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Wohnungsnot in Berlin: ein Seminarthema im Sommersemester.

© picture alliance / dpa

Innovative Lehrformate: Plötzlich Projektmanagerin

Bei großen Wirtschaftsprojekten prallen viele Interessen aufeinander. Studierende der Freien Universität machen den Praxistest.

Die Mieten in Berlin sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Viele fürchten, dadurch aus ihren Kiezen verdrängt zu werden. Und auch Studierende haben große Mühe, bezahlbare Unterkünfte zu finden. Eine hochaktuelle Debatte – die im kommenden Sommersemester zum Thema eines innovativen Lehrformats an der Freien Universität Berlin werden soll: Studierende des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft, die die Vorlesung „Projektmanagement“ besuchen, können an einer begleitenden Übung teilnehmen, um das komplexe Thema „Mieten in Berlin“ genauer unter die Lupe zu nehmen. Welche Interessengruppen gibt es? Wie treten sie auf? Welche Konflikte zeigen sich?

Timo Braun, Juniorprofessor für Projektmanagement, hat die neue Form der kombinierten Lehrveranstaltung im vergangenen Sommersemester zum ersten Mal angeboten – mit großem Erfolg. Damals ging es um ein ebenfalls viel diskutiertes Thema und ein noch immer unvollendetes Großprojekt: den Flughafen Berlin-Brandenburg (BER). Die Studierenden sollten sich pro Team jeweils mit einer der beteiligten Interessengruppen auseinandersetzen. So analysierten sie etwa das Vorgehen von Flughafengesellschaften, Bürgerinitiativen, politischen Parteien und Medien. „Das Interesse war viel größer als erwartet“, sagt Timo Braun, der mit 80 Anmeldungen gerechnet hatte und am Ende vor 350 Studierenden im Hörsaal stand. 110 von ihnen nahmen an der Übung teil und organisierten sich selbstständig in 20 Projektgruppen. Jedem Team wurde ein Ansprechpartner aus der Praxis vermittelt: So konnten die Studierenden zum Beispiel Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa oder den Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, Lorenz Maroldt, interviewen. Auch Alfredo di Mauro, Planer der Brandschutzanlage am BER, stand Rede und Antwort.

Wie behält man den Überblick?

Ihre Ergebnisse präsentierten die Studierenden zum Abschluss des Semesters im Rahmen einer Vernissage. Das Fazit: Viele Probleme des BER bestanden schon zu Beginn des Projektes und waren in der komplexen Eigentümerstruktur der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg sowie des Bundes von vornherein angelegt. Sie bestehen teilweise nach wie vor. Nach Abschluss der Übung gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer deshalb mehrheitlich davon aus, dass der Flughafen auch zum geplanten Termin im Jahr 2020 nicht eröffnet wird. „Sehr typisch war, dass sich alle am BER beteiligten Gruppen gegenseitig die Schuld in die Schuhe geschoben haben“, sagt Studentin Cosima Gulde. „Niemand wollte die Verantwortung übernehmen.“

Die Studierenden haben jedoch auch während der Übung und durch die Teamarbeit erkannt, welche Schwierigkeiten Projektkoordination manchmal mit sich bringen kann. In jeder Gruppe gab es höchstens zwei Projektleiterinnen oder -leiter. Cosima Gulde war eine der wenigen, die in diese Rolle schlüpfen durften: Die 21-Jährige koordinierte eine studentische Gruppe für Public Relations, die die Erkenntnisse der gesamten Lehrveranstaltung der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Auf einmal habe sie vor einem Berg von Texten gesessen, die sie zu einem einheitlichen Blog im Internet zusammenführen sollte: „Einen solchen Praxisbezug kannte ich aus meinem bisherigen Studium noch nicht“, sagt die Studentin, die sich vor ganz neue Herausforderungen gestellt sah: Wie organisiert man ein Team? Wie delegiert man Aufgaben? Wie behält man den Überblick? „Und kaum war ein Problem gelöst, da stand schon wieder das nächste an“, erinnert sich Cosima Gulde.

Bei Konflikten richtig kommunizieren

„Die Lernerfahrung der Studierenden ist viel intensiver, wenn sie einmal selbst erlebt haben, wie Projektarbeit läuft“, sagt Timo Braun. Die Arbeit in den studentischen Gruppen sei so organsiert wie in großen Unternehmen. Bisher, sagt der Wissenschaftler, habe man im Rahmen der Projektmanagement-Lehre vor allem technische Vorgänge wie das Erstellen von Netzwerkplänen unterrichtet. „Die Praxis zeigt aber, dass der Erfolg von Projekten maßgeblich von der richtigen Kommunikation in den Teams abhängt.“

Das hat auch Cosima Gulde erlebt, als es in ihrer Gruppe immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kam. Als Teamleiterin absolvierte sie ein Training in Moderation und Mediation bei einer Unternehmensberatung. „Dort habe ich gelernt, wie man bei Konflikten richtig kommuniziert“, sagt Gulde: „Indem man zum Beispiel versucht, die Position des anderen einzunehmen.“ Der Blog „BER – Wer fliegt als nächstes?“ ist auf diese Weise zu einem Erfolgsprojekt geworden, und auch über verschiedene Social-Media-Kanäle konnte das studentische Team Aufmerksamkeit auf das Projekt ziehen.

Im kommenden Sommersemester wird es um das Thema „Mieten in Berlin“ gehen. Derzeit bereiten Timo Braun und Stephan Bohn, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, die Übung vor. Auch diesmal sind verschiedene Interessengruppen involviert: Hausverwaltungen, Wohnungsbaugesellschaften, politische Parteien und Bürgerinitiativen, die etwa gegen Gentrifizierung protestieren. Es könnte um ein konkretes Bauvorhaben gehen – zum Beispiel auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof oder am Steglitzer Kreisel: Dort soll das kernsanierte Hochhaus an der Schloßstraße bald exklusive Wohnungen beherbergen.
Noch werden Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gesucht: Wer sich zum Thema „Mieten in Berlin“ kompetent äußern kann und sich für eine Zusammenarbeit mit Studierenden interessiert, kann sich gerne bei Professor Braun und seinem Team melden: pm-team@wiwiss.fu-berlin.de

Anne-Sophie Schmidt

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