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In der „Donezker Volksrepublik“ funktioniert der Alltag – doch der Krieg tobt gleich nebenan.

© Alexander Ermochenko/dpa

Krieg in der Ostukraine: Donezk: Zwischen Schüssen und Schaumpartys

Studenten feiern, Kitas sind geöffnet, im DonMak gibt's Burger. Vom Frieden ist Donezk aber noch weit entfernt. Jewgenij Wil macht bald seinen Uniabschluss – in einer Republik, die niemand anerkennt.

Donezk ist die Stadt der leeren Hüllen. Leer sind die gläsernen Einkaufszentren „Bogner“ und „Armani“ in der Hauptstraße, leer die Bürohochhäuser, das VW-Autohaus, das einstige Luxushotel „Donbass Palace“. Und wie ein vergessenes Raumschiff steht mittendrin das Fußballstadion des ukrainischen Spitzenclubs „Schachtjor“. Es ist verwaist, bis auf die Rentner, die sich hier ihre Essensspenden abholen: eine Tüte mit Nudeln, Mehl, Zucker, Tee pro Monat. Gesponsert von Rinat Achmetow, dem Oligarchen der Region.

Die Parks aber sind sauber, die Rosen blühen. Uniformierte mit Kalaschnikow patrouillieren nur selten, Jugendliche auf Inlineskates rasen über die Gehwege. Und allmählich füllen sich einige der Hüllen wieder mit Leben: Im „McDonald’s“ am Busbahnhof wird geschrubbt. Es sieht aus wie McDonald’s, riecht wie McDonald’s, oben aber prangt der Schriftzug „DonMak“.

Kein westlicher Konzern würde in einer international nicht anerkannten Republik ein Restaurant betreiben. McDonald’s schloss schon 2014 seine Filialen in den von Separatisten kontrollierten Gebieten. Die Chefs, heißt es, seien Armenier aus Russland. Von dort werden jetzt wohl auch die Originalzutaten geliefert. Damit DonMak schmeckt wie McDonald’s.

Es ist Krieg, aber der Alltag muss weitergehen

Seit gut zwei Jahren gehört die ehemalige Millionenstadt, quirliges Zentrum der Industrieregion Donbass, zur sogenannten „Donezker Volksrepublik“, kurz DNR genannt. An fast jedem Geschäft flattert eine Flagge der DNR, so als wollte die Führung ihren Bürgern demonstrieren: Es gibt uns wirklich.

Die Abspaltung der Region von der Ukraine führte zu einem Krieg, der UN-Beobachtern zufolge 10.000 Menschen das Leben gekostet hat. Bis heute wird an der Front geschossen, in den vergangenen Wochen wieder heftiger. Die OSZE geht von rund 8000 Verletzungen des eigentlich schon 2014 ausgehandelten Waffenstillstands aus – 8000 Vorfälle pro Woche.

Mitten in Donezk hört man, wie es in der Nähe des Flughafens brummt, wo sich regierungstreue Ukrainer und prorussische Separatisten oft auf nur 100 Metern gegenüberstehen. Erst vor einigen Tagen starben Kämpfer beider Seiten. Und die Regierung in Kiew erklärte kürzlich, sie rechne jederzeit mit Angriffen. In der Abtrünnigenregion wiederum hatte es vor einer Woche einen Bombenangriff auf einen Separartistenchef gegeben.

Doch es rummst nicht mehr so stark, dass die Scheiben klirren. Seit dem weitgehenden Abzug schwerer Waffen sind es nicht mehr die gefürchteten Mehrfach-Raketenwerfer und Artilleriegeschütze, deren Geschosse damals bis ins Stadtzentrum flogen, sondern „nur“ noch Mörser, kleinere Granatwerfer und Maschinengewehre, mit denen geschossen wird. Es sterben nun vor allem Soldaten, nicht mehr einfache Bürger.

Deshalb ist, auch wenn das seltsam klingt, Ruhe eingekehrt. „Vor einem Jahr waren die Menschen noch mit Überleben beschäftigt“, sagt Jewgenij Wil. „Jetzt beginnen sie zu leben.“ Wil studiert Psychologie an der Donezker Universität. Aber mit der Normalität kommen die Gedanken über die Zukunft: „Die Menschen haben wieder Zeit, sich zu fragen, wohin das alles eigentlich führt.“

Angesichts des Stillstands an der Front und kaum umgesetzter Friedenspläne sieht der 21 Jahre alte Donezker dort, wo er auf eine Perspektive hofft, nur dichten Nebel. Wohin, fragt Jewgenij, soll er mit einem Diplom aus seiner Republik, das außerhalb von Donezk nur ein bedeutungsloser Fetzen Papier ist?

Jewgenij Wil wartet also, geht in die städtische Bibliothek, hört Platten der US-Sängerin Mahalia Jackson, die noch aus Sowjetzeiten stammen, schreibt Gedichte. Zuletzt dichtete er: „Kilometer kalter Bahnhöfe/ vergessen, wo mein Haus steht/ vergessen, worüber ich mich freue/ Kilometer der Prachtstraßen/ schlafen.“

Andere lassen es krachen. Das Semester ist zu Ende - und an einem kleinen Strand im Stadtzentrum kreischen und johlen Studenten bei einer Schaumparty, trinken Bier, springen ins trübe Wasser. Über dem See wummert russische Popmusik aus den Lautsprechern. Dort steht die luxuriöse, internationale Privatschule, die der Oligarch Rinat Achmetow bauen ließ. Sie wurde nie eröffnet, weil der Krieg begann, Achmetow musste fliehen. Noch so eine leere Hülle, Zeuge einer Zukunft, die diese Stadt verspielt hat.

Stahlwerke und Kohlegruben - die Deals mit den Oligarchen sind unklar

Achmetow, der lange als heimlicher Herrscher des Donbass galt, hat sich allerdings sowohl mit der prowestlichen Regierung in Kiew als auch den prorussischen Machthabern im Donbass arrangiert. Niemand weiß, wie die Vereinbarungen aussehen, aber die Stahlwerke und Kohlegruben des Oligarchen funktionieren. Steuern zahlen sie weiter an die Ukraine, sonst könnten sie ihre Produktion nicht nach dort ausführen.

Immer noch rollen Waggons, vollbeladen mit Bodenschätzen, über die Front, weil die Ukraine die hochwertige Kohle aus dem Donbass für ihre Kraftwerke braucht. Und auch die neue Volksrepublik profitiert: Die Werke geben den Bewohnern Arbeit. Ohne die Fabriken gäbe es weitere Zehntausende, die sich fragen, wohin das alles führen soll.

Die Menschen in Donezk zahlen ihre Stromrechnung an die Volksrepublik, obwohl sie eigentlich an Achmetow zahlen müssten, der den Strom produziert und das Netz betreibt. Auch dabei gilt: Wie genau der Deal aussieht, ist unklar - typisch für international nicht anerkannte Staaten. Nur 30 Prozent der Kunden, vor allem Unternehmen, die in der Ukraine registriert sind, sollen überhaupt noch an Achmetow zahlen. Pragmatismus zeigen auch die Bürger. Die Behörden der DNR geben eigene Pässe und Autokennzeichen aus. Praktisch jedoch haben alle Bewohner der Volksrepublik ihre ukrainischen Pässe und alten Nummernschilder behalten. Jeder weiß: Mit Dokumenten der DNR kann man derzeit nicht einmal offiziell in Russland einreisen - ganz zu schweigen von der Ukraine.

Die Rentner in der Volksrepublik wiederum bekommen eine Pension von 40 Euro im Monat - und bessern sie mit einem Trick auf. Alle paar Monate nehmen sie die beschwerliche Tour durch die Checkpoints auf sich und lassen sich in der nächsten von den Ukrainern kontrollierten Stadt ihre ukrainischen Renten auszahlen. „Rentnertournee“ nennen das die Donezker Taxifahrer.

In Donezk funktionieren die Kindergärten, die Trolleybusse fahren, der Müll wird abgeholt, in den Regalen der Supermärkte liegen russische Waren. Aber mehr eben nicht. Die Mittelschicht, die Boutiquenbesitzer, all jene, die vor dem Krieg in den Cafés und Restaurants der Stadt saßen, die Smartphones und Volkswagen kauften, sie sind geflohen oder verarmt. Die Propaganda der Herrscher in der Volksrepublik versucht, Optimismus zu verbreiten. Für die Jugend gibt es Basketballturniere und Comedyshows, für die Älteren kostenlose Konzerte des russischen Schlagersängers Josif Kobson.

In Jasinuwataja, ein Städtchen näher an der Front, schaukelt Walentina auf dem Hof eines Plattenbaus ihre zwei Enkel. An den Häusern die Spuren des Krieges, fehlende Fenster, Löcher in den Mauern. Man sieht der 58-Jährigen das Entsetzen an, wenn sie vom August 2014 erzählt, als die ukrainische Armee versuchte, das Gebiet zurückzuerobern: „16 Stunden am Stück wurden wir bombardiert.“ Auch jetzt hört Walentina jede Nacht in der Ferne die Kämpfe.

Der Staatshaushalt ist geheim, aber Steuern verlangen sie schon

Die größten Sorgen aber macht sie sich über die Zukunft. Der Laden, in dem sie als Verkäuferin gearbeitet hat, ist geschlossen. Die Fabrik für Bohrgeräte, die vor dem Krieg 2000 Menschen Arbeit gab, repariert jetzt Mähdrescher aus Russland, dafür reichen einige hundert Leute. Walentinas Mann jedenfalls ist arbeitslos: „Wir leben von der Rente meiner Mutter, und von Achmetows Lebensmittelpaketen.“

Nun kommt noch dazu, dass die neuen Behörden Steuern verlangen, auch wenn der Staatshaushalt der Republik geheim gehalten wird. Bekannt ist, dass die Rubel, mit denen die Volksrepublik ihre Lehrer, Ärzte und Sicherheitsleute bezahlt, zum Großteil aus Russland stammen. Der Kreml aber scheint signalisiert zu haben, dass die Republik ihr Budget selbst verwalten soll. „Wir verdienen kaum etwas und sollen auch noch Steuern zahlen“, sagt ein Donezker Café-Betreiber.

Niemand traut sich, öffentlich gegen die Machthaber zu protestieren. Man hält still, wartet ab. Es ist auch die Angst vor dem Geheimdienst der Volksrepublik, über den wilde Geschichten kursieren. In den „Podwal“, den Keller, stecken die Geheimdienstmänner demnach all jene, die sich nicht dem Willen der Republikführer unterordnen, oder schlimmer - die verdächtigt werden, mit der Ukraine zu sympathisieren.

Im „Podwal“ landen zuweilen auch jene, die für die Volksrepublik gekämpft haben. Nikolai hat bis 2015 mit den Separatisten seine Stadt verteidigt, auch wenn er die Abspaltung eigentlich für falsch hielt. In diesem Jahr hat ihn der Geheimdienst zweimal für einige Wochen eingesperrt, ohne Gerichtsbeschluss. Das erste Mal hieß es, er habe Kontakte zum ukrainischen Geheimdienst, das zweite Mal sagten sie, worum es ihnen wirklich ging. „Ich sollte mein Geschäft abgeben.“

Es ist ein Kampf um Tankstellen, Supermärkte, Fabriken. Kürzlich hat das „Parlament“ der Volksrepublik wieder die Verstaatlichung ukrainischen Eigentums beschlossen. Dabei kommt es darauf an, welche Deals die alten Besitzer mit den neuen Behörden aushandeln. Wer sich gut mit Separatisten-Ministerpräsident Alexander Sachartschenko versteht, dürfte auch in diesem Staat Wege finden, weiter zu verdienen.

Mit Nikolai lag der Sicherheitschef einer Donezker Ladenkette in der Zelle: Den hätten sie eine Woche an den Händen aufgehangen, um ihn zum Geständnis zu zwingen. „Immer wieder wurde gesagt, unsere Erschießung stehe bevor.“ Der Ex-Soldat ist auf alles gefasst. Seit den Erlebnissen im „Podwal“ trägt er seinen Revolver immer griffbereit.

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