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Die österreichische Schriftstellerin Mercedes Spannagel, 25

© Ingo Pertramer/Verlag

„Das Palais muss brennen“ von Mercedes Spannagel: Marx zum Abwischen

Alles Pop in Österreich: Mercedes Spannagels zügelloser Debütroman „Das Palais muss brennen“.

Es fängt mit den Hunden an. Hier der Mops von Lu, er heißt Marx, natürlich heißt er Marx. Und da die neun Windhunde der Frau Bundespräsidentin, die nicht nur die Frau Bundespräsidentin, sondern auch die Mutter von Lu ist und den Kommunismus hasst, bei einer Funktionärin der größten rechtskonservativen Partei Österreichs ist das keine Überraschung.

Ihre Hunde, das wird erst später verraten, hören auf die Namen Cassiopeia, Cassius, Castor, Pollux, Damian, Demian, Aurelius, Marius und Valerian.

Zwei Seiten später der erste Joint in der Wohnung eines gewissen Jo. Der Aschenbecher ist aus Marokko, der Wandteppich aus Nepal, das T-Shirt, das Marx als Unterlage gegen Notdurft-Missgeschicke zur Verfügung gestellt wird, doch nicht das mit dem Bild von Mao, obwohl Lu es sich so sehr gewünscht hat.

Sie sagt zu Jo: „Ich denke noch lange nicht an den Winter, obwohl ich schon seit August demonstrativ Lebkuchen kaufe.“ Jo sagt: „Sheesh.“

Spannagel kann irre gut schreiben

Das ist ein Begriff aus der Jugendsprache, der österreichische Rapper Money Boy verwendet ihn gerne, er führt in die richtige Richtung: Wenn Mercedes Spannagel auf den ersten Seiten ihres Romans „Das Palais muss brennen“ (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.192 Seiten, 18 €.) aus dieser Wiener Wohnung berichtet, ist das Popliteratur im Wortsinn, und das bleibt auch so. Jede Marke wird benannt, Burberry, Prada, Ralph Lauren, Yves Saint Laurent, Uber, Austrian Airlines. Jede Droge wird konsumiert, jedenfalls diejenigen, die über eine gewisse Akzeptanz bei Besserverdienenden verfügen.

Alles ist Oberfläche, alles Kulisse. Man schmückt sich mit den richtigen Dingen, mit den richtigen Zitaten: Rimbaud-Bücher als Regal-Stützen, Kim Kardashian, Walter Benjamin. Marina Abramovic, Instagram, Stalins Rede über Selbstkritik. Aber es geht auch immer wieder raus aus den verschiedenen Buden, weil draußen doch die Sonne scheint, ab ins Café, Kino oder zum Weißweinfrühstück. Ohnehin sind alle stets in Bewegung und hängen gerne in gastronomischen Einrichtungen herum.

Manchmal wird der Exzess über Gebühr ausgestellt

Auf einer zweiten Ebene bemühen sich die jungen Menschen aber nach Kräften, dem rechten Establishment Österreichs zu schaden. Das beginnt mit Kleinigkeiten: Als im weitläufigen Anwesen der Bundespräsidentin eine Jagdgesellschaft feiert, werfen Lu und ihr neuer Bekannter TT, ein Kind aus bestem Haus, nachts die Waffen der Eltern in den Pool.

Eigentlich plant die kleine Gang sogar Größeres: als Schauplatz ihrer hoffentlich staatszersetzenden Protestaktion hat sie sich den Wiener Opernball ausgesucht.

Mercedes Spannagel erhielt in den vergangenen Jahren für ihre Kurztexte einige Auszeichnungen. Die Zügellosigkeit ihres Debütromans ist erfrischend und ermüdend zugleich. Erfrischend ist sie, weil Spannagel irre gut schreiben kann, pointiert und rasant. Der deutsche Leser mag eine zweite Sache sehr schätzen: Das Buch dient als weitere Untermauerung für das hierzulande weit verbreitete Bild Österreichs als einer Nation, deren Bewohner sich, Pardon: eh nix scheißen.

Da steht es Seite an Seite mit Musik vom Wienerlied über die Erste Allgemeine Verunsicherung bis Wanda – eine der Protagonistinnen trägt tatsächlich eine Unterhose, auf der „Amore“ steht –, und reiht sich hübsch ein in die zeitgenössische Austro-Literatur von Stefanie Sargnagel bis Sebastian Janata.

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Ermüdend wird es, wenn der Exzess über Gebühr ausgestellt wird, was ein genreimmanentes Problem sein mag: Lu und ihre Kumpanen sind zwar mit beglückender Zärtlichkeit ausgestattet und letztendlich nicht nur auf der Suche nach dem nächsten Rausch, sondern auch nach Liebe; zumindest in Momenten finden sie diese auch. Sie werden aber mit großer Pose in ihre Rolle als hoffnungslos wohlstandsverwahrloste Jeunesse dorée Wiens geworfen und bewegen sich dabei nicht nur gefährlich nah am Abgrund, sondern auch am Klischee. Den Sumpf des Rechtspopulismus schildert Spannagel ebenso deftig, wobei da gilt: Das Zusammenspiel von Geld, Macht, Sex, Dummheit kann man gar nicht besser inszenieren als das H.C. Strache und seine Bekanntschaften 2019 auf Ibiza selbst taten.

Letztendlich sind das aber Kleinigkeiten, denn „Das Palais muss brennen“ erfüllt die Versprechungen, die der Titel gibt. Hier brennt es wirklich, so lange, bis alles kaputt ist und die Mutter aus Gründen ihres beruflichen Fortkommens russische Vokabeln pauken muss. Am Ende möchte ein Journalist ein Buch über Lu und ihre Freunde schreiben. Ihre Schwester sagt: „Das Ganze werde den Titel tragen: Die Kinder der Rechten, vielleicht auch: Kinder gegen Rechts.“ – „Das klingt o.k.“, entgegnet Lu. Welche der beiden Varianten sie damit meint, wird nicht näher erläutert.

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