zum Hauptinhalt
Protest im Staatsfernsehen. Die langjährige TV-Mitarbeiterin Marina Ovsyannikova hält am 14. März 2022 während der meistgesehenen Nachrichtensendung in Russland ein Plakat gegen den Ukraine-Krieg ins Bild.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com

Kaum noch unabhängige Medien: Putin-Propaganda und Kreml-Trolle

Warum verfängt die Propaganda des Kreml in Russland, aber kaum in Deutschland? Anna Litvinenko und Matthias Wählisch geben Antworten.

Von Jonas Krumbein

„Die Medienlandschaft in Russland wird schon seit Langem vom Staat dominiert. Seit 5. März herrscht de facto Militärzensur. Es bleiben nur wenige unabhängige Medien, die zum größten Teil im Exil arbeiten. Die Propaganda hat zunehmend totalitären Charakter.“ Dieses düstere Bild vom Informationskrieg in Russland zeichnet die Kommunikationswissenschaftlerin Anna Litvinenko von der Freien Universität Berlin. Litvinenko hat bis 2015 in Sankt Petersburg gelebt, studiert und gearbeitet: als Assistenzprofessorin an der Sankt Petersburger Universität und als Journalistin für Medien, etwa die russische Ausgabe des Geo-Magazins.

„Es gab eine relativ große liberale Blase, in der man sich aufhielt. Ich habe nie Zensur erfahren“, erinnert sich die Wissenschaftlerin. „Auch an der Uni gab es keine Vorgaben, was ich lehren sollte. Selbst mit Regierungsleuten ließ sich damals noch reden. Heute stellt sich die Frage: Wie konnte sich die Lage so schnell so drastisch ändern?“

Staatliche Repressionen greifen seit 2011 die Freiheit im Internet an

Nach den Parlamentswahlen 2011 war es in Russland zu Protesten wegen mutmaßlicher Wahlfälschungen gekommen. Die Regierung erkannte die mobilisierende Kraft des Internets und ging konsequent gegen Netzfreiheit vor. Trotz staatlicher Repressionen gelang es einer jungen kreativen Protestbewegung, in den darauffolgenden Jahren in mehreren Städten Stadtteilwahlen zu gewinnen, berichtet Anna Litvinenko.

Als Beschleuniger der autoritären Wende macht sie die Corona-Pandemie aus: „Putin nutzte die Gunst der Stunde und verschärfte die Repressionen gegen die Opposition; selbst Protestaktionen von Einzelpersonen wurden ‚aus hygienischen Gründen' untersagt.“ Das Regime ließ ein Gesetz gegen angebliche Falschnachrichten rund um die Pandemie verabschieden. Das eigentliche Ziel: oppositionelle Stimmen auszuschalten. Zum selben Mittel griff Putin auch nach dem Angriff seines Landes auf die Ukraine. Das neue Gesetz sieht Haftstrafen bis zu 15 Jahren für die „Diskreditierung russischer Streitkräfte“ vor. Schon wer „Krieg“ statt „Spezialoperation“ sagt, macht sich strafbar.

Aus europäischer Sicht wirkt Putins Erzählung einer „Spezialoperation gegen Nazis in Kiew“ grotesk. Der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenski stammt aus einer jüdischen Familie und hat Verwandte im Holocaust verloren. Wie können Menschen in Russland Putins Nazi-Geschichte glauben?

Anna Litvinenko hört diese Frage häufig – und liefert eine Erklärung: „Wer nicht seit acht Jahren vom Staatsfernsehen mit dem Narrativ der Nazis in Kiew gefüttert wurde, findet die russische Propaganda in der Tat schwer zu glauben.“ Das sei auch der Hauptgrund, warum der schon vor Kriegsbeginn berüchtigte russische Auslandssender RT Deutsch und die Kreml-Trolle in sozialen Medien in Deutschland kaum verfangen hätten. Hinzu komme, dass die ukrainische Regierung und Präsident Selenski die Erwartungen in sozialen Medien sehr gut bedienten: „Dort sind emotionale, menschliche Geschichten gefragt. Wer authentisch erzählt, ist automatisch glaubwürdiger als die russische Propaganda.“

YouTube, Telegram und Newsletter verbreiten noch unabhängige Informationen

Im Schatten Selenskis bewiesen auch unabhängige russische Medienschaffende großen Mut – selbst in den Kriegsgebieten der Ukraine, wie Anna Litvinenko hervorhebt. „Weil russische Männer nicht einreisen dürfen, machen Frauen die gefährliche Arbeit als Kriegsreporterinnen für unabhängige Medien.“ Eine von ihnen, Oksana Baulina vom Investigativmedium „The Insider“, bezahlte dafür jüngst mit ihrem Leben. Sie starb durch russischen Raketenbeschuss.

In Russland würden unabhängige Informationen über YouTube, Telegram und über Newsletter verbreitet. „Newsletter gelten in Russland nicht als Medien und sind daher weniger im Fokus der Zensur“, erklärt Anna Litvinenko. Auch auf YouTube gebe es noch unabhängige Stimmen. Doch die gerieten nun auch durch die Sanktionen des Westens in Bedrängnis: „YouTube hat Einnahmemöglichkeiten für russische Nutzer gesperrt und erschwert unabhängigen Journalisten so die Finanzierung“, sagt Anna Litvinenko. Nun gebe es Gerüchte, denen zufolge die Videoplattform bald wie Facebook oder Twitter gesperrt werden kann.

Ein Rückzug von YouTube würde junge Menschen in Russland schmerzen, die die Plattform als Unterhaltungsmedium schätzten. In der Bevölkerung könnte das Unmut erregen – für Anna Litvinenko der Grund, warum YouTube noch nicht gesperrt wurde. Trotz unabhängiger Medienstimmen dort und auf Telegram macht sich die Wissenschaftlerin keine Illusionen: „Diese Medien erreichen nur noch diejenigen, die ohnehin gegen den Krieg sind. Die Chance, in Russland zufällig auf kritische Informationen zu stoßen, ist heute fast gleich null.“

Der Internetzugang in der Ukraine ist weiterhin stabil

In der Ukraine hingegen haben Menschen Zugang selbst im Krieg zu unabhängiger Information – und Informatikprofessor Matthias Wählisch möchte dazu beitragen, dass das so bleibt. Er hat sich dafür engagiert, dass die Freie Universität ausgemustertes, aber funktionsfähiges IT- Equipment wie Switche und Stromgeneratoren an ukrainische Internetanbieter spendet, damit diese durch russische Militärangriffe zerstörte Infrastruktur schnell reparieren und Internetausfälle in Grenzen halten können.

Trotz des universitären Tagesgeschäfts hat das Hochschulrechenzentrum Zedat bereits eine Tonne Hardware bereitgestellt. Bislang sei der Internetzugang in der Ukraine bemerkenswert stabil, sagt Matthias Wählisch. Ein Grund dafür: „Die Branche ist dezentral organisiert. Es gibt keinen Monopolisten, der sich mit einem gezielten Angriff ausschalten ließe, und kaum russische Internetprovider.“

Für Privatpersonen und Nichtregierungsorganisationen mit Verbindungen in die Ukraine oder nach Russland hat der Forscher einen Ratgeber zur sicheren Kommunikation verfasst. Er empfiehlt, verschlüsselte Kommunikationskanäle wie den Messenger Signal zu nutzen. Wo der Nutzer die Verschlüsselung aus den eigenen Händen gibt, wie oftmals bei der E-Mail-Kommunikation, rät er Institutionen, sich auf einen Provider festzulegen. „Damit vermeidet man, dass Daten zwischen verschiedenen Anbietern ausgetauscht werden, was ein Angriffspunkt für Hacker sein kann“, erklärt er.

Erbeuten Angreifer dennoch Nutzernamen und Passwörter, schütze außerdem die Mehr- Faktor-Authentifizierung vor unbefugtem Eindringen in Accounts. Der Informatikprofessor hat noch einen überraschenden Tipp: „Wer Geheimnisse austauschen will, trifft seine Kontakte am besten in lauter Umgebung und flüstert. Dann sieht man auch sofort, dass die Botschaft angekommen ist.“

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false