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Kolumne "Der Vorleser": "Boah, schon wieder so ein Wedding-Gewichse"

Die zweite Ausgabe des "Tagesspiegel BERLINER" ist erschienen. Worum geht es in dem Magazin? Oft hilft der Blick von außen. Ein Gast-Editorial.

Boah. Schon wieder so ein Wedding-Gewichse, direkt auf dem Cover. Der Wedding ist „am Kommen“. Seit 20 Jahren ist der verdammte Wedding „am Kommen“, und ich hoffe inständig, dass der Wedding endlich mal kommt, damit er wieder gehen kann. Ich habe schon viele Freunde an den Wedding verloren: gute, anständige Menschen, die von Mitte, Kreuzberg und Neukölln wegzogen, um die Gentrifizierung dieses gottverlassenen Erdflecks voranzubringen. Ich sah sie nie wieder.

Abgesehen von Wedding-Fotos, die so ghetto sind, dass sie auf einen „Brot für die Welt“-Kalender von Bernd Höcke gedruckt werden könnten, bietet der Tagesspiegel Berliner dem sich für anspruchsvoll haltenden Leser zahlreiche weitere Hipstereien an: Den Beweis, dass Berliner Bademeister Arschlöcher sind. Wussten schon alle, aber tut gut, es nochmal auf Papier zu haben.

Ein Porträt über einen der insgesamt drei in Berlin lebenden Neuseeländer, die keine Singer/Songwriter sind.

Eine kommunistische Nonne, die dem reichsten kapitalistischen Unternehmen der Welt angehört, verarscht sich selbst ab Seite 36.

Direkt nach dem Artikel über die katholische Kirche folgt einer über Kinderpornografie. Passt.

Eine Begegnung mit der ehemaligen Frontfrau von „Wir Sind Helden“, bei der sie nicht sprechen darf. Klingt innovativ, aber so werden die meisten Frauen porträtiert.

Auf Seite 68 lebt ein Journalist seinen eigenartigen Blumenkohl-Fetisch aus. „Ein Mosaik aus Länderküchen verschmolzen in der Biografie eines Weltbürgers“? Diggi, es ist Blumenkohl, nicht „Fifty Shades of Grey“.

Ein Neuköllner Tätowierer erzählt, wie er sich zwischen Sicherheit und Freiheit entscheiden musste. Musste ich gestern Abend auch: Ich hatte nämlich die Freiheit, mir ein Chicken Vindaloo bei Lieferando zu bestellen, gleichzeitig aber auch die Sicherheit, die universelle Wahrheit sogar, dass mein Anus dafür am nächsten Tag wie tausend Sonnen brennen wird.

Ich entschied mich für Freiheit. Das hat Konsequenzen. Besonders feinspitzige Leser werden eine subtile Note der Negativität in meinem Text bemerken. Der Grund dafür liegt auf der Hand: schlecht geschissen.

Shahak Shapira, geboren 1988 in Petach Tikwa in Israel, wuchs in Sachsen-Anhalt auf und ist Schriftsteller, Musiker und Satiriker. Er lebt in Berlin.

Der Tagesspiegel Berliner liegt an diesem Sonnabend dem Tagesspiegel bei.

Shahak Shapira

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