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Feuer in Australien. Ein Feuerwehrmann nimmt im Januar 2020 mit seinem Smartphone einen kontrollierten Brand in der Nähe von Tomerong auf.

© picture alliance / AP Photo, Rick Rycroft

Im Krisenfall: Twitter & Co. als Helfer in der Not

Am Forschungsforum Öffentliche Sicherheit der Freien Universität untersucht ein Projektteam die Rolle der sozialen Medien für den Bevölkerungsschutz in Krisen- und Katastrophenfällen.

Als Ende Mai 2013 die Tiefdruckgebiete Frederik und Günther über Mitteleuropa wüten und Flüsse von der Elbe bis zur Donau über die Ufer treten, bricht in vielen Städten und Gemeinden Chaos aus:

In Bitterfeld müssen zwei Deiche gesprengt werden, um den Fluss Mulde zu entlasten; in Passau und Rosenheim fallen die Abitur-Prüfungen aus; im niederösterreichischen Wachau sehen sich die Behörden gezwungen, den Strom abzuschalten, und in Halle und Magdeburg werden Pflegeheime geräumt.

In einer niederösterreichischen Stadt an der Donau stürmen Menschen sogar ein Krankenhaus. In den sozialen Medien hatte sich die Nachricht verbreitet: „Das Krankenhaus muss geräumt werden, und die Menschen werden aufgefordert, ihre Angehörigen abzuholen.“

Das Problem war nur: „Diese Nachricht war ein Fake“, sagt Stefanie Wahl. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin ist am Forschungsprojekt „Kommunikation von Lageinformationen im Bevölkerungsschutz im internationalen Vergleich“ (KOLIBRI) beteiligt gewesen, das vor kurzem am Forschungsforum Öffentliche Sicherheit der Freien Universität abgeschlossen wurde.

Gemeinsam mit dem Leiter des Forums, Professor Lars Gerhold, untersuchte sie im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, wie Behörden in unterschiedlichen Staaten im Katastrophenfall mit der Bevölkerung kommunizieren, welche Probleme sich dabei ergeben und welche Chancen.

Unfälle live per App an die Rettungskräfte durchgeben

„In der Stadt an der Donau – das haben uns die österreichischen Katastrophenschützer berichtet – machten sich die Menschen Sorgen und fuhren zu der Klinik, um ihre kranken Angehörigen abzuholen. Sie kommunizierten das per SMS, Tweet und Facebook-Post, sodass sich immer mehr Menschen auf den Weg machten. Es kamen Hunderte, die letztlich zahlreiche Polizei- und Rettungskräfte gebunden haben, die an anderer Stelle viel dringender gebraucht worden wären.“

Dabei bieten die sozialen Medien auch Chancen für die Kommunikation im Katastrophenfall: So planen Rettungskräfte etwa in Großbritannien, bei Unglücksfällen mehr auf die Mithilfe der Bevölkerung zu setzen. Wer einen Unfall beobachtet hat, soll mittels einer App sein Handy für die Behörden freischalten und mit der Kamera die Unglücksstelle filmen, damit sich die Einsatzkräfte im Lagezentrum ein Bild vom Ausmaß der Schäden machen können.

In den USA greifen die Katastrophenhelfer schon heute auf Expertenteams zurück, die im Ernstfall die sozialen Medien nach Informationen durchkämmen und diese weitergeben.

„Hauptproblem ist dabei in vielen Staaten die Struktur der Behörden“, sagt Lars Gerhold, der große regionale Unterschiede in Europa festgestellt hat. „Besonders in Italien und Polen, aber zum Teil auch hier in Deutschland, möchten die Behörden im Ernstfall die Kontrolle über die Kommunikation nicht aus der Hand geben.

Twitter-Hilfe beim Hochwasser in Passau

Soziale Medien richten sich aber nicht nach den üblichen Bürozeiten von morgens um neun bis nachmittags um fünf. In Zeiten von Twitter und Smartphone lassen sich Informationen nicht mehr wie bisher steuern. Das fällt einigen Behörden schwer zu akzeptieren.“

Dabei bieten die sozialen Netzwerke durchaus bislang ungeahnte Möglichkeiten zur Hilfe im Katastrophenfall: So organisierten sich während des Hochwassers 2013 in Passau mehr als 3000 Studierende, um den 500 Feuerwehrkräften beim Sichern der Dämme zu helfen.

Über Google Maps kartografierten sie die Hochwasserlage vor Ort, organisierten per Twitter Kettensägen, wo sie gebraucht wurden, und helfende Hände, wenn eine Sandsackbarriere zu brechen drohte. „Damals schafften es die Behörden allerdings noch nicht, diese Scharen von Helfern in ihre Kommunikation einzubinden“, sagt Stefanie Wahl.

Mittlerweile hat sich auch in Deutschland ein sogenanntes „Virtual Operation Support Team“ (VOST) gebildet, eine Gruppe von Katastrophenschützern, die ehrenamtlich Informationen aus den sozialen Medien für Einsätze filtern, aufbereiten und auf diese Weise die Kommunikation der Rettungskräfte im Ernstfall unterstützen.

„Gerade bei den Polizeibehörden in den deutschen Bundesländern können wir in der jüngeren Zeit eine enorme Entwicklung im Umgang mit den sozialen Medien beobachten“, sagt Lars Gerhold. „Klassische Wege der Kommunikation stoßen im Katastrophenfall oft an ihre Grenzen. Über Twitter und Facebook können Behörden und Organisationen dagegen viele Menschen erreichen, selbst wenn die Telefonleitungen belegt sein sollten.“

Ein Aspekt der Studie war daher zu analysieren, welche Menschen überhaupt die sozialen Medien im Ereignisfall nutzen. Drei Gruppen konnten Stefanie Wahl und Lars Gerhold ausmachen: Rund 30 Prozent der Menschen in Deutschland nutzen gar keine sozialen Medien.

Über Twitter und Facebook viele Menschen erreichen

Etwa 20 Prozent der Nutzer sind äußerst aktiv und suchen Aufmerksamkeit; die restlichen 50 Prozent teilen Meldungen vor allem, um zu informieren. „Diese Gruppe ist für den Katastrophenschutz am interessantesten, da sie sehr gewissenhaft agiert und Informationen nur weitergibt, um zu helfen", sagt Wahl.

Die Ergebnisse des Projekts haben die Forscher in Handlungsempfehlungen zusammengefasst und mit Fachpolitikern und Behördenvertretern diskutiert. „Wollen Behörden im Falle einer Katastrophe soziale Medien sinnvoll integrieren, müssen sie sich bereits im Alltag darauf vorbereiten“, sagt Stefanie Wahl.

„Die sozialen Medien dürfen daher nicht nur eine Fußnote sein, sondern sollten ein strategischer Bestandteil der Kommunikation im Katastrophenschutz sein. Das erfordert Personal und Training, vor allem im Umgang mit Falschinformationen.“

In Dänemark etwa werde die Bevölkerung schon heute als wichtiger Kommunikator im Katastrophenfall wahrgenommen, sagt die Wissenschaftlerin. Viele Behörden in anderen Staaten hätten die sozialen Medien schon besser in ihre Kommunikationsstrategie integriert, als es in Deutschland der Fall sei.

In den USA sei zum Beispiel der Hashtag #rumorcontrol eingerichtet worden, um Falschinformationen in sozialen Medien entgegenzutreten. „Aber so etwas muss routinemäßig etabliert werden, damit es im Ernstfall auch funktioniert.“

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