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"Ohne den Blick abzuwenden, steige ich vom Rad. Aus Respekt. Der Fuchs bewegt sich keinen Millimeter..."

© Laura Naumann

Kolumne "Berliner*innen": Sind nur Gefühle

Laura Naumann hat eine unwirkliche Begegnung auf der Sonnenallee. Und fragt sich: Wie unterhält man sich mit einem Fuchs?

Die Theaterautorin Laura Naumann, geboren 1989 in Leipzig, erzählt von wärmenden Begegnungen in der coolen Stadt.

Nachts in Neukölln: Ich eier die nasse Sonnenallee entlang auf meinem Fahrrad, Augen sind auch nass; ich bin nicht froh. Jemand hat sich verabschiedet. Jemand war mir wichtig. Habe mein ramponiertes Herz und die anderen enttäuschten Körperteile in einen Club geschleift, um Dragqueens anzuhimmeln und mit Freund*innen zu tanzen, das hat beides noch immer Wunder bewirkt. Das und Schnaps. Aber auch die schönsten, funkelndsten und zärtlichsten Queers konnten mich heute Nacht nicht trösten, hart und fest wie ich bin. Der Heimweg ist lang, viel länger als sonst, die Jacke aus Beton.

Er starrt mich an. Ich starre zurück

"Schick mal ein Zeichen, Universum, es ist zu schwierig, ich schaff's nicht allein!", seufze ich und gucke in den wolkenbedeckten Nachthimmel, löse kurz die Hände vom Lenker, richte die schweren Schultern auf und sehe dann, als Hände und Blick wieder dahin zurückfliegen, wo sie hingehören, an den Lenker, auf die Straße: einen Fuchs. Kommt aus einer Seitenstraße geflitzt und bleibt stehen. Ich mache eine Vollbremsung. Der Fuchs steht vielleicht fünf Meter von mir entfernt und starrt mich an. Ich starre zurück. Er ist ein prächtiger Rotfuchs. Mit spitzen Ohren und einem riesigen, buschigen Schwanz. Davon reden immer alle, die neu aus anderen Städten nach Berlin gezogen sind, von den Stadtfüchsen, die einem hier und dort begegnen, durchs Fenster der Erdgeschosswohnung glotzen oder in Mülltonnen nach Dönerresten stöbern. Für mich ist es in dieser Nacht, nach all den Jahren, die ich jetzt schon in Berlin lebe, der erste.

"Was du festhältst, macht dich fest, weißte selbst, ne?"

Ohne den Blick abzuwenden, steige ich vom Rad. Aus Respekt. Der Fuchs bewegt sich keinen Millimeter. Guckt nur. "Hallo", sag ich schüchtern. "Auch Hallo", sagt er zurück. "Gehste auch heim?", versuche ich ein Gespräch anzufangen. "Geht dich gar nichts an", erwidert er. Fail. Wie unterhält man sich mit einem Fuchs? Die sind ja bekanntlich sehr schlau. Überlebenskünstler. Boten zwischen den Welten, zwischen Diesseits und Jenseits. Was kann man zu so jemandem sagen?

"Und du, machst dir das Leben schwer?", sagt schließlich der Fuchs zu mir, und ich: "Äh ... ?" "Was du festhältst, macht dich fest, weißte selbst, ne?", sagt er, als hätten wir schon tausend Mal darüber gesprochen. Nee, weiß ich nicht. Sag ich aber nicht. Ich will nicht dumm rüberkommen. Nicht den Eindruck erwecken, dass ich tatsächlich mitten in der Nacht desperat nach Ratschlägen von einem wilden Tier bin. "Sind nur Gefühle", macht er weiter, "haben alle. Lass sie durch. Lass sie durchrauschen. Leg dich nieder. Wart's ab. Und im Anschluss: Räuber dir nen Snack!"

Er hält noch immer meinen Blick, und ich weiß wirklich gar nicht, was ich erwidern soll, aber seine Worte sickern langsam durch und ich nicke. Da grinst er. Der Fuchs grinst mich an, ich bin mir sicher. Als ich auch grinse, macht er einen Satz und bevor ich noch "Danke!" oder "Hey, warte mal, ich hab noch eine Anschlussfrage!" oder "Werden wir uns wiedersehen?" sagen kann, ist er verschwunden. Es nieselt jetzt wieder, aber es stört mich nicht. Zeit für Pommes.

Laura Naumann

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