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Generaldirektor Johannes Vogel hat Großes mit dem Naturkundemuseum vor.

© Thilo Rückeis

Investition in Berliner Wissenschaft: Wie das Naturkundemuseum an die Millionen kam

Ein Eingang auf Augenhöhe mit den Dinosauriern? Warum nicht. Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums, kann mit 660 Millionen Euro Träume verwirklichen.

Da stehen sie nun im Dachgeschoss ihrer legendären Bruchbude, direkt über dem Haupteingang. Bis auf eine schädellastige Vitrine haben sie die Sammlung aus der Kammer evakuiert. Das Stroh der Deckenfüllung hängt herunter, daneben elektrische Kabel. Bei Starkregen steht alles unter Wasser. „Schlimmer geht’s nicht“, sagt Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums. „Gott sei Dank ist Klimawandel“, sagt ironisch Stephan Junker, sein Geschäftsführer. Da habe es diesen Sommer gar nicht geregnet ...

Es stinkt, wirklich. Oder riecht es nach Aufbruch? Alle sind euphorisch.

Dieses Nebeneinander von großer Hoffnung, von Großartigkeit und Katastrophe habe es hier am Museum immer gegeben, sagt Johannes Vogel. Der Generaldirektor war beinahe geplatzt in den Tagen vor der Bekanntgabe der Neuigkeiten am Mittwoch. Zwei Wochen zuvor hatte er zwei Kisten Champagner bestellt. Einen Tag zuvor brummte und summte sein Haus noch mit Hunderten von internationalen Wissenschaftlern, die für den „Science Summit“ aus 24 Ländern angereist waren, aber der Gastgeber durfte noch immer nichts rauslassen.

Sieben Jahre Arbeit zahlen sich jetzt aus

Die märchenhafte, kaum vorstellbare Summe von 660 Millionen Euro hatte er losgeeist. Eine Hälfte vom Bund, die andere vom Land. Für eine einzige Institution! Für das Naturkundemuseum Berlin.

Sieben Jahre hat Johannes Vogel auf diesen sonnigen Mittwoch hingearbeitet, an dem er sich morgens seine knallrote Schmetterlingskrawatte umbinden, seine Frau Sarah Darwin in ihren blau-goldenen Glücksmantel steigen, er über den frisch geschliffenen Terrazzoboden des Sauriersaals hinweg auf ein Podium steigen würde. 16 Meter über ihm schwebten die Köpfe der Saurier stumm wie immer, während neben ihm der Berliner Bürgermeister vom Beginn eines neuen Zeitalters sprach. Jedenfalls für das Museum.

Es ist ein guter Tag, um dann mit dem aufgekratzten Paar Stephan Junker und Johannes Vogel hinter einer unscheinbaren, aber schweren Altbautür im Erdgeschoss seitlich in ein Treppenhaus zu verschwinden. Als würde die schwere Tür der Gegenwart hinter einem zufallen, damit man die Vergangenheit und die Zukunft zugleich betreten kann. „Wollen Sie Dreck sehen? Können Sie haben.“ Im Geruch nach alten Unifluren und frischem Zementmörtel, den Handwerker in die Treppenfugen drücken, steigen der Direktor und sein Geschäftsführer nach oben unters Dach.

Vogel und Junker, das Gespann aus dem schillernden Museumsdirektor und seinem schnittigen Geschäftsführer, sie lassen einander nicht los heute. Sie befinden sich am Kulminationspunkt von jahrelanger gemeinsamer Anstrengung. Die hat Spuren hinterlassen. Sie sind zwei Frösche, die jemand in Milch geworfen hat, wo sie so lange strampelten, dass sie heute auf einem Butterberg stehen. Sie führen einander die Gedanken fort. Immer, wenn Vogel eine ungewöhnliche Metapher abfeuert, kontert Junker mit einer erstaunlichen Zahl. Wie haben sie das geschafft?

70 Prozent des Gebäudes sind öffentlich nicht begehbar

Zielstrebige Nadelstreifen verbinden Junkers lange, schmale, glänzende Geschäftsführerschuhe mit dem glänzend rechnenden Kopf. 96 Prozent Bekanntheit genieße sein Haus in Berlin. „Und für jeden Euro, der in das Haus investiert wird, bringen wir der Region Berlin-Brandenburg drei bis vier Euro Bruttowertschöpfung.“ Das haben sie sich für ihre Argumentation vom Deutschen Institut für Wirtschaft ausrechnen lassen.

„Zwei Drittel Milliarde rein und anderthalb Milliarden wieder raus“, ruft Vogel vom staubigen Ende des Raums. „Das wäre der Faktor. Das kriegen wir auch hin.“ Es ist das Programm für die nächsten zehn Jahre.

Aber noch sind 70 Prozent des Gebäudes öffentlich nicht begehbar. Wer aus den stummen Sälen mit ihren leeren Vitrinen im vierten Stock in den Innenhof blickt, schaut direkt den Sauriern ins Auge. Plötzlich gucken die Viecher zurück. Warum nicht zum Beispiel den Eingang nach oben verlegen, damit man auf Augenhöhe mit den 16 Meter hohen Sauriern das Museum betritt?, fragt Vogel. Statt sich unten den Kopf zu verrenken? Das sei doch ein verführerischer Gedanke. Damit müsse man jetzt spielen. Denn jetzt ist Schluss mit der kleinteiligen Flickerei. Sie können jetzt grundsätzlich und in großen Zügen denken und alles einmal infrage stellen. Das erwarte man auch von ihnen, jetzt, „mit den 660“.

"Ein Gummiding kann jeder"

Mit Leuchtkraft. Bald soll das ganze Museum so strahlen wie die berühmte Nass-Sammlung.
Mit Leuchtkraft. Bald soll das ganze Museum so strahlen wie die berühmte Nass-Sammlung.

© Robert Schlesinger/dpa

Irgendwo im rationalen Teil ihres Gehirns wussten die Berliner immer, dass ihr Naturkundemuseum eine selten marode Substanz hat. Aber das Ausmaß des Schreckens haben sie ja nie gesehen. Sie standen geblendet im restaurierten Sauriersaal vor den Skeletten und der 2010 neu eröffneten, leuchtenden Nass-Sammlung. Angestrahlte Präparate in insgesamt 80 Tonnen Alkohol. Dahinter verschwand alles Marode im Dunkel, waren die Säle abgeschlossen, die Temperaturen unberechenbar und die Mitarbeiter bissen an Arbeitsplätzen auf dem Stand von 1945 die Zähne zusammen.

Warum weiß man von alledem nichts?

„Das war eine strategische Entscheidung“, sagt Vogel. „Es ist ja so: So, wie es alle machen, hat es bislang nicht geklappt.“ Bis 2012 hätten die Mitarbeiter auf Tränendrüse gemacht. Das sei auch berechtigt gewesen, habe aber nicht funktioniert. Seine Strategie unterscheidet sich nicht dadurch, dass sie wahrer wäre. Die Erfolge, die er betont, sind schließlich genauso wahr wie Humboldts verrottende Schätze. Sondern dadurch, dass sie funktioniert. „Wissen Sie, Schrott kann ich ihnen einmal verkaufen.“ Aber steigende Besucherzahlen und spektakuläre Ausstellungsstücke immer wieder. „Das wird auch nie langweilig.“

Er sagte seinen Mitarbeitern: Wir machen jetzt eine Reise

„Investiert wird in Möglichkeiten, nicht in Notwendigkeiten“, ruft Vogel. Es war einfach die bessere Erzählung. Unterentwicklung ist nach dieser Logik immer ein Potenzial.

Er weiß es selbst. „Das klingt alles vermessen“, sagt er. „Aber man sollte eine Cambridge-Ausbildung nicht unterschätzen.“ Verkürzt lehre die: „Niemals Herdendenken! Denk anders, denk anders. Und: Das muss doch noch anders gehen!“

2012 sagte Vogel zu seinen Mitarbeitern: Wir machen jetzt eine Reise. Von „nice to have“ nach „necessary“. Er durfte das so sagen. Er ist in Bielefeld geboren, kam aber gerade vom Naturkundemuseum aus London. Von „ganz nett“ zu „notwendig“. Es gelte, sich von der wirtschaftlichen Misere den Stolz nicht nehmen zu lassen. Sie besaßen einen ausgestopften Papagei, der auf Alexander von Humboldts Schultern gesessen hatte. Die Insektensammlung umfasste Fliegen, die aus den Bandagen einer Mumie geklaubt wurden. Sie sind das einzige Museum weltweit, das alle drei Saurier-Zeitalter an echten Objekten zeigen kann. Keine nachgebauten Attrappen wie in London. Darum ginge es, sagt Vogel. Sie machen nicht in Spielzeug, sondern in Wissenschaft. Dann kommen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. „Ein Gummiding kann jeder.“

Stroh und Kabel. Viele Ecke des Gebäudes müssen dringend saniert werden.
Stroh und Kabel. Viele Ecke des Gebäudes müssen dringend saniert werden.

© Thilo Rückeis

Bis dahin gab es in der Belegschaft auch viele Eitelkeiten, jeder war einzeln wichtig, in seiner Spezialisierung Experte. Nun gab es ein höheres Ziel für alle. Man sollte an ihnen nicht mehr vorbeikommen. Mit der Benennung der U-Bahn- und Straßenbahn-Haltestelle nach dem Museum ging die Reise los. Der Sauriersaal wurde renoviert. Sie waren Mitglied der Leibniz-Wissenschaftsgemeinde. Als Tristan, der Tyrannosaurus Rex, endlich durch den Zoll war, hielt Vogel langsam den Erfolg für möglich. Sie waren ja auch wissenschaftlich „necessary“, notwendig zur Beantwortung dringender Fragen der Gegenwart.

Der Schatz aus der Vergangenheit und die Forschung der Gegenwart liefern Lösungen für die Gesellschaft der Zukunft. So oder ähnlich hat Vogel das Mantra in sieben Jahren immer variiert. So sind sie mit dem Schatz, den einmal Alexander von Humboldt angelegt hat, von einem unterfinanzierten Bittsteller zu einem großen Versprechen geworden. Darauf, in Zeiten des Klimawandels und unerklärlichen Insekten-, Bienen- und Artensterbens dringend benötigte Antworten zu finden. „Wir tragen das jetzt alle auf unsere Stirn tätowiert“, sagt Vogel und haut sich an den Kopf. „Necessity“. Notwendigkeit. Praktisch unverzichtbar.

Transparenz, Partizipation, Treppenhäuser

Sie haben hier zum Beispiel das Stück Erz, anhand dessen das Element Uranium beschrieben wurde. „Das Original“, sagt Vogel. Zurzeit kündigt man mit dem Iran das Atomabkommen auf. Sichtbar zu machen, wie Wissenschaft die Wirklichkeit formt, sei jetzt die Aufgabe. Aber wie wird sein Museum aussehen? Nach dem Geldsegen? „Wenn ich ihnen das jetzt sagen könnte, würde ich scheitern“, sagt Vogel. „Dynamisch-adaptiv, das ist der einzige Weg!“ Die Mitarbeiter müssten mitgenommen werden, Ausschreibungen getätigt.

Eine Wohltat werde es schon sein, wenn man die beiden großzügig geschwungenen Treppenhäuser, die alle Säle verbinden, endlich öffnen könne. „Es ist ja ein Tageslichthaus, gebaut, um ohne Elektrizität zu funktionieren.“ Licht und luftig sei das schwere Haus dadurch, mit riesigen Oberlichtern. Das könne man jetzt kaum wahrnehmen, verkörpere aber genialerweise auch noch die Werte Transparenz und Partizipation. Eine Architektur gewordene Antwort auf ein gesellschaftliches Bedürfnis unserer Zeit!

Keine Angst vor Nullen

Staub und Schnäbel. Den Vogelsaal hat seit der Museumseröffnung 1889 kein Besucher betreten.
Staub und Schnäbel. Den Vogelsaal hat seit der Museumseröffnung 1889 kein Besucher betreten.

© Thilo Rückeis

Dann öffnet er die Tür zum „Vogelsaal“. Seit der Eröffnung des Museums 1889 war er noch niemals der Öffentlichkeit zugänglich, das soll sich mit der Sanierung ändern: „250 000 Vögel haben wir hier. Und dann noch mich und meine Frau.“

Der Direktor kann es nicht lassen. Er läuft nun schon exakt 55 Jahre mit diesem Nachnamen durch die Welt, aber Johannes Vogel ist die größte Schleuder von Vogel-Metaphern. Von den Millionen lässt er sich „beflügeln“.  

Jetzt steht der Metaphern-Mensch Vogel mit seinem Zahlenmenschen Junker vor zwei riesigen Straußenvögeln, die genau in die Vitrine passen. Würden sie wie bisher weiterhin ihren normalen Etat von fünf Millionen Euro pro Jahr bekommen, bräuchten sie für die 660 Millionen Euro 132 Jahre. Aber nun ist alles da für einen großen Wurf, etwas Grundsätzliches, ein Nachvornepreschen an die Spitze der Naturkundemuseen weltweit. Sieben Jahre Anlauf. 660 Millionen. Da müssen sie jetzt auch weit springen. „Jetzt entstehen die Erwartungen“, sagt Vogel. 30 Millionen einzelne Objekte sollen digitalisiert werden. Die Ausstellungsfläche vervierfacht. Es wird einen Architektenwettbewerb brauchen.

Der Kollege aus den USA schaut neidisch

Bislang sind alle Bauvorhaben des Museums, die Sanierung des Ostflügels und Sauriersaals, immer im Zeitplan und Budget gewesen. Jetzt vervielfachen sie die Summe. Sie dürfen jetzt bloß keine Angst vor Nullen haben.

Richard Lariviere, Direktor des Field Museum in Chicago, lief am Morgen noch in Turnschuhen durch die Ausstellung. In den USA sei es vollkommen undenkbar, dass eine Regierung eine derartige Summe an eine einzige Institution vergebe, sagte er. Manchmal schaue er neidisch auf Deutschland.

Vogel sagt dagegen: „Wenn sie einen Milliardär becircen, dann haben sie den sicher.“ Aber im fluiden Umfeld sich ständig ändernder politischer Konstellationen müssen am Punkt, wenn es passiert, alle miteinander wollen. Bund und Land, die je 330 Millionen geben, mussten an einem Strang ziehen, obwohl über die Jahre ständig die Akteure wechselten, inklusive Bundestagswahl mit neuer Regierung. Das war die größte Hürde.

Vogel sagt: Sie glauben gar nicht, wie tief wir zwischendurch in der Scheiße waren.

Ähm, also was für Scheiße genau?

Bürokratische Scheiße. Ach, und Eitelkeiten, alles. Das Problem hat sich soeben von selbst erledigt: Es liegt in der Natur von großen Erfolgen, dass der Erfolgreiche plötzlich nur noch von Freunden umgeben ist.

"Ich will die Welt retten"

„Dass die Mitarbeiter das überhaupt so lange mitgemacht haben“, sagt Vogel. Dass sie durchgehalten haben unter diesen Bedingungen und nach den Evaluationen, die sie als Teil der Leibniz-Gemeinschaft ständig durchführen, auch noch nachweislich ständig besser geworden sind dabei! Das sei das eigentlich Bemerkenswerte. Und neben aller Strategie der Grund für diesen Erfolg.

Vogel hat eine Ururenkelin von Charles Darwin geheiratet, die er am Londoner Naturkundemuseum getroffen hat. Welcher Biologe kann schon von sich sagen, den Evolutionsbiologen im eigenen Stammbaum zu haben? Er hat nun zwei Kinder, die Nachfahren von Charles Darwin sind.

Es gehe ihm gar nicht um dieses eine Museum, sagt er plötzlich. „Ich will die Welt retten.“

Darunter macht er’s nicht, oder?

Nö, sagt er.

Diversität, Forschung, es braucht Schnittstellen, Verknüpfung von Wissenschaft und Gesellschaft, Technik und Kommunikation, erst zusammen werden die einzelnen Erkenntnisse überhaupt nutzbar für die Gesellschaft. Die Schubladen der riesigen alten Schränke sind voller Antworten, auf Fragen, die noch nicht gefunden wurden.

Wird das hier ihr Lebenswerk? Ja, sagt Junker. Ja, sagt Vogel. Wenn das klappt, ist es mein Lebenswerk.

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