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Zwei gegen den Rest. Die eheähnliche Fernsehfreundschaft von Ernie und Bert in der „Sesamstraße“ prägte Generationen von Kindern.

© Getty Images

Internationaler Tag der Freundschaft: Wieso Gefährten jetzt wichtiger denn je sind

In Zeiten der Pandemie gewinnt sie an Bedeutung, doch sie ist nicht immer einfach zu pflegen: Eine kleine Kulturgeschichte der Freundschaft.

Vor 90 Jahren erklang das zum ersten Mal: „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt …“ Es war, gesungen von den Comedian Harmonists, ein Lied, das nach der Uraufführung des Films „Die Drei von der Tankstelle“ mit Willy Fritsch und Heinz Rühmann im Berliner Gloria-Palast 1930 um die Welt ging.

Kurz darauf wurde es selbst in Frankreich, das mit Deutschland damals alles andere als freundschaftlich verbunden war, als „Avoir un bon copain“ zum Hit.

Ob ein Freund oder eine Freundin das tatsächlich Beste bedeuten, was es gibt auf der Welt, darüber ließe sich – auch freundschaftlich – streiten.

Ein Mensch mit Mitgefühl oder Herzlichkeit, der einem etwas Gutes tut, obwohl er einem eigentlich fremd ist, also ein guter Unbekannter, er oder sie wäre ja in vielen Fällen auch nicht schlecht.

Beispielsweise haben die Leute im Falle eines womöglich heiklen medizinischen Eingriffs wohl lieber einen Arzt, der nicht allzu eng durch Freundschaft oder Familie mit ihnen verbunden ist. Man denkt sich, der unbefangenere Mediziner hat dann die ruhigere Hand.

Im öffentlichen Leben sind Freundschaften heikel

Doch wie jetzt in Zeiten einer Pandemie und der Einschränkung sozialer Kontakte erscheint Freundschaft als Band zu anderen – und nach draußen – wichtiger denn je.

Zwar wirken offizielle Daten, Festtage, die einzelnen Menschengruppen, Zielen oder Idealen gewidmet sind, oft eine Spur angestrengt. Als die Vereinten Nationen 2011 den 30. Juli als internationalen „Tag der Freundschaft“ auf den Kalender setzten, sagte man sich vielleicht: Okay, wird nicht schaden in einer vielfach friedlosen Welt.

Aber in diesem Jahr, das das Leben auch ohne einen neuen Krieg so unerwartet verfremdet hat, kann das F-Wort schon mehr sein als nur ein Lippenbekenntnis.

Auf Dein Wohl, mon ami. Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand.
Auf Dein Wohl, mon ami. Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand.

© Sygma via Getty Images

In der Politik, im sogenannten öffentlichen Leben sind Freundschaften oft schwierig. Oder heikel. Die Kanzlerin, die ihr Privatleben, zu dem Freunde zuallererst gehören, weitgehend abschirmt, hat einmal in einem Interview mit der „Brigitte“ gesagt: „Früher war ich, glaube ich, eine gute Freundin. Inzwischen bin ich keine besonders aufmerksame Freundin mehr, weil ich sehr wenig Zeit habe.“

Freundschaften müssten gepflegt werden, begründete sie damals und sagte, sie hoffe, „dass eines Tages, wenn ich einmal nicht mehr in der Politik bin, noch genug alte Freundschaften übrig sind, die ich wiederbeleben kann“. Denn: „Vom Typus her bin ich eine gute Freundin.“

Angela Merkel hat in ihrer langen Amtszeit wie wohl kaum eine andere erlebt, dass in der internationalen Politik sich immer mehr ein Stil des familiär Kumpelhaften durchgesetzt hat.

Man duzt oder siezt einander bei EU-Treffen oder anderen Konferenzen per Vornamen, umarmt und küsst. Seit Corona wird das durch den oft allzu betonten Ellbogencheck ersetzt.

Bei Merkel merkt man freilich, wie ihr die physische Distanz wohlzutun scheint. In der Vergangenheit hat sie von bestimmten männlichen Kollegen, ob Berlusconi, Bush oder Trump, wiederholt eine körperliche Nähe an der Grenze zum machohaft Übergriffigen oder Geheuchelten ertragen müssen, die ihr erkennbar zuwider war.

Umarmen und Küssen als Taktik

In der Politik dominiert nach außen, also vor den Kameras, allemal das Äußerliche. Das Zeremonielle. Jean-Claude Juncker war als langjähriger EU-Kommissionspräsident ein Vorreiter des Umarmens und des Wangenküssens. Gegen Ende seiner Amtszeit hat Juncker gelegentlich zugegeben, dass dies vor allem Taktik war. „Mit wirklicher Freundschaft oder Herzlichkeit hat das wenig zu tun“, beides sei in der Politik rar.

Auch die oft zitierte „Männerfreundschaft“ zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin ist wohl eher ein kameradschaftliches Alphatier-Verhältnis – und eine nicht unenge Geschäftsbeziehung.

Spieltrieb. Sebastian Schweinsteiger und Lukas Podolski harmonierten auch abseits vom Fußballfeld.
Spieltrieb. Sebastian Schweinsteiger und Lukas Podolski harmonierten auch abseits vom Fußballfeld.

© picture-alliance/ dpa

Wahre Freunde waren am Ende immerhin Helmut Schmidt und Frankreichs früherer Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing, während es etwa bei Charles de Gaulle und Konrad Adenauer oder Helmut Kohl und Michail Gorbatschow nur zu einer durch historische und staatspolitische Einsicht geprägten Mischung aus Sympathie und persönlichem Respekt gereicht hat. Trotz aller Bruderküsse.

Das gleichsam Brüderliche und Schwesterliche ist freilich ein Anzeichen tieferer Freundschaft. Old Shatterhand und Winnetou, zwei Superfreunde der Jugendliteratur und bundesdeutschen Filmgeschichte, ritzten sich noch die Handgelenke und besiegelten ihren Bund als Blutsbrüderschaft.

Überhaupt beginnt die Erfahrung mit Freundschaften in Kinderzeiten. Geschwister müssen lernen, ihre frühe Eifersucht auf geteilte elterliche Zuneigung oder beim Teilen von Dingen in ein freundschaftliches Miteinander, und manchmal bloß: friedliche Koexistenz, zu verwandeln. Fast alle großen Werke der Literatur oder des Kinos, die zuerst Kinder und Heranwachsende rühren, handeln auch von Freundschaften.

Unendliche Weiten. Der Vulkanier Mr. Spock und Captain Kirk auf dem Raumschiff Enterprise.
Unendliche Weiten. Der Vulkanier Mr. Spock und Captain Kirk auf dem Raumschiff Enterprise.

© imago images/Mary Evans

Die Liste reicht von Karl Mays Männerfreunden im Wilden Westen oder im arabischen Wüstensand über Tom Sawyer und Huckleberry Finn bis zu den jungen Heldinnen und Helden der Autorinnen Enid Blyton – „Fünf Freunde“ – oder J. K. Rowlings mit ihrem Trio Harry Potter, Hermine und Ron.

Die Freundschaft zwischen Tieren und Menschen feiert Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“, und ins Trivialmythische wie zugleich Philosophische reicht die Freundschaft von Mr. Spock und Captain Kirk in „Star Trek“. Der Fußball darf hier nicht fehlen, „Elf Freunde müsst ihr sein“.

Ganz märchenhafte Weich- und Weisheit beflügelt Antoine de Saint-Exupérys Erzählung vom „Kleinen Prinzen“. Der Titelheld ist auf der Suche nach Freunden von einem fernen Asteroiden in der irdischen Wüste gelandet, und einen der schönsten Sätze erfährt er in der Freundschaft mit einem Fuchs, der die mehr als nur schlaue Einsicht hat: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“

„Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern“

Aristoteles hat einst zwischen Nützlichkeitserwägungen, Lustfreundschaft und tugendhafter Sympathie mehrere Typen unterschieden. „Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern.“ Dabei hat der Philosoph die Bedeutung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Bürgern (und Anführern) der antiken Polis für wichtig erkannt.

Von Aristoteles und später Cicero führt das in der Geistesgeschichte bis zum Großsoziologen Georg Simmel und in unzähligen heutigen Ratgebern wie dem „Glück der Freundschaft“ des Lebenskunstphilosophen Wilhelm Schmid zu einer Fülle literarischer Freundschaftsbeweise. Zumal unter Dichtern und Denkern, Künstlerinnen und Philosophinnen oft legendäre oder auch prekäre Freundschaften bestanden.

Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe trafen sich regelmäßig.
Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe trafen sich regelmäßig.

© Print Collector/Getty Images

Wobei Rivalitäten mit eine Rolle spielen. So achtungs- und vertrauensvoll Goethe und Schiller miteinander verkehrten, wahrten die beiden doch immer einen Rest respektvollen Abstands. Dass Goethe sich den Schädel – und nicht etwa das Herz – des vor ihm gestorbenen Freundes zum Andenken nahm, wirkt auch wie ein Kälteschock.

Spätere Freundschaftspaarungen wie die der Malerin Paula Modersohn-Becker und der Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff oder Rosa Luxemburgs und Clara Zetkins, wie zwischen der Philosophin Hannah Arendt und der amerikanischen Schriftstellerin Mary McCarthy zeigten in Briefen oft innige Töne. Aber sie waren keine Liebesbeziehungen.

So wenig wie die der kollegialen Paarungen John Lennon und Paul McCartney oder Mick Jagger und Keith Richards. Alle vier mokierten sich durchaus übereinander, was wahre Freundschaft nicht ausschließt. Ein Merkmal der Freundschaft ist neben der gegenseitigen Sympathie ein halbwegs stabiles, auch gegenseitige Kritik ertragendes Grundvertrauen zueinander.

Man kann nicht alle Menschen lieben

Das unterscheidet Freundschaft von Liebe. Obwohl die Trennlinien zwischen beiden oft unscharf sind. So etwa bei dem berühmten Gegensatzpaar Hannah Arendt, der jüdischen Emigrantin, und ihrem philosophischen Mentor, Exgeliebten Martin Heidegger, der Hitler rühmte.

Meist meint Freundschaft eine Beziehung ohne Sex. Trotzdem war es lange üblich, statt von einer Freundin oder einem Freund von „meiner/meinem Bekannten“ zu sprechen. Fast immer war das eher ein verbrämter, in Wahrheit verschämter Hinweis darauf, dass es sich um ein intimeres Verhältnis handelte.

US-Präsident Donald Trump stellte kürzlich fest: „Niemand mag mich.“ Das scheint ihn zu wundern.
US-Präsident Donald Trump stellte kürzlich fest: „Niemand mag mich.“ Das scheint ihn zu wundern.

© AFP

Heute wird das mit der Wendung Partner/Partnerin versachlicht. Freunde und Freundinnen, die auch Geliebte sein mögen, erscheinen affektiv runtergedimmt.

Liebe aber ist, vor allem in ihren frühen Stadien, ein eher instabiles, unbeherrschbares, zur Wildheit und Anarchie drängendes Gefühl. Liebe muss nicht blind machen, aber macht auch ein bisschen verrückt. Das Begehren übersteigt dann den Verstand. Liebe ist zugleich mehr und anders als Freundschaft, obwohl sich beide Zustände mischen können.

Doch Freundschaft ist erst mal: verlässlicher. Kein Aristoteles würde ein Staatswesen auf Liebe, wohl aber auf Freundschaft bauen – auch wenn „philia“ im Altgriechischen Liebe wie Freundschaft meint.

Liebe, die mehr meint als Sex, ist zudem exklusiver. Darum siedelt Freundschaft näher am Sozialen, an der Zuneigung zu möglichst vielen Menschen. An der gesellschaftlichen Solidarität, die es nicht nur in Coronakrisenzeiten braucht.

Man kann und muss nicht alle Menschen lieben. Doch ein Menschenfreund, eine Menschenfreundin zu sein, ist schon was.

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