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Franz Jung

© edition nautilus

„Die Technik des Glücks" im HAU: Mehr Tempo

Die Revue "Die Technik des Glücks" nimmt sich die Biografie des Querdenkers Franz Jung vor.

Vermutlich hätte dieser Moment Franz Jung gefallen. Aus dem Nichts meldet sich mitten in der Premiere der Revue „Die Technik des Glücks“ im HAU2 der Feueralarm, woraufhin die auf der Bühne ihr Spiel unterbrechen und wie das Publikum auf eine Ansage warten, ob’s denn jetzt ernst wird? Nein, kein Brand, nirgends, nach einer kurzen ungeplanten Pause kann es weitergehen. Die Technik des Unglücks hat sich beruhigt.

Am Halleschen Ufer 32, wo sich heute das HAU2 befindet, saß vor hundert Jahren der Schriftsteller, Essayist, Wirtschafts-Journalist, Dramatiker, Dadaist, Unternehmer und Kommunist im Büro „Jung und Ehrlich“ zwischen Pistolen und Kokain und druckte Spartakus-Parolen auf Geldscheine. Sinnbild für ein Leben ohne Richtung, aber mit Haltung. Jung hat die politischen Ansichten gewechselt, die Freunde, Frauen und Länder, ist aber stets dem Fußballclub Minerva aus Moabit und dem eigenen Scheitern und Weitermachen treu geblieben.

Jung hat beachtlich viele Gefängnisaufenthalte vorzuweisen

In seiner Vita stehen neben 30 Romanen, einem halben Dutzend Theaterstücken und hunderten Artikeln auch beachtlich viele Gefängnisaufenthalte, in Spandau, Hamburg, Berlin oder Budapest. Fast berühmter als seine Werke heute ist die Anekdote vom Fischdampfer, den der Revolutionär zusammen mit Genossen nach Murmansk entführte, um für die Aufnahme seiner Kommunistischen Arbeiter-Partei in die Komintern zu sorgen. Lenin lehnte ab und wollte auch das Schiff nicht geschenkt haben. Einen Versuch war’s wert.

„Die Technik des Glücks“, das ist der Titel des zentralen Theoriewerks von Franz Jung, es beschreibt im Grunde sein Lebensthema, die Suche nach Autonomie in der Gemeinschaft. Wie überhaupt die Gesamtausgabe seiner Werke ist auch dieser Band in der Hamburger Edition Nautilus erschienen, herausgegeben von Hanna Mittelstädt. Die ist nun auch die treibende Kraft hinter der Theater-Revue „Die Technik des Glücks“, in der die Schauspieler Robert Stadlober und Wolfgang Krause Zwieback sich auf Jungs Texte stürzen, als könnte die expressionistische, scharfsichtige oder auch melancholische Prosa besoffen machen, während die Hamburger Band „Die Sterne“ live den Soundtrack besorgt, ebenfalls inspiriert vom rastlosesten Quertreiber des 20. Jahrhunderts und seinen stürmischen Zeilen („Mehr Tempo! Mehr Geld! Mehr Macht!“).

Die Biografie Jungs liefert die Struktur der Revue

In der künstlerischen Leitung von Mittelstädt und Annett Gröschner, in der Regie von Rosmarie Vogtenhuber entsteht eine Art Lecture Performance, bei der Jungs Biografie die Struktur vorgibt. Zeitgenossen wie Erich Mühsam, Ernst Reuter, George Grosz oder Erwin Piscator grüßen da kurz herein, per Filmeinspieler tritt auch Corinna Harfouch auf, in den wechselnden Parts von Jungs wechselnden Ehefrauen, Cläre Otto oder Harriet Scherret darunter. Auch rote Tücher spielen eine zentrale Rolle. Mit denen hantieren Stadlober und Zwieback vor allem, wenn der Erste Weltkrieg aufflackert (in dem Jung desertierte), oder die Nazi-Röte aufzieht und beschrieben wird, wie Schauspielerin Lotte Lenya einen Flüchtenden vor den SA-Schergen zu schützen verstand.

Vor allem seine Autobiografie lohnt sich zu lesen

Sicher, auf ein so schillerndes, wild bewegtes Leben wie das des Franz Jung lassen sich nur Schlaglichter werfen. Und wo der Schein auch hinfällt, es wird spannend. Insofern kein Vorwurf, dass diese Revue (deren Anlass der 100. Jahrestag der Novemberrevolutionen ist) kein dramatisches Feuerwerk abbrennt, sondern mehr oder weniger chronologisch durch Werk und Wirren der Zeit marschiert. Jungs Bücher, vor allem die Autobiografie „Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit“, sind allemal eine Entdeckung, beziehungsweise Wiederentdeckung wert.

Eine der schönsten Geschichten handelt von einem seltsamen Geschöpf einem namens Torpedokäfer. Ein Insekt, das auf der Suche nach einem Spalt immer wieder mit Karacho gegen die Wand fliegt, sich aufrappelt – und einen neuen Anlauf versucht.

HAU2, noch einmal am 17. 11., 20 Uhr

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