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Die Grenze zwischen der Republik Irland und der Provinz Nordirland markiert vom 1.Januar 2021 an die Außengrenze der Europäischen Union zu ihrem ehemaligen Mitgliedsstaat Großbritannien. Das Bild zeigt den Abschnitt bei Jonesborough im nordirischen County Armagh.

© picture alliance / NurPhoto /ArturWidak

Jubiläum der Teilung Irlands: Wie eine offene Wunde

Vor 100 Jahren beschloss das britische Parlament den Government of Ireland Act, der nach dem Unabhängigkeitskrieg zur Teilung Irlands führte 

In Nordirland sind die Vorbereitungen für die Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag der Teilung Irlands seit Langem in Gange. Der protestantische Oranier-Orden plant Feuerwerke und einen Marsch zur Erinnerung an die erste Sitzung des Nordirischen Parlaments im Mai 1921, die Regierung des britischen Premierministers Boris Johnson will in der Belfast City Hall eine Gedächtniszeremonie abhalten.

Wunden der Geschichte sind nicht verheilt

Erschwert werden die Planungen nicht nur durch die Coronavirus-Pandemie, sondern auch durch die Spätfolgen der Teilung: Katholische irische Nationalisten wollen nicht an Feierlichkeiten teilnehmen, die von der britischen Regierung organisiert werden, Unionisten ärgern sich über diesen Boykott, der daran erinnert, dass die Wunden der Geschichte nicht verheilt sind. Über allem hängt der ungewisse Ausgang des Brexit-Dramas: Noch immer ist ungeklärt, ob der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union am Ende zu einer neuen harten Grenze zwischen den beiden Teilen Irlands führen wird — also zwischen der Republik Irland und der zum Vereinigten Königreich zählenden Republik Nordirland. Die Übergangsphase endet in wenigen Tagen am 31. Dezember 2020.

Bürger der nordirischen Gemeinden, die an die Republik Irland angrenzen, protestieren im März 2019 in Carrickcarnon gegen einschneidende Veränderungen im Zuge der Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. 
Bürger der nordirischen Gemeinden, die an die Republik Irland angrenzen, protestieren im März 2019 in Carrickcarnon gegen einschneidende Veränderungen im Zuge der Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. 

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Am 23. Dezember 1920 hatte das britische Parlament den Government of Ireland Act beschlossen, der im Mai 1921 in Kraft trat und eigentlich die Selbstverwaltung für ganz Irland unter britischer Kontrolle ermöglichen sollte. Doch nur sechs Grafschaften der Provinz Ulster verblieben als Nordirland im Vereinigten Königreich; der Rest des Landes wurde nach dem Unabhängigkeitskrieg 1921 zum souveränen Staat und 1949 schließlich zur Republik Irland.

Katholiken widersetzten sich der Landnahme

Professor Arnd Bauerkämper, Historiker am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität, sieht die Gründe für die Teilung Irlands in einem ungelösten Konflikt, der bis in die Frühe Neuzeit zurückreicht: „Da ist einmal die Landnahme durch die Briten, vor allem in Nordirland, der sich der katholische Bevölkerungsteil seit dem 19. Jahrhundert zunehmend widersetzte. Hinzu kommt ein konfessioneller Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken, der seit dem 17. Jahrhundert bestand.“ Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts folgte daraus „eine zunehmende Radikalisierung auf beiden Seiten“, gipfelnd im Oster-Aufstand 1916, der durch das britische Militär blutig niedergeschlagen wurde.

Die Zahl der Todesopfer wird auf über 3500 geschätzt

Doch auch nach der Teilung der Insel dauerte der Konflikt um Nordirland an. „Das war ein Kompromiss, der letztlich von keiner Seite respektiert wurde“, sagt Arnd Bauerkämper. „Der neuen Irischen Republik fehlte ein Teil des Landes; für die Anhänger der Union war der Zustand ebenfalls unbefriedigend.“ Was folgte, waren Jahrzehnte der blutigen Auseinandersetzung, die in den 1970er und 1980er Jahren in den „Troubles“ gipfelten, als Paramilitärs auf beiden Seiten einander bekriegten. In den Konflikt griffen auch die britische Armee und nordirische Polizeikräfte ein. Die Zahl der Todesopfer wird auf mehr als 3500 geschätzt. Erst im Karfreitagsabkommen von 1998 wurde ein Ausgleich besiegelt, und die Teilung der Macht in Nordirland wurde institutionalisiert.

Seitdem ist die Insel zwar befriedet, aber nicht alle haben ihren Frieden mit der Teilung gemacht. Was sich auch in der Auseinandersetzung um das offizielle Gedenken zeigt: „Der Kampf um die Erinnerung dauert an, auf beiden Seiten. Die Inanspruchnahme von Geschichten spielt bis heute eine große Rolle“, sagt der Historiker.

Die Nordirlandfrage ist ein Stolperstein beim Brexit

Die Lage wird nicht einfacher dadurch, dass der Status von Nordirland 100 Jahre nach der Teilung auf einmal zu einer Frage mit weltpolitischer Bedeutung wurde – oder besser gesagt: zu einem hartnäckigen Stolperstein in den noch immer laufenden Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union (EU).

„Die Frage Nordirlands hat die Austrittsverhandlungen enorm erschwert“, sagt Professorin Tanja Börzel, Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Sollte das Vereinigte Königreich aus dem Binnenmarkt ausscheiden, würde die Grenze zwischen der Republik und Nordirland wieder hochgefahren: Wenn man das vermeiden will, weil es das fragile Zusammenleben gefährden könnte, würde die Zollgrenze in der Irischen See verlaufen, was für britische Konservative allerdings einer Spaltung des Vereinten Königreiches gleichkäme.

Auch Fördermittel stehen zur Disposition

Ein kniffliges Problem, das dazu geführt hat, dass Nordirland in den Verhandlungen von beiden Seiten „ein Stück weit instrumentalisiert“ wurde, urteilt Tanja Börzel. Aber natürlich gebe es die Sorge, „dass durch den Brexit das, was in den vergangenen Jahrzehnten in der Region erreicht worden ist, wieder gefährdet ist.“ Europäische Integration, das bedeutete für Nordirland neben dem Abbau von Grenzen und Grenzkontrollen auch umfangreiche EU-Fördermittel. Beides steht mit dem Brexit zur Disposition, betont die Wissenschaftlerin.

Die Verwicklungen sind nach dem Sieg der Demokraten bei der US-Präsidentschaftswahl um ein Kapitel reicher: Nicht nur wegen der irischen Wurzeln Joe Bidens, sondern auch, weil er und seine Partei schon früh klargestellt haben, dass sie kein Handelsabkommen mit Großbritannien erwägen würden, durch das das Karfreitagsabkommen gefährdet wäre.

Politologin Tanja Börzel rechnet damit, dass dadurch wieder Bewegung in die Brexit-Verhandlungen kommt. Offen bleibt, ob sich noch abwenden lässt, dass Irland 100 Jahre nach der Teilung und 22 Jahre nach der Versöhnung im Karfreitagsabkommen von Neuem entzweit wird.

Pepe Egger

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