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In guten alten Zeiten: Das Peugeot-Rad unseres Autors am einsamen polnischen Ostsee-Strand.

© Stefan Jacobs

Kolumne: Das Fahrrad, der beste Freund des Menschen

Statistisch gesehen müsste es längst geklaut worden sein. Doch noch heute fährt unser Autor mit seinem Peugeot-Rad von 1992. Eine Liebeserklärung.

Die Quittung habe ich noch. Aber den Fahrradladen Roeske in 1000 Berlin 65 gibt es längst nicht mehr, genauso wenig wie die Postleitzahl, den Bezirk Wedding und die blauen D-Mark-Scheine, von denen ich an jenem Tag im Juni 1992 ein ganzes Bündel abgeliefert habe: 1530 DM waren für mich als Zehntklässler echt viel Geld, obendrauf kamen noch 139 für diesen weltsensationell kabellosen Fahrradcomputer aus Japan.

Aber es musste einfach dieses Edeltrekkingrad von Peugeot sein – mit der raffinierten Schwarz-auf-Rot-Zweifarblackierung und den Deore-DX-Komponenten, die Fernreisende mit der Zunge schnalzen ließen.

Die nachhaltigste Entscheidung des Lebens

Das Rad war die Erfüllung meines größten Konsumtraums. Und die nachhaltigste Kaufentscheidung meines Lebens: Heute, nach 28 Jahren und 51.000 Kilometern, sind wir immer noch gemeinsam unterwegs.

Nicht mehr wie einst auf den Lofoten, wo wir mal durchgeradelt sind bis nachts um eins, weil die Mitternachtssonne gerade so schön schien. Auch nicht mehr über Pyrenäenpässe im Baskenland, wo wir den ersten unbemannten Grenzübergang meines Lebens passiert haben, nicht einmal mehr zu den einsamen Stränden der polnischen Ostsee.

Ein Rad, das man nicht so einfach ersetzen würde

Jetzt eher so zwischen Tempelhofer Feld, Teltowkanal und Tagesspiegel-Haus am Askanischen Platz. Es ist ein bisschen wie mit den Rentnern, die nach 70 unfallfreien Autofahrerjahren lieber nur noch rechts abbiegen. Wobei der geschrumpfte Aktionsradius in meinem Fall daran liegt, dass ich für längere Touren irgendwann ein anderes Rad gekauft habe. Eines, das ich eiskalt ersetzen würde, sollte es je geklaut werden oder hinüber sein.

Unterwegs im Heimatland des Peugeot-Rads: 1998 auf Tour durch die Auvergne.
Unterwegs im Heimatland des Peugeot-Rads: 1998 auf Tour durch die Auvergne.

© Stefan Jacobs

Aber mein Peugeot gebe ich so leicht nicht her – auch wenn sich die Übereinstimmung mit dem Original mittlerweile auf Rahmen, Sattelstütze, Vorbau, Tretkurbeln und Schaltwerk beschränkt. Alles andere ist irgendwann gebrochen, verschlissen, verbraucht oder geupdatet worden – weil beispielsweise V-Brakes, LED-Licht und Nabendynamo erst später erfunden wurden.

Das Rad wird immer wertvoller

Diese Anbauten haben das Rad auch nicht verhunzt, sondern im Gegenteil vor dem Altern bewahrt. Während andere Alltagsfahrräder nach knapp 30 Jahren schrottreif aussehen und klingen, wird meins immer wertvoller.

[Dieser Artikel stammt aus dem neuen Magazin "Tagesspiegel Radfahren 2020", jetzt im Handel und online im Tagesspiegel-Shop erhältlich für 9,80 Euro.]

In der S-Bahn treffe ich im Fahrradabteil manchmal Menschen mit ähnlichen Rädern. Wir nicken uns dann mit freundlichem Insiderblick zu: Wir wissen, was wir haben, und die anderen haben ja keine Ahnung.

Der kabellose Computer läuft übrigens immer noch. Aber in der S-Bahn spinnt er manchmal, weil darin offenbar Elektrosmog herrscht, der ihm nicht bekommt. Außerdem kann er nur bis 9999,9 km zählen. Konnte ja niemand wissen, wie weit wir zusammen herumkommen würden.

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