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Starschnitt. Auf der ganzen Welt war Zaha Hadid berühmt für ihre extravagante Architektur. Miramar al Nayyar hat der 2016 Verstorbenen mit dem haushohen Porträt ein Denkmal gesetzt.

© Annette Wagner

Baladk Festival in Amman: Wie junge Jordanierinnen Street-Art entdecken

In der jordanischen Hauptstadt Amman sieht man Frauen oft nur versteckt unter Kopftüchern. Ein Festival verschafft ihnen nun den großen Auftritt.

Wer hoch oben auf dem Zitadellenberg von Amman steht, ist von 3500 Jahre alten Ruinen umgeben. Bisher drifteten die Augen beim Blick hinab in die Viermillionenmetropole haltlos über wüstensandfarbene Häuserblöcke, dicht an dicht auf sieben Hügel hingewürfelt. Jetzt fällt ein gigantisches Frauenporträt unten im Stadtzentrum auf: die irakische Stararchitektin Zaha Hadid. Kunststudentin Miramar al Nayyar hat ihrer 2016 verstorbenen Landsfrau ein zwölf Meter hohes Denkmal gesetzt.

Einmal im Jahr wird Jordaniens Hauptstadt eine Woche lang zum offenen Atelier. Das in der arabischen Welt einzigartige Muralfestival „Baladk“ lädt internationale und einheimische Künstlerinnen und Künstler ein, Amman mit großformatigen Gemälden umzugestalten. In diesem Jahr lautete das Festivalmotto Inklusion: Frauen sollten sichtbarer werden, als Motive sowie als Urheberinnen von Kunst. Das erregte ebenso Aufsehen wie Widerspruch in den Straßen von Amman.

Unter ständiger Beobachtung

Mai 2019. Im Zentrum beobachten Geschäftsmänner überrascht, wie eine zierliche junge Frau im Overall einen hydraulischen Steiger manövriert und die Gesichtszüge Zaha Hadids auf eine bröckelnde Wand tüncht. Ein männlicher Assistent reicht Miramar die in Weiß und Aubergine getränkten Farbbesen an. Ein letzter kühner Schwung mit überkopf gereckten Händen, und die Augenbraue sitzt.

In Hashmi Shamali, einem tristen Randbezirk Ammans mit hoher Arbeitslosigkeit und wenig Zukunftsperspektiven, ist das Street-Art-Festival willkommene Abwechslung für die auf der Straße herumhängenden Jugendlichen. In einem Viertel, in dem alle Frauen Kopftuch tragen, fällt Rima al Bashir auf: mit enger Jeans und T-Shirt, das lange Haar so offen wie bei der Frauengestalt, die sie auf eine ebenerdige Mauer malt. Die Straßenkünstlerinnen sind nicht nur jordanischer Gluthitze und Autoabgasen ausgesetzt, sondern auch ständiger Beobachtung. Jeder verrutschte Pinselstrich wird sofort kommentiert.

Rima ist glücklich. Ihre Arbeit regt Gespräche an zwischen Nachbarn unterschiedlicher Herkunft, Geflüchteten aus Palästina, Syrien, dem Irak, die einander vorher mieden. Nur ein konservativer älterer Muslim fühlt sich provoziert: „Das ist doch ein Marienbild“, ruft er erbost.

Nicht jeder Hausbesitzer erlaubt die Bemalung

Die Galerie selbstbewusster Frauen entlang der Straße wird allmählich fertig. Um die Ecke signiert Architekturstudentin Ibtihal al Dous stolz ihr erstes Wandbild mit ihrem Künstlernamen Zinc. Für die Tochter palästinensischer Flüchtlinge, deren Leben von ständigen Umzügen aus einer baufälligen Bleibe in die nächste gekennzeichnet ist, ist es eine starke Erfahrung, etwas Dauerhaftes gestalten zu dürfen. Rima al Bashir wiederum hat vorgefundene Graffiti, Namenstags junger Männer und der von ihnen verehrten Fußballclubs, in ihr Bild integriert. Ein respektvoller, vermutlich auch kluger Ansatz in einem Viertel, wo der Umgangston rau ist und Frauen nur mit der Einkaufstasche in der Hand eine Lizenz zum Verlassen der Wohnung zu haben scheinen.

Besonders starken Widerstand erlebt Yara Hindawi. Ihr Motiv sollten zwei ineinander greifende Hände sein, Sinnbild für gute Nachbarschaft. Doch der konservative Hausbesitzer hat die Bemalung seiner Fassade unterbrochen: „Keine Menschen, keine Tiere. Der Islam verbietet Abbilder von Mohamed und seinen Geschöpfen.“ Hindawi, im Berufsleben gestandene Marketingfrau und PR-Chefin der Amman Design Week, tupft, eher ratlos als zornig, noch ein paar kindlich wirkende Blümchen auf die pink grundierten Wände. Dann packt sie ihre Spraydosen zusammen.

„Baladk“ heißt: deine Stadt

Ein Schulmädchen mit dickem Zopf nutzt den Moment. Seit dem ersten Festivaltag ist sie der Künstlerin beharrlich gefolgt. Shaheed lotst sie zu ihrem Wohnblock, stellt sich in Pose, möchte porträtiert werden. Yara Hindawi holt lächelnd ihre Farbdosen aus dem Rucksack.

„Baladk“ heißt: deine Stadt. Die Street-Art hat Hashmi Shamali nicht nur optisch aufgewertet. Die Viertel haben dauerhaft ein feminines Gesicht bekommen. Manchmal halten Mädchen und Frauen auf dem Weg von der Schule oder zum Einkaufen vor den selbstbewussten Riesinnen inne.

Annette Wagner

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