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Die Kanzlerin widersprach Horst Seehofers Aussagen über den Islam und Deutschland - und trug ihm gleich noch auf, die nächste Islamkonferenz zu organisieren.

© Ralf Hirschberger/AFP

Horst Seehofer und die Islamkonferenz: Ein schwieriger Gastgeber

Für Horst Seehofer ist klar: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Nun muss der Bundesinnenminister die nächste Islamkonferenz vorbereiten. Die Kanzlerin dringt darauf, dass Muslime Verträge erhalten – ähnlich denen zwischen Staat und Kirchen.

Die Ohrfeige knallte. „Der Islam gehört zu Deutschland“, sagte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung am 21. März – auch wenn viele ein Problem mit dem Gedanken hätten. Und, ungewöhnlich genug für gewöhnlich allgemeine Antrittsreden: Merkel gab ihrem neuen Innenminister Horst Seehofer, der das in Millionenauflage kurz zuvor öffentlich bestritten hatte, gleich noch eins mit, eine Hausaufgabe nämlich: „Religionsfreiheit und Staatskirchenverträge“, wie sie für Kirchen und Judentum selbstverständlich seien, müssten auch für den Islam in „zukunftsfähige Strukturen“ münden.

„Deshalb habe ich den Bundesinnenminister gebeten, darüber Gespräche mit den Innenministern der Länder zu führen.“ Auch wie Seehofer die Sache anzupacken habe, machte sie deutlich: „Die Deutsche Islamkonferenz kann und muss hier eine zentrale Rolle spielen.“ Es folgte ein Satz, der sich auch als Drohung lesen lässt, sie werde aufpassen: „Ich werde auch selbst gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder diesen Prozess begleiten und unterstützen.“

Ministerium und Muslime planen bereits

Merkel, die Ungefähre, einmal ganz deutlich. Und dies im Falle des dicksten Bretts, das die Deutsche Islamkonferenz seit fast zwölf Jahren bohrt, damals, als sie als Bundesbühne für den Dialog zwischen Staat und Islam installiert wurde: den Islam, wie die christlichen Kirchen, ins deutsche Religionsverfassungsrecht zu integrieren. Damit wäre ein Herzenswunsch des organisierten Islam jetzt Chefinnensache.

An die Spitze des Unternehmens hat Seehofer selbst ausgerechnet den Erfinder von damals geholt. Markus Kerber, der die Islamkonferenz einst als Leiter der Grundsatzabteilung im BMI für Wolfgang Schäuble entwarf, ist neuer Heimat-Verantwortlicher – und ins Ressort Heimat fallen künftig auch die Religionsangelegenheiten.

Mit Kerber dürfte auch Zug in die Sache kommen, wie Merkel ihn sich wünscht. Im Tagesspiegel-Interview kritisierte er vor anderthalb Jahren, die DIK sei nach Schäuble „nur noch administriert“ worden. Auch wenn die Länder für die Anerkennung zuständig seien, sie brauchten „Schub vom Bund. Ich weiß nicht, ob da aus Berlin genug kam.“

Dort ist man unterdessen schon beim Update für das in die Jahre gekommene Projekt Islamkonferenz. Noch vor Seehofers Amtsantritt – sein „Gehört nicht zu- Deutschland“-Interview war erst ein paar Tage alt – trafen sich im März im Bundesinnenministerium auf Einladung der zuständigen Minsterialebene ein paar Dutzend Fachleute, Verbandsfunktionäre und nicht organisierte muslimische Juristen, Islamwissenschaftlerinnen und Vertreterinnen der Stiftungen, die muslimisches Empowerment seit Langem fördern. Thema war die Vorbereitung der DIK Nummer IV.

Die Gäste zeigten sich anschließend überaus angetan. Die perfekt vorbereiteten Behördenvertreter hätten nicht nur das Who’s who der deutschen Islam-Kompetenz eingeladen, sondern mit ihnen auch von Gleich zu Gleich die mögliche Agenda besprochen: was, mit wem und wie? Über das Stundenplandiktat der Ministerialbeamten hatte es jahrelang Streit gegeben; 2014, zum Start der 3. DIK, führte Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière dann gemeinsame Entscheidungen ein.

Die Angst der Verbände

Wenn es nach der Runde im Ministerium geht, könnte die DIK IV demnächst ganz andere Adressaten haben. Bisher lief der Dialog vor allem zwischen Staat und Verbänden – und kam öfter nicht da an, wo die Ergebnisse dringend benötigt worden wären: an der Basis, in den Moscheegemeinden, bei muslimischen Ehrenamtlern oder Jugendgruppen. Inzwischen gebe es einige Fördertöpfe für muslimisches soziales Engagement, aber es könne nicht abgerufen werden, sagt ein Teilnehmer der Runde im Ministerium: Die Leute an der Basis brauchten Unterstützung, ihre Verbände hätten dafür aber nicht die nötigen Ressourcen. „Da gab es Moscheegemeinden, die sich in der Flüchtlingsarbeit mehrere Beine ausgerissen haben“, sagt ein Kenner der muslimischen Basis, der in Berlin mit dabei war. „Die wussten aber nicht einmal, dass es dafür einen Fonds von der Islamkonferenz gab. Sie hätten Anträge über die Verbände stellen müssen, aber das hat nicht funktioniert.“

Fehlendes Personal ist dabei nur ein Teil des Problems, die Verbände neigen nach Ansicht etlicher Insider auch immer stärker dazu, sich aufs Religiöse im engeren Sinne zurückzuziehen. „Freitagsgebet und religiöse Unterweisung in der Moschee und dann ist gut“, so fasst Riem Spielhaus die Tendenz zusammen. Die Islamwissenschaftsprofessorin aus Göttingen und Kennerin der islamischen Gemeindelandschaft entdeckt eine wachsende Angst, die Kontrolle über die eigenen Mitgliedsvereine zu verlieren, wenn man sie zu weit aufs gesellschaftliche Feld lässt. Beides, diese Angst wie die knappen Ressourcen, dürfte erklären, dass in der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel praktisch kein Euro aus dem Fonds für muslimische Flüchtlingsarbeit abgerufen wurde.

Anerkennung durch soziales Engagement

Gleichzeitig wächst seit Jahren das muslimische Engagement in der sozialen Arbeit. Da helfen Musliminnen Flüchtlingen, bieten junge Leute Nachhilfe an oder organisieren Krankenbetreuung. „Das sind Menschen, die sich aus religiöser Motivation sozial engagieren“, sagt Engin Karahan. „Die kommen aber in der Zusammensetzung der DIK bisher nicht vor.“ Der Jurist, ein früherer hoher Funktionär der IGMG (Milli Görüs), berät seit ein paar Jahren Moscheegemeinden, aber auch solche Initiativen. Ihre Professionalisierung und Vernetzung – ohne dass dies über die Engstelle Verbände gehen müsse – hält er für entscheidend. Auch für die Grundfrage, wie der deutsche Islam Anerkennung als Religionsgemeinschaft bekommen könne. Schließlich sei auch die Unterstützung islamischer Sozialarbeit eine Form staatlicher Anerkennung, sagt Karahan und verweist auf die kirchlichen Wohlfahrtsverbände. Die sind mit 1,2 Millionen Beschäftigten nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland, dabei beläuft sich ihr Seelsorgepersonal auf nur wenige Zehntausend Köpfe. Der Löwenanteil ihrer Sozialarbeit wird aus öffentlichem Geld finanziert. Die letzte Islamkonferenz, die DIK III, die die Gründung eines muslimischen Wohlfahrtsverbands vorbereitet hat, so Karahan, sei insofern bereits „ein staatliches Angebot zur Religionsgemeinschaftswerdung“ gewesen.

Die Verbände haben damit allerdings gerade ein Problem. Im vergangenen November entschied das Oberverwaltungsgericht Münster eine seit zwölf Jahren anhängige Klage des Islamrats und des Zentralrats der Muslime (ZMD) – gegen die beiden Kläger: Man könne sie nicht als Religionsgemeinschaften ansehen, solange nicht klar sei, ob sie überwiegend aus Moscheevereinen bestünden oder doch aus lediglich muslimisch orientierten Fachverbänden – Pfadfindern zum Beispiel. Außerdem rügten die Richter, dass die Kläger nicht hätten glaubhaft machen können, dass sie in Glaubensfragen wirklich Autoritäten für ihre Moscheegemeinden sind.

Hessen stellt Ditib Ultimatum

Das Urteil sei ein Rückschlag nicht nur für Islamrat und ZMD, sondern für alle muslimischen Verbände, meint der Erlanger Kirchenrechtler Heinrich de Wall. Und das zu einer Zeit, in der mindestens zwei der vier Großen mit hausgemachten Problemen zu tun haben. Die traditionell an die türkische Regierungspolitik gebundene Ditib steht unter Beschuss, seit bekannt wurde, dass Ditib-Imame im Auftrag Ankaras Gemeinden bespitzelten und neuerdings um Gottes Segen für den türkischen Einmarsch im syrischen Afrin beten. Die IGMG, die einst in Opposition zum Staatsislam der mächtigen türkischen Religionsbehörde Diyanet entstand, beschäftigt inzwischen nicht nur deren geistliches Personal, sondern hat auch ihren früheren Generalsekretär an die Macht in Ankara verloren. Mustafa Yeneroglu sitzt seit ein paar Jahren für Erdogans AK-Partei im türkischen Parlament. Der Ditib hat Hessens schwarz-grüne Regierung vergangenen Jahr eine Frist gesetzt: Bis Ende 2018 muss der hessische Landesverband beweisen, dass er keine Weisungen aus Ankara erhält, sonst ist er kein Partner mehr für den muslimischen Religionsunterricht an Hessens Schulen.

So hoffen manche in der muslimischen Community, dass die nächste Islamkonferenz sich tatsächlich auf mehr und andere Akteure besinnt und muslimisches Leben in und neben den Moscheegemeinden von unten professionalisieren hilft – wie beim vorbereitenden Treffen auf Arbeitsebene besprochen. Ob allerdings der neue Minister das gutheißt, muss sich erst erweisen. Es werde sich ja zeigen, wer siege, flachst einer, Seehofer oder die Fachleute im Apparat, der überall nach der Devise verfahre: „Mir egal, wer unter mir Minister ist.“ Auf der symbolischen Ebene könne ein Minister viel praktische Arbeit zerstören, sagt eine Fachfrau, „mit solchen Interviews wie dem kürzlich“.

Da entwickelt sich der Neue gerade zum Serientäter: Seehofer hat den Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, trotz Merkels Rüge kürzlich wiederholt.

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