zum Hauptinhalt
Die Stadt Palmyra in Syrien.

© AFP

IS erobert Palmyra: Die Oase des Schreckens

Palmyra ist ein Zeugnis der Schönheit und Zivilisation. Nun hat die Terrormiliz des "Islamischen Staats" die uralte Handelsstadt in Syrien erobert. Tausende Menschen sitzen in der Falle bei den antiken Ruinen. Unschätzbarem Kulturgut droht die Zerstörung.

Die Welt erlebt, wenn sie sich dafür noch interessiert, eine Woche bislang unvorstellbarer Triumphe für die Terroristen des „IS“. Im Irak haben sie die Stadt Ramadi eingenommen, 110 Kilometer westlich von Bagdad. In Syrien fiel ihnen am Mittwoch Palmyra in die Hände. Das ist in vielerlei Hinsicht eine Katastrophe. Bei Palmyra liegen Gasfelder, es gibt dort einen Flughafen, es gibt Wasser, und der Weg in die Hauptstadt Damaskus ist nicht mehr allzu weit, 220 Kilometer. Der „IS“ kontrolliert jetzt die Hälfte des syrischen Territoriums, mordet systematisch und treibt die Flüchtlinge vor sich her.

Bis zu 50 000 Menschen sollen noch in Palmyra leben, das auf Arabisch Tadmur heißt. Der Krieg zwischen diversen aufständischen Gruppen, Islamisten und den Truppen von Präsident Baschar al Assad hat zehntausende Heimatlose in die Stadt getrieben. Sie sitzen in der Falle bei den antiken Ruinen, die auch auf Terroristen ihre Anziehungskraft ausüben. Der „IS“ hat eine gewaltige neue Bühne erobert an einem strategischen Punkt.

Einmalige Schönheit und Größe

Palmyra gehört zur Weltkultur. Die Ruinenanlage in der Oase ist von einmaliger Schönheit und Größe. Wer sie einmal besuchen durfte, wird schier verrückt bei dem Gedanken, der „Islamische Staat“ könnte hier seinen Vernichtungsfeldzug fortsetzen.

Einen Teil der beweglichen Schätze muss man wohl jetzt schon verloren geben. In welchem Umfang die Sammlungen des Museums von Palmyra von der syrischen Antikenbehörde in Sicherheit gebracht werden konnten, ist unklar. Die Terrorristen schaffen wertvolle Stücke auf den Schwarzmarkt, sie haben hier eine massive Einnahmequelle.

Palmyra lässt sich mit keinem anderen Ort im Osten des Imperium Romanum vergleichen. Die ältesten Bauwerke stammen aus hellenistischer Zeit – die imposanten Grabtürme. Die große Kolonnade, die Hauptstraße der antiken Stadt, war 1100 Meter lang und elf Meter breit. So viel steht bis heute noch, dass man ihren Verlauf, ihre Majestät nachvollziehen kann. Im 2. Jahrhundert nach Christus erlebte die Stadt des Handels und der Karawanen ihre größte Blüte; Römer, Griechen, Juden, Araber lebten hier. Über Palmyra und Baalbek im heutigen Libanon war Rom mit Indien und China verbunden. Dazwischen lagen das Zweistromland und Persien. Palmyra verband Welten miteinander.

Eigene Dimension und Perspektive

Säulengruppen, Tore, Steintrommeln, Fundamente im Wüstensand. Umherstreifend in Palmyra, im bis heute lesbaren Layout einer einst prächtigen Stadt, kam man aus dem Staunen nicht heraus. Im November 2007 gab es schon kaum mehr Touristen, die Hotels standen leer. Fremdenführer, alte Männer mit gebrochenem Deutsch, zum Teil noch beim Studium in der DDR erworben, die mit Syrien verbündet war, stürzten sich auf die raren Besucher. Junge Beduinen knatterten auf Mopeds über die staubigen Pisten. Auf den Stufen eines Tempels lag eine Säule, lang hingeschlagen, festgehalten von der Schwerkraft und der Geschichte.

Palmyra besitzt eine eigene Dimension und Perspektive, keine modernen Bauten stehen in unmittelbarer Nähe. Es gilt nach wie vor der Maßstab einer zweitausend Jahre zurückliegenden Epoche. Das machte das Erlebnis so außergewöhnlich. Vom Hügel herab schaut die arabische Zitadelle aus dem 13. Jahrhundert auf das gewaltige Ruinengelände der Metropole, die kurze Zeit Hauptstadt des Reiches der Königin Zenobia war; es erstreckte sich bis Ägypten. Ende des 3. Jahrhunderts marschierten römische Heere ein und beendeten die Episode.

Schutzlos, wie ein offenes Buch, liegt Palmyra da

© Karikatur: Stuttmann

Um Zenobia, die Rebellin, ranken sich wilde Legenden und Geschichten, die jeden Hollywood-Sandalenfilm in den Schatten stellen. Sie trieb die Kaiser in Rom, deren Reich ohnehin abbröckelte, zum Wahnsinn. Sie starb in Gefangenschaft, beging Selbstmord wie Kleopatra, niemand weiß es genau. Palmyra und Zenobia, ein magischer Klang.

1813 ritt die englische Abenteuerin Lady Hester Stanhope im Nomadendress in Palmyra ein und krönte sich zur „Königin der Wüste“. Ernsthafte Ausgrabungen begannen vor dem Ersten Weltkrieg mit den Berliner Archäologen Theodor Wiegand und Otto Puchstein. Baalbek und Hattuscha hat Puchstein mit erforscht, und er war am Aufbau des Pergamonaltars auf der Berliner Museumsinsel beteiligt. Mit dem Babylon-Ausgräber Robert Koldewey schrieb er über griechische Tempel in Sizilien.

"Wiege der Zivilisation"

Als „Wiege der Zivilisation“ bezeichnete sich der Irak, aber auch Syrien. Das ist die historische und künstlerische Bedeutung, die nach der Einnahme von Palmyra durch den „IS“ auf dem Spiel steht. In Mosul, Ninive, Nimrud und Hatra haben die Barbaren Weltkulturgüter zerstört. Palmyra aber ist größer, reicher, noch kostbarer.

Schutzlos, wie ein offenes Buch, liegt Palmyra da. Im Tempel des Baal, dem größten Bauwerk, vollendet zu Christi Zeiten, 210 mal 205 Meter Seitenlänge, stieß der Besucher auf steinerne Reliefs, die Trauben und Palmen darstellen, daneben fanden sich Spuren islamischer Herrschaft. Das Buch Palmyra hat viele Seiten und Kapitel. Die Omaijaden richteten im 7. Jahrhundert eine Moschee ein und benutzten die Säulen der Römer, um den Baal-Tempel zur Festung auszubauen.

Expedition bei Sonnenaufgang

Ein Tag hat nicht gereicht, um die Stadt zu erkunden, zu begreifen, um das Tal der Türme zu durchwandern. Man sollte die Expedition bei Sonnenaufgang beginnen, da ist das Licht in der Wüste von surrealer Intensität, am frühen Morgen leuchten die Steine Palmyras aus sich heraus, als fließe in ihren Adern Leben.

Das alles ist Vergangenheit. Vielleicht wird man Palmyra nie wieder besuchen können. Weil es zu gefährlich ist. Oder weil es dann nicht mehr existiert.

Die Mörder des „IS“ begehen entsetzliche Gräueltaten, und man schweift in sicherem Abstand durch die Historie? Es ist nicht die Frage, ob man das darf – sich Reiseerinnerungen hingeben. Man kann nicht anders. Wie sonst lebt und überlebt Zivilisation, wenn sie nicht weitergetragen wird? Was sonst kann man den Propagandavideos entgegensetzen als eigene Bilder?

Sie wollen auch die Toten zum Schweigen bringen, die Zeugen der Geschichte

© Karikatur: Stuttmann

Es sind nicht tote Gegenstände, Steine in Gefahr, sondern Dokumente von Schönheit und Menschenwürde, von einer Stadt, die einmal in der Wüste gewachsen ist und verschiedene Kulturen und Glaubensrichtungen beherbergte.

Der „Islamische Staat“ schlachtet Menschen wie Vieh. Er legt historische Stätten in Schutt und Asche. Aber was heißt historisch? Vernichtet werden Gedächtnis, Zivilisation, Kultur, religiöse Artefakte und Bauten. Die sogenannten Gotteskrieger zerstören, was der menschliche Geist hervorgebracht hat, was Menschen mit ihren Händen gebaut haben. Sie töten, sie löschen aus. Sie wollen auch die Toten zum Schweigen bringen, die Zeugen der Geschichte. Ob ihre Opfer aus griechischer, römischer oder islamischer Zeit stammen, spielt keine Rolle.

Hinter der nicht abreißenden Folge horrender Verbrechen steckt das Kalkül, mit der Verbreitung des totalen Schreckens buchstäblich Land zu gewinnen und dem Westen Unbesiegbarkeit zu demonstrieren. 3500 Luftangriffe haben die US Air Force und ihre Verbündeten gegen den „Islamischen Staat“ geflogen. Es hat ihn offensichtlich nicht entscheidend geschwächt. Er breitet sich aus, zielt bald auf Bagdad und Damaskus.

Kampf um Palmyra.
Kampf um Palmyra.

© AFP

Palmyra wird zum Ort des Schreckens

Palmyra hat römische Kriegsmacht überlebt, die frühen Kalifate machten es nicht dem Erdboden gleich. Um Palmyra zu schützen, das Unesco-Weltkulturerbe, müsste der Westen dem syrischen Despoten Assad zu Hilfe kommen. Seine Truppen sind aus der Oase geflohen. Eine solche Koalition ist so unwahrscheinlich wie unmöglich. In Syrien bekriegen sich Schurken und Schurkenstaaten.

In der Nachbarschaft der Ruinen, in der Stadt Tadmur, befindet sich ein Gefängnis. Dort haben die syrischen Geheimdienste jahrzehntelang gefoltert und getötet. Offiziell heißt es, das Gefängnis sei 2001 geschlossen worden. 2011 nahm es seinen höllischen Betrieb wieder auf, als in Syrien Demonstrationen gegen das Assad-Regime begannen, friedlich.

In Syrien ist Tadmur ein Synonym für Unmenschlichkeit und Brutalität, so wie der Name Palmyra Sehnsüchte und Fantasien weckt. Nun nicht mehr. Palmyra wird zum Ort des Schreckens. Und was für eine grausame Ironie: Die berühmtesten Skulpturen aus Palmyra sind Grabbilder der römischen Zeit, ausdrucksstarke Büsten von Verstorbenen. Das Nationalmuseum in Damaskus besitzt von diesen Köpfen eine eindrucksvolle Sammlung. Sie sind sicher. Noch.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

Zur Startseite