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Spitzenkandidatin für 2017: Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt.

© Sebastian Kahnert/dpa

Immergrün: Katrin Göring-Eckardt: Die beständige Neuerfindung der KGE

Machtinstinkt und die Fähigkeit, sich zu wandeln: Katrin Göring-Eckardt ist auch nach Rückschlägen immer wieder ganz vorn dabei. Sie wird die Grünen in die Bundestagswahl führen.

Eigentlich geht es nur noch um die Frage: Wer wird der Mann an ihrer Seite? Als Katrin Göring-Eckardt vor wenigen Tagen ankündigte, dass sie die Grünen wieder als Spitzenkandidatin in die Bundestagswahl 2017 führen will, kam das für ihre Partei nicht überraschend. Die 49-jährige Politikerin aus Thüringen gilt als gesetzt. Zwar soll erst Anfang 2017 in einer Urwahl über das Spitzen-Duo entschieden werden. Doch im Moment ist keine Frau in Sicht, die Göring-Eckardt Konkurrenz machen könnte. Sollten die Grünen 2017 mitregieren, könnte sie Vizekanzlerin werden.

2013 war es genau andersherum, da war Jürgen Trittin die unangefochtene Nummer eins in der Partei. Um den Frauen-Spitzenplatz bei der Urwahl konkurrierten mehrere Politikerinnen. Für viele überraschend kämpfte Göring-Eckardt sich damals in die erste Reihe zurück.

Nach der Bundestagswahl musste sie wieder kämpfen. Die Grünen waren abgestürzt, es wurden Schuldige für das schlechte Ergebnis gesucht. Als Spitzenkandidatin trug Göring-Eckardt die Mitverantwortung. Doch anders als Trittin, Claudia Roth und Renate Künast musste sie sich nicht in die zweite Reihe zurückziehen. Göring-Eckardt kandidierte für den Fraktionsvorsitz und setzte sich gegen Kerstin Andreae durch.

Auch wenn es in ihrer politischen Karriere Rückschläge gab, ist Göring-Eckardt seit mehr als einem Jahrzehnt immer wieder dabei, wenn es um Spitzenposten geht. Wie hat sie das geschafft?

Zum einen, weil sie sich immer wieder neu erfunden hat. Noch vor zehn Jahren war die Realo-Frau aus dem Osten eine der Hassfiguren im linken Parteiflügel, sie stand unter permanentem Neoliberalismus-Verdacht. Das ist lange vorbei. Mit den Stimmen der Linken wurde sie im Herbst 2013 zur Fraktionschefin gewählt.

Sie organisierte die Mehrheiten für Schröders Agenda-Politik

Es war ein weiter Weg bis dahin. Zu rot-grünen Regierungszeiten organisierte Göring-Eckardt im Bundestag die grünen Mehrheiten für Gerhard Schröders Agenda-2010-Politik, zusammen mit der Hamburgerin Krista Sager. Als die beiden 2002 zu Fraktionsvorsitzenden gewählt wurden, war die Zahl der Arbeitslosen über die Vier-Millionen-Marke gestiegen, die Regierung brachte die Hartz-Reformen auf den Weg. Göring-Eckardt sprach von einer revolutionären Umbruchphase, in Thesenpapieren schwärmte sie vom "neuen Verständnis vom Sozialstaat".

Sie bekam es deutlich zu spüren, als nach dem Ende von Rot-Grün in der Partei die kritische Auseinandersetzung mit der Reformpolitik begann. Im Winter 2006 wurde sie auf dem Parteitag in Köln aus dem Parteirat gewählt. Seit 1998 war die Ostdeutsche ununterbrochen in dem grünen Führungsgremium gewesen, bei der Wahl ließen die Delegierten sie nun durchfallen. Während ihrer Rede gab es Unmutsbekundungen aus dem Publikum.

KGE ist nach links gerückt

In der Sozialpolitik ist Göring-Eckardt mittlerweile deutlich nach links gerückt, ihr Anliegen sind nun die Schwächsten der Gesellschaft. Bei der nächsten Bundestagswahl will sie das Gerechtigkeitsthema nach vorne stellen. Ihr Imagewechsel wurde erleichtert durch die neuen Ämter, die sie übernahm: Als Bundestagsvizepräsidentin nahm sie ab 2005 eine moderierende Rolle ein. Verstärkt wurde dies durch ihre Tätigkeit für die evangelische Kirche in Deutschland, als Präses der Synode der EKD. Wahrgenommen wurde sie nun vor allem mit ethischen Debatten und der Organisation von Kirchentagen. Als 2012 ein Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gesucht wurde, fiel auch ihr Name.

Ihre frühere Ko-Vorsitzende Sager vermutet, dass Göring-Eckardts Flexibilität sich auch durch ihre Biografie erklären lässt. Als die Mauer fiel, war die Thüringerin 23 Jahre alt. "Katrin hat immer erst einmal Fühlung aufgenommen und dann ausprobiert, was geht. Sie ist in der Lage, sich schnell auf Veränderungen einzustellen. Vermutlich hätte es auch nicht funktioniert, mit allzu festen Vorstellungen in ein neues, fremdes System reinzukommen."

Verfügt Göring- Eckardt über den Pragmatismus, der auch der Kanzlerin zugeschrieben wird? Sie selbst mag es nicht, wenn man sie als grüne Angela Merkel bezeichnet. Aber vielleicht ist der Vergleich nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Kinder- und Familienpolitik hat sie bei den Grünen verankert

Manch einer, der schon zu rot-grünen Zeiten dabei war, findet ihre Positionswechsel abenteuerlich. Doch auch wenn sie sich oft beweglich gezeigt hat, heißt das nicht, dass sie in ihren Positionen beliebig wäre. Sie hat ein gutes Gespür für Meta-Themen, auch deswegen hat sie auf sich aufmerksam gemacht. Wie in der Kinder- und Familienpolitik, die sie bei den Grünen neu verankert hat. Ein Thema, dem sie bis heute treu geblieben ist.

Als Göring-Eckardt 1998 in den Bundestag einzog, war sie 32 Jahre alt. Die Mutter zweier Söhne fand, dass ihre Partei sich nicht genügend um die Interessen ganz normaler Familien kümmert. Sie lud Mitstreiter aus ihrer Generation zur Diskussion in den heimischen Garten nach Ingersleben ein, daraus entstand 2001 ein gemeinsames Papier. "Die Familienpolitik hatte bis dahin ein Schattendasein bei den Grünen. Uns ging es darum, Kinderpolitik in den Mittelpunkt zu stellen", erinnert sich Matthias Berninger, damals parlamentarischer Staatssekretär im Verbraucherministerium. "Damit haben wir uns auch von Teilen der 68er-Generation abgegrenzt, für die der Familienbegriff damals noch negativ besetzt war." Familie als "Wert an sich" – das wurde erst Jahre später zum Mainstream bei den Grünen.

Parteifreunde spotten über ihren "netten Kirchenton"

Dass Göring-Eckardt sich behaupten konnte, liegt auch an ihrer Netzwerkfähigkeit. So wie 2001 im Garten in Ingersleben suchte sie sich immer wieder Verbündete. Als sie gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion war, wohnte sie in einer WG mit Gesundheitsministerin Andrea Fischer, später teilte sie sich eine Wohnung mit Verbraucherministerin Künast. Wollte sie über die Regierungspolitik diskutieren, musste sie nicht einmal zum Telefonhörer greifen. In den letzten beiden Wahlperioden gehörte sie einer Runde von Grünen-Politikerinnen an, die sich gelegentlich im Hamam in Kreuzberg trafen. Zu manchen von ihnen pflegt sie bis heute ein enges Vertrauensverhältnis, etwa zu Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. "Sie war eine gute Partnerin, wenn man etwas durchsetzen wollte", sagt eine Abgeordnete. Und sie ist bündnisfähig in alle Richtungen.

Das Bild, das Göring-Eckardt sorgsam pflegt, ist das der Politikerin, die morgens beim Joggen Psalmen hört. Auf ihrer Internetseite findet man unter der Rubrik "Fröhlich vegetarisch" Kochrezepte. Manchmal backt sie selber Brot, wie diejenigen erfahren, die ihr über den Nachrichtendienst Twitter folgen. Der "nette Kirchenton", wie Parteifreunde spotten, führt dazu, dass die Machtpolitikerin selten sichtbar wird. Dabei hat ihr Beharrungsvermögen viel damit zu tun, dass sie Härte zeigen kann. "In Auseinandersetzungen war sie oft hart in der Sache, blieb aber immer freundlich im Ton", erinnert sich Sager. "Katrin hatte nicht die Hau-drauf-Art wie wir West-Grünen. Aber sie war sehr gut in der Lage, sich durchzusetzen." Das gilt auch für unbequeme Personalentscheidungen wie die Besetzung von Führungspositionen in der Bundestagsfraktion. So musste wegen eines Deals mit dem linken Flügel eine langjährige Weggefährtin weichen.

Unbequeme Debatten scheut sie

Göring-Eckardt hat nicht zuletzt davon profitiert, dass es bei den Grünen lange den Ruf nach einem Generationswechsel gab. Sie ist nicht nur die entscheidenden zehn Jahre jünger als ihre Vorgänger, sie steht auch für einen anderen Politikstil. Sie gehe "fragend und suchend voran, statt Ansagen zu machen", formuliert es einer von den jüngeren Grünen. Bisher hat es Göring-Eckardt parteiintern genutzt, dass sie abwarten kann. Anders als Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann scheut sie unbequeme Debatten. Bisher war das auch nicht nötig. Zu rot-grünen Zeiten gab es Joschka Fischer, der Entscheidungen traf. Bei der letzten Bundestagswahl war es Trittin, der dem Wahlkampf seinen Stempel aufdrückte. Erstmals ist Göring-Eckardt nun so weit, dass sie sich hinter niemandem mehr verstecken kann. Mit Blick auf die Bundestagswahl wünscht sich manch Grüner mehr Führung: "Der rote Teppich ist ausgerollt. Sie muss ihn nur betreten."

Der Text erschien in der "Agenda" vom 27. Oktober 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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