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Ziemlich verrückte Hühner: Die Züchterin mit ihrem Küken.

© Patrice Casanova/Schirmer/Mosel

Isabella Rossellini und ihre Hühnerzucht: Das liebe Federvieh

Sie war Supermodel, heute lebt die Hobby-Bäuerin auf einer Biofarm auf Long Island und züchtet Rassehühner. Darüber hat sie jetzt ein Buch geschrieben.

Warhol stehen die weißen Haare zu Berge, Speedy flitzt weg und Amelia Earhart stürzt sich in jedes Abenteuer: Wenn die Hausherrin mal wieder vergessen hat, die Türen zu schließen, spaziert das rot gefiederte Tier einfach ins Wohnzimmer. Vergnügt blättert Isabella Rossellini in ihrem Buch, „Meine Hühner und ich“, zu dessen „Weltpremiere“ sie nach München gekommen ist, und führt ihre Lieblinge vor. Die mit der stärksten Persönlichkeit, ein Haubenhuhn, ein Welsumer und ein Modern Game.

Statt im Hühnerstall treffen wir uns im feinen Bayerischen Hof. Entspannt sitzt der Star in der Lounge, bestellt Earl Grey, knabbert den Keks dazu und erzählt so charmant und ohne Eile, als hätte sie an diesem Sonntagabend – gerade aus Rom gelandet – nichts Besseres zu tun, als mit einer Journalistin über ihre Rassehühner zu reden. Auf Englisch, das nach 45 Jahren USA noch immer mehr weicher mediterraner Gesang als Amerikanisch ist.

Isabella Rossellini lebt in einer umgebauten Scheune auf Long Island, 100 Kilometer von Manhattan, der Society und den Paparazzi entfernt. Als ein „wunderschönes“ Gelände in der Nähe bebaut werden sollte, waren sie und ihre Nachbarn ganz traurig. Dann, plötzlich, ergab sich die Möglichkeit zum Kauf. Rossellini griff zu, widmete das Bau- zum Farmland um und machte vor vier Jahren aus dem Gelände einen Bauernhof.

"Sie haben keine Tiere? Sie Ärmste!"

Besser gesagt einen Garten Kunterbunt. Geld muss er keins abwerfen, Rossellini war mal das teuerste Model der Welt. Er soll ihrer Unterhaltung dienen, aber verantwortungsvoll betreiben will sie ihn schon. Ihre Freundin Paddy, früher selber Köchin, pflanzt dort für Restaurants alte Gemüsesorten an, „Tomaten, Kartoffeln, Spinat, wie es sie in keinem Supermarkt zu kaufen gibt“. Rossellini ist ein Fan der Artenvielfalt, ob bei Pflanzen, Menschen oder Tieren. Eine andere Freundin lässt ihre Schafe dort grasen. Die Schüler der Highschool erleben, wie die Zutaten wachsen, mit denen sie kochen lernen. Eine Uni-Gruppe experimentiert mit einheimischen Samen, eine Kooperative wird mit Lebensmitteln versorgt.

„Und dann bin da noch ich.“ Ein Ich mit Bienen und Raritäten-Federvieh, das sie gerne streichelt, „viel weicher als Katze und Hund“. Die sie natürlich ebenfalls hat. Ein Leben ohne Tiere ist undenkbar für sie. „Wie, Sie haben keine? Gar keine?“ Mitleidiges Entsetzen. „Sie Ärmste!“

Warum ausgerechnet Hühner? „Weil sie so pflegeleicht sind.“ Schließlich ist Rossellini – Model, Schauspielerin, Regisseurin, Moderatorin, Studentin, Komikerin, Autorin, Parfümerfinderin, Mutter, Tochter berühmter Eltern – viel unterwegs. Hühner kann ihr Allroundmitarbeiter auf der Farm noch nebenbei füttern.

Ein Modefotograf hielt die Entwicklung der Hühner fest

Bodenständigkeit und Pragmatismus, sagt die Amateur-Bäuerin, wie sie sich nennt, habe sie von der Mama, Ingrid Bergman, geerbt. Von Vater Roberto Rossellini die Fantasie. Natürlich sollten es daher nicht irgendwelche Nullachtfünfzehnhühner sein, sondern Geflügel, das sie zu faszinieren und zu amüsieren weiß. Also recherchierte die Studentin der Tierverhaltensforschung, die sie gerade am Hunter College ist – und bestellte per Post alte Rassen, vom Aussterben bedroht, ein paar Dutzend Exemplare. Die sahen, als sie aus dem durchlöcherten Karton kletterten, ganz anders aus als erwartet. Wilder, kleiner, dunkler, knorriger. Kein weicher gelber Flaum wie die Küken in den Osterbilderbüchern.

Ein Fayoumi-Huhn
Ein Fayoumi-Huhn

© Patrice Casanova

Daher bat sie ihren alten Freund Patrice Casanova, von Hause aus Modefotograf, die Entwicklung ihrer Tiere vom dreitägigen Baby zur eierlegenden Erwachsenen festzuhalten. In einem improvisierten Open-Air-Studio, auf einem Tisch mit weißem Tuch. Erst da wurde ihr endgültig klar, wie pfiffig und lustig Hühner sind. „Normalerweise sieht man sie ja immer von oben.“ Erst auf Augenhöhe, im Stillstand der Bilder, sah sie die Ausdrucksstärke ihrer Charakterköpfe, die originellen Körperhaltungen, wie sie sich auf Zehenspitzen stellen.

„Aah, Lossar!“ Ihr Verleger, Lothar Schirmer, lässt sich in den Hotelsessel fallen, in dem er mehr liegt als sitzt, die roten Hosenträger über den weichen Bauch gespannt. Das Bilder-Buch zu machen, war seine Idee, nicht zuletzt wegen der witzigen, reduzierten Strichzeichnungen von Isabella. „Fast comicartig!“

Sie hat Sex mit Anchovis gehabt

Individualisten. Eier glücklicher Biohühner.
Individualisten. Eier glücklicher Biohühner.

© Patrice Casanova

Isabella Rossellini mag Bauch. Den hat sie auch am Papa so geliebt. In ihrer vergnüglichen Autobiografie schildert sie Roberto Rossellini als Muttersau, auf dem die sieben Kinder wie Ferkel kuschelten. Der Vater scheint die bessere Mamma der Familie gewesen zu sein. Mamma: Sie spricht das Wort mit viel italienischem Gefühl aus. Das ist noch etwas, was ihr an den Hühnern so gefällt – dass sie so besorgte Glucken sind. Die natürlich auch ihre Übermutter erkennen. Vor Isabella haben sie keine Angst, hüpfen ihr auf den Schoß.

Dass es glückliche Biohühner sind, versteht sich von selbst, die ganze Farm ist bio. Aber sie will nicht als Missionarin auftreten, schon gar nicht als militante. Mit ein paar Strichen deutet sie den Unterschied zum Industriehuhn an, das muss reichen. Entertainerin will sie sein.

Was für eine grandiose, unerschrockene Unterhalterin sie ist, hat sie in ihren wilden Aufklärungs-Tierfilmen gezeigt, die vor ein paar Jahren auf der Berlinale zu sehen waren. Da hat sie als erregte Schnecke gestöhnt und als lüsterner Wal geseufzt, Papp-Penisse in Weichteile gesteckt, Glubschaugen aufgesetzt, Babys ermordet, Sex mit Anchovis gehabt. Drehbuchautorin, Regisseurin, Kostümbildnerin und wissenschaftliche Beraterin in einer Person, schlüpfte sie als einzige Darstellerin in hautenge Ganzkörperkostüme. „Green Porno“ heißt die Kürzestfilm-Serie, mit der sie das gleiche Ziel verfolgt wie mit dem Hühnerbuch und ihren Bühnenauftritten: komplizierte wissenschaftliche Sachverhalte auf leichte, lustige Weise zu vermitteln.

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Als Nächstes plant sie einen Zirkus, in dem Hunde als Elefanten auftreten

Im wirklichen Leben sieht der Pornostar aus wie eine Madonna. Die glatten schwarzen Haare mädchenhaft hinter die Ohren geschoben, an denen Perlen baumeln, der einzige Schmuck. Das schwarze hochgeschlossene Kleid, das weich bis zu den Knöcheln fällt, gibt ihr fast etwas Nonnenenhaftes.

Isabella Rossellini gackert wie ein Huhn. Immer wieder bricht sie in schallendes Gelächter aus – über sich, die Hühner und die Welt. Lachfalten um die Augen herum scheinen die einzigen Runzeln der großen Schönheit zu sein. Aber keine Komplimente jetzt. Die knapp 65-Jährige hört es nicht gern, dass sie jünger aussieht, als sie ist. Hat sie doch all die Jahre gelebt, gern und aus dem Vollen. Und wurde von Lancôme mit Anfang 40 als zu altes Model ausgemustert, damals ein großer Skandal.

Das Alter steht ihr gut. Isabella Rossellini wird immer besser, immer mehr sie selbst. Als Nächstes möchte sie eine Bühnenshow über die Intelligenz von Tieren machen. Und plant einen Zirkus, in dem Hunde als Elefanten auftreten. „Link Link“ soll er heißen, eine Anspielung auf Darwin, der darauf bestand, dass Mensch und Tier verbunden (linked) sind.

Womit sie aufgehört hat: Blindenhunde zu trainieren, ehrenamtlich. Das wäre zu gefährlich, seit der letzten Rücken-OP. Der Rücken hat sie als Teenager lahmgelegt. Wegen einer dramatischen Skoliose musste er immer wieder gestreckt werden, bei vollem Bewusstsein, bis Isabella dieses vor Schmerzen verlor, dann kam sie für ein paar Wochen in ein Gipsbett, zum Stabilisieren, dann wieder Strecken, Ohnmacht, Gipsbett, OP … Als sie sich endlich wieder bewegen konnte, mochte sie nicht mehr still sitzen, brach die Schule ab. Die Schmerzen gingen nie weg.

Sie isst Geflügel, nur nicht das eigene

Das Leben hat ihr reichlich Stoff zum Unglücklichsein geliefert. Der Skandal der elterlichen Beziehung, mit dem sie aufwuchs, ihre gescheiterten Ehen, eine davon mit Martin Scorsese. Von David Lynch, ihrer großen Liebe, verlassen zu werden. Die Paparazzi. Der frühe Tod der Eltern, der Rausschmiss bei Lancôme. Isabella Rossellini macht den Eindruck eines Menschen, der sich entschlossen hat zum Glücklichsein. Sie hat so eine kindliche Freude an ihren Hühnern, weil sie sie haben möchte. Und weil sie um den Schmerz weiß. Deswegen schwärmt die Künstlerin auch so von Laurie Andersons Film „Heart of a Dog“ und Sean Ellis’ Fotobuch „Kubrick the Dog“, in denen es, „mit großer Zärtlichkeit und Poesie“, um die Liebe, das Leben und den Tod geht.

Wenn ihre Hühner sterben, werden sie wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen: Dann bringt Isabella die Leichen in den Wald, damit Waschbären auch noch was von ihnen haben. Sie selbst isst mit Genuss die Eier ihrer Rassehühner, „die ganz anders schmecken als die aus dem Supermarkt“. Geflügel verspeist sie auch. Nur nicht das eigene, das bringt sie nicht übers Herz. Auch wenn es für sie eindeutig Farmtiere sind, keine Haustiere. (Hunden und Katzen könne man beibringen, draußen zu pinkeln. Hühner seien inkontinent.) „Aber man hängt an ihnen.“

Isabella Rossellini: Meine Hühner und ich. Schirmer/Mosel, 24,80 Euro. Im selben Verlag erschien ihre Autobiografie „Some of Me“. „Green Porno“ auf Youtube, „Green Porno Live“ auf Netflix.

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