Sigrid Undset, die 1882 im dänischen Kalundborg geboren wurde, gehört zu den Großen der norwegischen Literatur. Sie ist neben Bjørnstjerne Bjœrnsen und Knut Hamsun eine von drei norwegischen Autoren, die den Literaturnobelpreis erhalten haben. Als sie den Preis 1928 bekam, war sie überhaupt erst die dritte Schriftstellerin nach der Schwedin Selma Lagerlöf und der Italienerin Grazia Deledda, der diese Ehre zuteil wurde.

Die Schwedische Akademie zeichnete sie damals aus unter anderem „für Ihre mächtigen Schilderungen aus dem mittelalterlichen Leben des skandinavischen Nordens“, wie es in der Begründung hieß. Tatsächlich können viele Norweger und Norwegerinnen auf Anhieb zwei von Undsets im Mittelalter angesiedelten Werke auf Anhieb nennen, „Kristin Lavransdatter“, zu deutsch Kristin Lavrans Tochter, das aus drei Bänden besteht, und das vierbändige „Olav Audunsson“, die mitunter Schullektüre waren und auch ins Deutsche übersetzt wurden. Die drei „Kristin-Lavransdatter“-Bände gab es zuletzt im Herder Verlag, Ende der neunziger Jahre, „Olaf Audunsson“ letztmals Mitte der siebziger Jahre in der DDR bei Rütten & Loening.

In Deutschland ist Undset inzwischen so gut wie unbekannt. Auch in Norwegen tut man sich trotz des Museums und des Gedenkens an sie ein wenig schwer mit der Literaturnobelpreisträgerin. Das liegt gerade auch in Lillehammer daran, dass auch hier, wo sie zwanzig Jahre gelebt hat und auch gestorben ist, ihr Ruhm überstrahlt wird von dem eines Henrik Ibsen.

1924 konvertierte sie zum Katholizismus

Obwohl dieser nie zu Literaturnobelpreisehren kam, ist Ibsen wohl der größte norwegische Schriftsteller und Dramatiker. Und obwohl er sich nur ein paar Tage in dem auch Lillehammer mit einschließenden Gudbrandstal aufgehalten hat auf einer Reise durch Norwegen, auf der er wie die Märchensammler Asbjørnsen und Moe auf Sagen- und Geschichtensuche war, ist diese kurze Zeit entscheidend für Ibsens Leben gewesen, hat er hier doch das Vorbild für seine Peer-Gynt-Figur gefunden. So gibt es eine Stunde von Lillehammer entfernt nicht nur das seit zwanzig Jahren stattfindende Peer-Gynt-Festival, sondern man kann man in einem Dorf sich die Wohnstätten und das Grab des möglichen realen Peer Gynt anschauen.

Problematischer im Fall von Sigrid Undset aber dürfte zum einen sein, dass sie 1924 zum Katholizismus konvertierte, was damals im protestantischen Norwegen kaum jemand verstand (trotzdem hängt unübersehbar ein Porträt von Martin Luther in einem der Zimmer). Viel mehr aber dürfte ihrer aktiven Wiederentdeckung im Weg stehen, dass sie nicht gerade dazu taugt, eine feministische Ikone zu werden.

Die Frau gehört der Familie, um deren Zusammenhalt und die Sorge um die Kinder hat es ihr zu gehen, das war Undsets Credo, allein der Titel ihres 1936 veröffentlichten Romans „Das getreue Eheweib“ spricht für sich. Was wiederum etwas verwundert, sind doch viele von Undsets Romanfiguren, gerade die ihrer Ehe- und Gegenwartsromane, sehr emanzipierte Frauen, so wie letztendlich auch Undset selbst.

Ihr Leben ist beispielhaft. Es steht für das einer Frau, die sich gegen viele Widerstände behauptet hat. So setzte sie Anfang der zwanziger Jahre die Scheidung von ihrem Mann durch, dem Maler Anders Castus Svarstad, kümmerte sie sich bis zu deren Tod im Alter von 24 Jahren um die Erziehung ihrer schwer behinderten Tochter. Oder sie musste den Verlust ihres erstgeborenen Sohnes verkraften, der unweit von Lillehammer Kämpfen mit den Deutschen zum Opfer fiel. Undset war eine entschiedene Gegnerin des Nationalsozialismus, das tat sie häufig in Zeitungsartikeln und Essays kund. Hitlers „Mein Kampf“ hatte sie entsetzt studiert (das Exemplar steht noch heute in ihrer Bibliothek), und 1941, als die Deutschen Norwegen besetzten, floh sie auf einer abenteuerlich anmutenden Route über Stockholm, Moskau und Tokio in dem Westen der USA, um sich schließlich in New York City niederzulassen. So unruhig Undsets Leben zu Beginn und am Ende war, so glücklich waren die Jahre, die sie auf Bjerkebæk gelebt hat, Jahre, in denen sie vielfältige Beziehungen und Bekanntschaften unterhielt, zu Künstlern und Schriftstellerinnen. Deshalb passt das Motto einer bis Ende Oktober laufenden Sigrid-Undset- Ausstellung im Art Museum Lillehammer gut: „To Enclose Oneself. In Sigrid Undsets house there are many rooms“.

Neun Räume hat die Undset-Ausstellung in Lillehammer

Neun Räume, um genau zu sein, und diese erzählen auch eine Menge von der bildenden Kunst Norwegens des späten 19. Jahrhunderts und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Hier ist das große Porträt Undsets zu sehen, das ihr vor allem für seine Landschaftsbilder bekannt gewordene Mann Anders 1911 gemalt hatte. Sigrid Undset hatte Kontakt zu Malerinnen und Künstlerinnen wie Hulda Garborg und Ellen Key, führte mit diesen aber auch immer wieder heftige Debatten wegen ihrer diffusen feministischen Perspektive.

Überdies war Undset nicht nur eine ausdauernde Leserin, sondern auch Sammlerin von Kunst. In der Ausstellung sind zum Beispiel auch zwei Werke des Romantikers und Caspar-David-Friedrich-Freundes Johan Christian Clausen Dahl zu sehen, des Landschaftsmalers und Kunstschriftstellers Gerhard Munthe oder des neoromantischen Malers Harald Sohlberg, der gerade in Frankfurt mit einer großen Ausstellung gewürdigt wird. Unstet war begeistert von der japanischen Kunst, auch schon vor ihrer kurzen Zeit in Japan auf der Flucht in die USA, und die letzten beiden Räume schlagen einen Bogen in die Gegenwart.

Diese hat die Fotografin Hedevig Anker gestaltet, mit Fotos von Undsets Haus, gewissermaßen als artistische Doppelung dessen, was das Leben der Schriftstellerin ausgemacht hat, und einem an der Decke hängenden Kranz aus Glühbirnen, als Referenz an Undsets Roman über Kristin Lavans Tochter, dessen erster Teil „Der Kranz“ heißt. Und der, wie es der Schriftsteller Erik Fosnes Hansen am Rande des Ausstellunsgrundgang sagt, „stilistisch und formal sehr gelungen ist und sich auch heute noch gut lesen lässt, genau wie Undsets Erinnerungsbücher ‚Wieder in die Zukunft' und ‚Glückliche Zeiten’“.

Immerhin: Anlässlich des Gastlandauftritts Norwegens im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse gibt es ihren Roman „Viga–ljot und Vigidis“ bei Hoffmann und Campe in einer neuen Übersetzung; ein Roman aus der Zeit der Wikinger, der vom „Ringen der schillernden jungen Norwegerin Vigdis um Emanzipation und Gerechtigkeit in einer von Männern und Gewalt dominierten Welt“ handelt, wie der Verlag ankündigt. Und bei Suhrkamp erschien in der Bibliothek Suhrkamp im Frühjahr schon „Das glückliche Alter“, im Original von 1908, ein Roman über eine Gruppe junger Frauen auf der Suche nach sich selbst.

Die Ausstellung im Art Museum in Lillehammer ist bis zum 27. Oktober zu sehen; die Reise dahin wurde unterstützt vom Tourismusbüro Visitlillehammer.

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