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Hongkong ist die Boomtown für Start-ups

© Alex Hofford/dpa

Außenwirtschaft: Lockruf aus Hongkong

Die Sieben-Millionen-Stadt investiert viel Geld, um Berliner Start-ups und Unternehmen zu sich zu holen. Ein Besuch in der asiatischen Metropole

Es ist die kälteste Zeit des Jahres in Hongkong. Der Himmel grau verhangen, Temperaturen um die 15 Grad, gelegentlich fallen auch ein paar Tropfen. Wo sonst unablässig die Klimaanlagen sirren, quillt jetzt der Dampf der Hot Pots aus den Restaurants, ein traditionelles Gericht, mit dem die Hongkonger sich wärmen: eine Art Fondue, in dem sie Gemüse und Teigtaschen garen.

Hongkong ist eine geschäftige Metropole, sieben Millionen Menschen leben hier auf engstem Raum, die Miet- und Immobilienpreise sind legendär. Platz ist ein kostbares Gut in Hongkong. Diese Enge hat auch dazu geführt, dass die Stadt heute eine der besten Internet-Abdeckungen der Welt hat. Überhaupt ist hier alles sehr modern: Jeder Einwohner besitzt durchschnittlich zwei Smartphones, und LTE in der U-Bahn ist sowieso selbstverständlich. Das und die Nähe zu China – "Mainland China" wie man in Hongkong in respektvoller Abgrenzung sagt – will Hongkong nutzen, um sich an die Weltspitze der Start-up-Regionen zu katapultieren. Die Metropole konkurriert wirtschaftlich vor allem mit Seoul, Singapur, Shanghai und Shenzen – den vier großen S, gegen die es sich zu positionieren gilt. Besonders Shenzen ist ein harter Brocken: Die Sonderwirtschaftszone wurde in den 1980er Jahren von China als Äquivalent zur Sonderverwaltungsregion Hongkong gegründet und bietet wirtschaftliche Vorteile für alle, die dort produzieren und Handel treiben. Sie liegt direkt auf der anderen Seite des Perlflusses, der Hongkong im Norden von China trennt. Doch Hongkong ist autonom, im Gegensatz zu Shenzen könnte die Pekinger Regierung hier zum Beispiel nicht einfach neue Steuern einführen.

Das Marketing-Team organisiert Reisen nach Hongkong

Mit diesen Argumenten will man auch deutsche Gründer und Unternehmer zu sich locken. Zwei Milliarden Dollar sind im aktuellen Haushalt dafür vorgesehen, die Stadt innovations- und forschungsfreundlicher zu machen – dazu zählt auch die Förderung der Start-up-Szene. Seit 2011 gibt es eine Niederlassung der Standortförderung für Hongkong in Berlin. Das Marketing-Team organisiert unter anderem Reisen nach Hongkong. Wer mitfährt, kann direkt kennenlernen, wen er für sein Business vor Ort gebrauchen kann: Rechtsanwälte, Steuerberater, Makler. Solche Orientierung zu bieten, ist gut in einer Stadt, deren unterirdische Bahnhöfe so groß sind wie Kleinstädte und deren Wolkenkratzer so dicht gebaut sind, dass Google Maps und GPS versagen.

Florian Simmendinger
Florian Simmendinger

© Promo Soundbrenner

Florian Simmendinger ist einer Einladung nach Hongkong gefolgt. Er hatte zusammen mit Julian Vogels das Berliner Start-up Sound-brenner gegründet. Sie stellen ein Metronom her, das nicht tickt, sondern vibriert, und von den Musikern am Hand- oder Fußgelenk getragen werden kann, 25.000 Stück wurden bisher verkauft. 2014 siedelte das Start-up nach Asien um. Zuerst nach Shenzen – dort fanden die Gründer die notwendige Hardware für ihr Wearable sowie eine große Auswahl an Motoren, nach der sie in Europa vergebens gesucht hatten. Innerhalb weniger Monate entwickelten sie einen Prototyp. Im Anschluss zog Simmendinger nach Hongkong. Hier fühlt er sich pudelwohl – eine lebendige asiatische Großstadt, die es ihm leicht machte, seine Firma aufzubauen: "Das Wirtschaftssystem ist sehr liberal", sagt er, "man muss nicht viel beachten, es gibt nur wenige Richtlinien." Gleichzeitig gibt es alle Formulare auch auf Englisch – in Shenzen waren alle Formulare nur auf Chinesisch zu erhalten. Überhaupt profitiert Simmendinger sehr davon, dass Hongkong auch nach der Wiedervereinigung mit China noch bis 2047 sein Wirtschaftssystem beibehalten darf. Das basiert nämlich auf dem britischen Common Law und ist dem sehr nahe, was der Unternehmer aus Europa kennt.

Die Anzahl der Start-ups ist seit 2015 um ein Viertel gestiegen

Hongkong tut gut daran, seine Fühler nach Europa auszustrecken, denn seine Wirtschaft ist noch eher traditionell aufgestellt mit einem starken Fokus auf Finanzen, Immobilien und Logistik. Besonders die Start-up-Szene in Berlin haben die hiesigen Wirtschaftsförderer deshalb im Blick. Denn es gibt zwei große Probleme: Die Einwohner werden immer älter, junge Tech-Talente gehen lieber nach San Francisco oder Tel Aviv. Um die Szene zu entwickeln, gibt es Accelerator-Programme und Immobilien, in denen die jungen Firmen arbeiten können. Seit 2013 gibt es auch das jährliche "Startmeup"-Festival, eine Konferenz mit Pitch-Wettbewerben, Workshops und Gelegenheit zum Netzwerken. Dass all das Wirkung zeigt, belegen die Zahlen: Die Anzahl der Start-ups ist von 2015 auf 2016 um ein Viertel gestiegen, mittlerweile sind es fast 2000. Der Fokus der Regierung liegt vor allem auf Start-ups, die im Bereich Healthtech oder Fintech arbeiten.

Karena Belin
Karena Belin

© Inga Höltmann

Karena Belin ist von Anfang an dabei gewesen: Die Deutsche ist Start-up-Gründerin fast der ersten Stunde in Hongkong. Ihre Plattform Whub bringt Gründer, Talente und Investoren zusammen. Sie beobachtet, dass "immer mehr Studenten gründen, anstatt eine klassische Ausbildung zu machen". Auch Ältere werfen ihren frustrierenden Bankjob hin und machen sich mit ihrer Idee selbstständig. Karena Belin sieht Hongkong und Berlin nicht in Konkurrenz, sondern hofft eher darauf, dass die beiden Städte Synergien schaffen. "Das Ecosystem hier in Hongkong ist noch jung, noch ist es einfach, Sichtbarkeit herzustellen", meint sie. Dass Hongkong jetzt Berlin aber all seine Gründer abwirbt, das kann sich Simmendinger kaum vorstellen, auch wenn es für ihn und sein Metronom gut gepasst hat. "Es war schon ein großer Schritt, nach Hongkong zu ziehen", gibt er zu. "Das macht man nicht so einfach." Und er weiß auch: Nicht für jedes Start-up ist diese Schritt gut: "Das ist immer industriespezifisch." Für das Hardware-Start-up war die Nähe zu Shenzen ideal. Die Software wird weiterhin in Berlin geschrieben – sein Mitgründer Vogels kehrte dorthin zurück und leitet seitdem das Berliner Büro. "Dort finden wir gute Entwickler, die wir uns auch leisten können", sagt Simmendinger – das wäre in Hongkong ­wesentlich schwieriger.

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