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Gemütlich. Koreaner schätzen Gesellschaft und heißes Essen.

© Caro/Sorge

Südkoreaner: Herr Kim macht Dampf

Mit Hartnäckigkeit und Disziplin haben die Südkoreaner den wirtschaftlichen Aufstieg geschafft. Nur eines gelingt ihnen nicht ganz: das Warten.

In Korea wird alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Denn so kommt es auf den Tisch. Für Koreaner muss immer alles von heute auf morgen passieren, wenn nicht sogar schneller. Während der Mittagspause im Restaurant wartet man selten länger als fünf Minuten und dann steht das dampfende Essen vor einem. Und genauso schnell ist es heruntergeschlungen. Ehe man es sich versieht, ist der koreanische Lucky Luke bereits in seine Schuhe und durch die Tür nach draußen geschlüpft, während die leere Schüssel noch dampft. Immer frei nach dem Motto: was du heute kannst besorgen, verschiebe auf gestern. Und wenn etwas nicht gleich geht, dann geht das gar nicht und man muss sich Luft machen, persönlich, per Telefon oder im Internet. Und dann tut das Geschäft oder der Anbieter gut daran, etwas zu unternehmen; schnell versteht sich. Auch in Korea will gut Ding Weile haben, aber eben nur eine kurze.

Diese Eiligkeit wird durchaus reflektiert. Der Nationbranding-Slogan heißt nicht von ungefähr: „Dynamic Korea“. Im Volksmund wird diese Eigenart gerne mit einem Schnellkochtopf verglichen – unter Druck, mit Volldampf und immer ein bisschen Explosionsgefahr. Es wird erst gehandelt und dann diskutiert, was man beim nächsten Mal bessermachen kann. In Deutschland wird geplant, abgestimmt und ausdiskutiert: über ein Stadtschloss, einen Bahnhof oder einen Flughafen. Man ist in Deutschland eben bodenständig. Da wäre der Koreaner schon längst abgehoben wie ein HB-Männchen. Als der mittlerweile weltweit erstklassige Hauptstadtflughafen in Inchon eröffnet werden sollte, aber die kilometerlangen Gepäckbänder noch nicht einwandfrei funktionierten, hat man einfach Soldaten entlang der Strecke postiert, um im Notfall korrigierend einzugreifen. Da sind Koreaner knallhart pragmatisch. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Nur in Sachen Wirtschaftswunder und Wiedervereinigung war man in Deutschland einen Schritt schneller. Und das macht Deutschland für die Koreaner so interessant und bewundernswert. Das Wirtschaftswunder haben die Koreaner mit ihrem eiskalten Pragmatismus längst in den 1970 und 80ern vollbracht. Der damalige Staatsführer Park Chung Hee hatte sich zuvor vom Wunder am Rhein vor Ort überzeugt. Dann wurde kräftig gehobelt, dass die Spähne flogen. Und heute fährt alle Welt mit Autos von Hyundai, Kia oder Ssangyong und telefoniert mit Handys von Samsung oder LG. Um die Sache mit der Wiedervereinigung will sich nun die Tochter Parks kümmern – Präsidentin Park Geun-hye. Dafür ist sie schnell mal nach Deutschland gekommen. Denn ihre bisherige Nordkorea-Politik ging nur schleppend voran.

Burberry-Schal, teure Handtasche und Sonnenbrille im Haar

Aber ansonsten können die Deutschen den Koreanern nicht mehr viel vormachen. Allein wie schick die Koreaner immer daherkommen. Immer wie geleckt aus dem Hochglanzkatalog. Während der gemeine deutsche Tourist besockt in Sandalen als Weltkulturerbe eingetragen werden müsste, gilt für den guten Ton einer Koreanerin, die vor die Tür ihrer koreanischen Halbinsel tritt, mindestens zu einem Trenchcoat den obligatorischen Burberry-Schal zu tragen, Sonnenbrille im Haar und eine teure Handtasche am Arm. Notfalls auch als Nachahmung, Hauptsache im Trend und stylisch. Selbst auf Shopping-Tour in einem der gigantischen Nobelkaufhäuser Koreas wird penibel auf die Garderobe geachtet.

Die Damen kostümieren sich dann gerne als Jacky Kennedy und die Herren scheinen einem Golfermode-Katalog entsprungen. Die jüngere Generation kommt auch gerne im prêt-à-porter-Look. Das ist der Kitsch, der das Gros der Gesellschaft zusammenhält, die sich noch vor nicht allzu langer Zeit zu einer der ärmsten der Welt zählte. Man möchte wer sein und gebührend behandelt werden, und wenn auch nur bis Mitternacht. Und in Korea gilt noch: der Kunde ist König. Korea ist eine wahre Service-Oase; vor allem für jemanden, der aus der Wüste kommt.

Denn hier wird man im Kaufhaus sogleich vom aufmerksamen Personal angesprochen. Behände umschwirren sie wie Honigbienen die Kundenblüte. Ein Wimpernschlag genügt, um einen Tsunami an Anregungen, Komplimenten und Vorschlägen auszulösen – stets tiefst ergeben und höchst höflich. Selbst die Ware, die dem Kunden genehm scheinen könnte, wird nun ehrfurchtsvoll gesiezt.

Eltern und Kommilitonen werden gesiezt

Überhaupt ist das Praktizieren der teils komplexen sozialen Umgangsformen nicht ohne. Denn wie man behandelt wird bzw. man andere behandelt, hängt neben dem äußeren Erscheinungsbild von vielen Faktoren ab: Alter, Geschlecht, berufliche Stellung, Geburtsregion, besuchte Schule, Universitätsabschluss. Ältere werden in der koreanischen Gesellschaft besonders geachtet. Das gilt nicht nur für Omas und Opas, denen man in den öffentlichen Verkehrsmitteln sofort den Platz freizumachen hat.

An der Universität werden auch ältere Kommilitonen gesiezt, wie übrigens häufig auch noch die Eltern. Der Vorname einer Person wird eigentlich nur von Älteren gegenüber Jüngeren benutzt. Nach oben spricht man Personen stets in angemessener Höflichkeitsform mit ihrem Nachnahmen und/oder ihrer beruflichen Position an. Hält man sich nicht daran, fällt das ebenso unangenehm auf, wie eine Wohnung zu betreten, ohne vorher die Schuhe ausgezogen zu haben.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Koreaner bei der ersten Begegnung zunächst einige Zeit damit verbringen, mit Visitenkarten um sich zu werfen bzw. bei inoffiziellen Begegnungen eine Art Checkliste abzuarbeiten, um sich selbst und den Gegenüber zu verorten und die entsprechend angebrachte Tonlage beim Sprechen, die Höflichkeitsform bei der Anrede, die Körperhaltung und die Themenwahl angemessen zu treffen. Nicht selten wird man schon in den ersten fünf Minuten einer solchen Begegnung gefragt, ob man verheiratet ist und Kinder habe und wenn nicht, warum.

Volkssport der Koreaner ist das Wandern

Die Orientierung qua Visitenkarte ist auch dahingehend praktisch, als dass es so leichter fällt, die vielen Herren und Frauen Kim, Lee und Park besser einzuordnen. Denn die gibt es in Korea wie Sand am Meer, weshalb es nicht überrascht, dass man in Korea nicht etwa eine Nadel im Heuhaufen, sondern Herrn Kim in Seoul sucht. Statistisch hören nämlich rund zwei Millionen der über zehn Millionen Hauptstadteinwohner auf diesen Namen.

Doch privat sind Koreaner gemütlich und herzlich. Und naturverbunden. Volkssport der Koreaner ist das Wandern in den Bergen, mit denen das Land zu Dreivierteln überzogen ist. Zwar muss es auch beim Wandern immer schnell gehen – der Weg interessiert wenig, es ist das Ziel das zählt. Das tonnenweise geschulterte Essen soll zelebriert werden. Aber wenn das Picknick erst einmal ausgepackt ist, dann nimmt man sich Zeit zum Trinken, Lachen, Singen und Tanzen. Eigentlich immer fröhlich, gut gelaunt und ausgelassen verbringen sie ganze Tage mit Wanderung und Picknick. Und dann ist auch immer genug für alle da und sogar mehr.

Zuerst werden die Geister verköstigt: bevor der erste Schluck Reiswein ausgeschenkt wird, geht eine Pfütze an die unsichtbaren Bergbewohner. Und wenn ein einsamer Wanderer an so einem Gelage vorbeikommt, wird er höflich gedrängt, unbedingt mitzuessen. Nun werden die Ellenbogen des hektischen Alltags eingefahren und selbst Fremde mit offenen Armen aufgenommen. So sind sie die Koreaner: ihre Herzen meist am rechten Fleck und ziemlich groß. Deshalb schlagen sie wahrscheinlich auch schneller. Einfach allerherzlichst hektisch!

Der Autor ist Juniorprofessor am Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin

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