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Mit groß angelegten Durchsuchungen wie hier in Texas will die US-Regierung illegale Einwanderer aufspüren.

© imago images / ZUMA Press

Illegal in den USA: Eine Mutter fürchtet die Abschiebung

Es gibt Tage, an denen verlässt Maris ihr Haus nicht. Aus Furcht vor einer Razzia. Seit 16 Jahren lebt sie in den USA, als Illegale ohne Papiere.

Schon am Freitag sind sie im Krankenhaus gewesen, ihrer Tochter geht es nicht gut, die kleine Carla hat Fieber und braucht einen Arzt. Auch am Sonntag geht es dem Mädchen noch nicht besser, Maria macht sich Sorgen und will erneut ins Krankenhaus fahren – doch ihre Kinder flehen sie an, das nicht zu tun. Es sei einfach zu gefährlich.

Für jenen Sonntag Ende Juli, so erinnert sich Maria, sind wieder landesweit Razzien angekündigt. An solchen Tagen verlässt sie ihre Wohnung nicht, selbst wenn es um die Gesundheit ihres Kindes geht. Denn Maria gehört zu den Menschen aus Zentralamerika, die US-Präsident Donald Trump und seine Regierung am liebsten abschieben würde.

Maria ist 34 Jahre alt, sie lebt in Baltimore im US-Ostküstenstaat Maryland. Geschieden, zwei Kinder, ein Junge, ein Mädchen, die sie mit dem Lohn, den sie als Babysitterin verdient, über die Runden bringt. Und damit, dass sie an Arbeiter auf Baustellen Essen verkauft, das sie nachts kocht. Viele andere Möglichkeiten hat sie nicht. Maria ist illegal in den USA. Seit inzwischen bereits 16 Jahren. Ihren richtigen Namen will sie deshalb auch nicht öffentlich machen.

Doch nun, nach 16 Jahren in diesem Land, ist Marias Aufenthalt auf einmal gefährdeter denn je – und das, obwohl ihre Kinder seit deren Geburt amerikanische Staatsbürger sind. Immer wieder werden in konzertierten Aktionen landesweit Razzien durchgeführt, um illegal in Amerika lebende Migranten aufzuspüren. Dann weiß Maria, dass sie gemeint ist.

Ihre Geschichte ähnelt der von Millionen Menschen, die seit Jahren und manchmal auch seit Jahrzehnten in Amerika leben, studieren, arbeiten, zum Teil sogar Steuern zahlen, ohne Aussichten, dauerhaft anerkannt zu werden und bleiben zu können. Weil sie nicht auf legalem Weg ins Land gekommen sind.

Immer wieder werden Familien getrennt

10,5 Millionen „unauthorized immigrants“, also Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung, lebten 2017 in den Vereinigten Staaten, dem aktuellsten Jahr in den Statistiken. Das sind 3,2 Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Sie sind entweder nach Ablauf ihres Visums geblieben oder illegal über die Grenze gekommen und dann abgetaucht. 7,6 Millionen von ihnen sind Teil der amerikanischen Arbeitskraft. Das Institute on Taxation and Economic Policy schätzte 2017, dass sie im Jahr 2014 mehr als elf Milliarden Dollar an Steuern auf staatlicher und lokaler Ebene zahlten: Umsatzsteuern, wenn sie tanken oder einkaufen, Einkommensteuern, wenn sie mit gefälschten Sozialversicherungsausweisen arbeiten, was sehr häufig der Fall ist. In diesem Fall zahlen sie auch Rentenbeiträge, von denen sie wohl nie profitieren werden.

Dennoch behauptet Trump, die „Illegalen“ kosteten das Land „Milliarden von Dollar jeden Monat“, und lässt seine Einwanderungsbehörde, die Immigration and Customs Enforcement (ICE), Razzien durchführen, um diese Illegalen aufzuspüren. ICE-Beamte tauchen am Arbeitsplatz auf, an der Schule, klingeln an der Wohnungstür. Wer ohne entsprechende Dokumente ertappt wird, landet erst einmal in einem der ICE-Zentren.

Manche werden wieder freigelassen, andere abgeschoben. Immer wieder werden Familien getrennt, ein Vorgang, der international Kritik hervorruft. Die Regierung in Washington stört das nicht weiter: Niemand soll sich sicher fühlen!

Auch Maria ist vorsichtig, als Treffpunkt für ein Interview hat sie das Haus einer amerikanischen Freundin vorgeschlagen. Hat sie Angst davor, abgeschoben zu werden, nach El Salvador zurückzumüssen? Maria zögert. „Angst um mich habe ich eigentlich keine mehr. Aber was wird dann aus meinen Kindern?“ Roberto, der Ältere, habe schon erklärt, dass er nicht mitkommen würde. „Er sagt: ,Amerika ist mein Land.’ Von El Salvador weiß er nichts.“ Stolz zeigt sie Bilder des 15-Jährigen. Er sei sehr gut in der Schule, begeistere sich für Fußball, sagt sie. Und ziehe sich an wie ein richtiger Amerikaner, fügt sie lachend hinzu. Carla, die Kleine, würde sie mitnehmen, sie ist erst acht. Aber das Leben in El Salvador ist gefährlich, gerade in den vergangenen Jahren sind viele mafiöse Gangs stärker geworden. Es ist eigentlich kein Land, in dem sie ihre Tochter aufziehen will.

Ihr Traum: ein eigenes Restaurant

Die drei wohnen in Baltimore in einem Reihenhaus mit vier Zimmern, zwei davon sind an Freunde vermietet, die ebenfalls aus El Salvador stammen. Die Miete für das Haus beträgt 1600 Dollar im Monat, 600 davon muss Maria aufbringen. Dafür passt sie fünf Tage pro Woche auf die Kinder anderer Menschen auf, meist sieben Stunden lang. Wenn sie gebraucht wird, springt sie auch am Wochenende ein. Sie liebt ihre Arbeit. Und die Kinder lieben sie, berichtet ihre Freundin, auf deren drei Söhne sie auch aufgepasst hat.

Abends kocht Maria traditionelles Essen aus ihrer Heimat, um es an ihren freien Tagen zu verkaufen. Tamales zum Beispiel, ein Gericht aus Maisteig, der mit Fleisch, Käse oder anderen Zutaten gefüllt und in Pflanzenblätter eingehüllt gedämpft wird. Oder Pupusas: Tortilla, die sie mit Bohnen und Käse füllt, das Nationalgericht von El Salvador. Marias größter Traum wäre es, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. „Denn es gibt einfach zu viele Leute, die mein Essen lieben.“ Aber nach Marias Träumen fragt selten jemand.

Das Paradoxe an Marias Situation: Sie ist längst Teil des Systems. Zwar lebt sie „undokumentiert“ in den USA, wie es heißt. Aber sie hat durchaus Dokumente. Einen Führerschein zum Beispiel, den sie zum Beweis aus der Tasche kramt. Ausgestellt vom Bundesstaat Maryland, mit Geburtsdatum, Foto, Adresse, wie das bei allen amerikanischen Führerscheinen der Fall ist, sogar das Gewicht steht drauf. „Ich bin allerdings inzwischen vier Pfund schwerer“, sagt sie lachend.

Maria fürchtet, von den Behörden entdeckt und von ihrer Familie getrennt zu werden.
Maria fürchtet, von den Behörden entdeckt und von ihrer Familie getrennt zu werden.

© Juliane Schäuble

Oben rechts stehen die vier Worte, die den Unterschied machen: „Not for federal Identification“. Maria kann ihren Führerschein damit nicht als Ausweis benutzen, wie das die meisten Amerikaner machen, da es so etwas wie den deutschen Personalausweis in den USA nicht gibt. Sie könnte zum Beispiel nicht damit fliegen.

Die Razzien verbreiten Angst und Schrecken

Aber wohin sollte sie auch fliegen wollen? Maria ist ein genügsamer Mensch. Sie will arbeiten und damit ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen.

Zweimal ist Maria bereits mit ihrem Auto angehalten worden, als sie zu schnell fuhr. Passiert ist – nichts. Denn die Polizei in Maryland hat keinen Zugang zu den Datenbanken der Einwanderungsbehörde ICE. Maria hat nur einen Strafzettel bekommen, durfte weiterfahren. Sie lacht, wenn sie sich daran erinnert. Auch wenn ihr in diesen Momenten immer wieder bewusst werden muss, wie schnell sie ihre Freiheit, ihre Familie verlieren könnte.

Zwar hat es auch unter Trumps Vorgänger Barack Obama großangelegte und koordinierte Abschiebungen von Illegalen gegeben. Aber solche Razzien, die auch Angst und Schrecken verbreiten sollen, hat Obama nicht angeordnet. Mitte August wurden zudem Pläne bekannt, nach denen Familien ohne Ausweisdokumente unbegrenzt festgehalten werden können – und damit auch Kinder. Jahrzehntelang durften Minderjährige nicht länger als 20 Tage in Zentren für Migranten untergebracht werden.

Das Ziel der Trump-Regierung ist es, die Zahl der Menschen zu verringern, die an Amerikas Südgrenze Asyl suchen. Wenn sich das härtere Vorgehen herumspricht, soweit das Kalkül, versuchen es viele gar nicht erst. Zweifelhaft ist, ob diese Strategie funktioniert. Denn meist fliehen Migranten aus Mittelamerika, weil sie dort keine Zukunft für sich sehen, Armut und Gewalt in ihren Heimatländern entkommen wollen. Vielleicht lediglich ein paar Monate im Jahr in den USA arbeiten und das Geld verdienen, das ihnen zu Hause zum Leben fehlt. So, wie es auch Marias Vater jahrelang getan hat.

"Mein bisheriges Leben war plötzlich zu Ende"

Jedes zweite Jahr hat er sich auf die beschwerliche Reise aus seinem Dorf etwa zwei Stunden von El Salvadors Hauptstadt San Salvador gemacht. Erst nach Guatemala, dann nach Mexiko, mal zu Fuß, mal in Autos oder Bussen. Auf Wegen, über die ihn die Schleuser, sogenannte „Kojoten“, führten, hat er die Grenze der USA überquert, einige Monate dort gearbeitet, meist auf Baustellen, dann ist er wieder zurückgekehrt.

Eines Tages fand Maria, sie sei alt genug. Auch sie wollte nun in dieses Amerika reisen, um Geld zu verdienen, sie wollte ihren Vater begleiten – und auch mit ihm zurückkehren. So war der Plan, dem ihr Vater nach einigem Zögern zustimmte, wie sie erzählt.

In Monterrey, kurz vor der mexikanisch-amerikanischen Grenze, soll sie in einem Hostel übernachten, getrennt von ihrem Vater und ihrem Bruder. So hat es der Kojote angeordnet, der von der Familie knapp 13 500 Dollar bekommen hat, um die drei in die USA zu bringen. „Er forderte mich auf, meine Mutter in El Salvador anzurufen und ihr zu sagen, dass es mir gut gehe“, erzählt Maria. „Ich fand es komisch, dass er mir in die Telefonkabine folgte, aber ich reagierte nicht.“ Während sie mit ihrer Mutter spricht, verschließt er die Tür von innen. Dann, nachdem Maria aufgelegt hat, vergewaltigt er die damals 18-Jährige.

Maria streicht mit den Fingern ihrer linken Hand nervös über das weiße Sofa im Haus ihrer amerikanischen Freundin. Immer wieder, als ob sie Schmutz entfernen will. „Mein bisheriges Leben war plötzlich zu Ende.“ Der Kojote habe ihr gedroht. „Wenn du mit deiner Familie sprichst“, so habe er gesagt, „dann werde ich deinen Vater und deinen Bruder umbringen.“ Also hat sie geschwiegen.

Den ersten und für lange Zeit einzigen Menschen, dem sie berichtet hat, was ihr widerfahren ist, hat sie geheiratet. Einen Landsmann, den sie bald nach ihrer Ankunft in Baltimore traf. Über das Hilfsprogramm „Temporary Protected Status“ (TPS), das die USA El Salvador nach dem verheerenden Erdbeben von 2001 angeboten hatten, konnte er legal in Amerika leben und arbeiten. Sie zog rasch mit ihm zusammen, wollte sich einfach nur wieder sicher fühlen. Doch es war keine gute Ehe. „Er hat mich dauernd niedergemacht, geschüttelt, herumgestoßen. Er hat mich ,Negerin’ genannt, weil meine Haut dunkler war als seine“, sagt sie. Die amerikanische Freundin erzählt, sie könne sich noch gut an die blauen Flecken auf Marias Armen erinnern. Maria ist eine zierliche, kleine Frau. Sie konnte nur gehen, ihren Mann verlassen. Mit allen Konsequenzen.

Nicht viele Menschen kennen Marias Status

Über ihren Mann war sie zum Beispiel krankenversichert. Das ist sie seit der Scheidung vor vier Jahren nicht mehr. Ein großes Problem in Zeiten wie jetzt, wenn sie heftige Rückenschmerzen hat und eventuell sogar an der Bandscheibe operiert werden muss. Maria ist pragmatisch: „Ich gehe zur Obdachlosenhilfe, die bieten kostenlose Gesundheitsversorgung an.“ Das klappe meist ganz gut.

Sie hat das akzeptiert, ihr ist nur wichtig, dass ihre Kinder eine Zukunft haben. Darum will sie hierbleiben, auch wenn ihr dieses Land keine Möglichkeit eröffnet, ihren Aufenthalt zu legalisieren.

Im Moment ist Maria glücklich, weil es ihren Kindern gut geht und sie Freunde hat, die sie unterstützen. Nicht viele Menschen kennen Marias Status. Ein paar der Leute, bei denen sie babysittet, wissen Bescheid, der Pfarrer in ihrer katholischen Kirche, die Paten ihres Sohnes, die ursprünglich aus El Salvador kamen, aber inzwischen amerikanische Staatsbürger sind. Den Kindern hat sie gesagt, dass sie in der Schule nicht darüber reden sollen.

Dabei ist die Hilfsbereitschaft in Städten wie Baltimore groß. Rund 65 000 Undokumentierte lebten im Jahr 2016 im Großraum Baltimore, viele von ihnen kommen aus El Salvador. Die seit Jahrzehnten demokratisch regierte Stadt ist eine von 200 „Sanctuary Cities“ in den USA. Diese „Zufluchts-Städte“ weigern sich, an der Abschiebepolitik der Regierung in Washington mitzuwirken. Im Vorfeld der Razzien, die Präsident Trump in der Regel öffentlichkeitswirksam ankündigt, bieten Kirchen Asyl an, Flyer werden verteilt, auf denen genau Informationen stehen: Über die Rechte, die Betroffene haben, dass sie zum Beispiel nicht die Wohnungstür öffnen müssen, dass sie nicht ans Telefon gehen sollen und besser zu Hause bleiben. Maria hat solche Flyer noch nicht gesehen. Aber sie weiß auch so, wie sie sich zu verhalten hat. Auch ihre Kinder kennen die Gefahr, sie hören davon in der Schule. Geklingelt hat an diesem Tag Ende Juli niemand an ihrer Haustür. Angst hatten sie trotzdem. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.

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