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Vollverschleiert. Am Sonntag randalierten rund 5000 "Hooligans gegen Salafisten" in Köln. Am 15 November wollen hunderte Islamgegner ihren Protest in Berlin fortsetzen.

© Reuters/Wolfgang Rattay

"Hooligans gegen Salafisten": Aus der Deckung - Wie sich die Hooliganszene nach Köln organisiert

Nun etwa auch in Berlin? Rassistische Parolen, Angriffe auf die Polizei – Hooligans und Rechtsradikale haben in Köln am Sonntag gemeinsam losgelegt. Doch einig ist die Szene lange nicht.

Siegfried Borchardt macht sich die Hände nicht schmutzig. Um ihn herum zünden sie am vergangenen Sonntag auf dem Kölner Bahnhof die ersten Böller. Sie brüllen: „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“ Der 60-Jährige steht mitten im Mob und grinst.

Die junge Garde um ihn herum schubst und pöbelt. Borchardt – die graue Eminenz der Neonazis in Nordrhein-Westfalen – kommt den Fotowünschen der jungen, oft von weit angereisten Randalierer nach: Ein Selfie mit SS-Siggi, das hätten viele gern auf der Demonstration „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa).

Mehr als 4000 Menschen ziehen durch die Stadt, grölen rassistische Parolen, greifen Polizisten an. Und Siegfried Borchardt läuft samt Entourage mit. Ein Alt-Hooligan, dessen Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Er diktiert den Rechten, wie weit sie gehen dürfen.

Sein Status unter Hooligans und Neonazis ist auch auf seine Ausdauer zurückzuführen. Seit 30 Jahren ist der 1953 geborene Borchardt aktiv. In den frühen 1980er Jahren gründete SS-Siggi in seiner Heimat Dortmund mit anderen Fußballrowdies die „Borussenfront“, eine Hooligantruppe, die bald Polizei, linken Fans und Anwohnern zusetzte. In der Dortmunder Nordstadt terrorisierte die „Borussenfront“ auch Einwanderer.

Bald beteiligten sich die Hooligans um Borchardt an bundesweiten Aktionen. Man reiste weit und lieferte sich Straßenschlachten mit Linken. Die „Borussenfront“ knüpfte Kontakte zu organisierten Neonazis. In Dortmund wachte sie über Kundgebungen der NPD.

Inzwischen hat er sich Borchardt aus der Politik zurückgezogen

Als die Partei „Die Rechte“ im Mai in den Dortmunder Stadtrat gewählt wird, zieht Borchardt in das Lokalparlament ein. Inzwischen hat er sich, wohl aus Gesundheitsgründen, zurückgezogen. Dennoch: Die „Borussenfront“ war so etwas wie die Saat, die nun 30 Jahre später noch mal aufging. SS-Siggi dürften die HoGeSa-Gesänge in Köln an seine Anfänge erinnert haben. Die Gewalt vom Sonntag feiern die Rechtsextremen als gelungene Machtdemonstration – und als einen Anfang. Die nächsten Aufmärsche sind für Hamburg und Berlin angekündigt. Hooligans haben dort für den 15. November Kundgebungen angemeldet.

Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) erklärte, dass die Versammlungsbehörde ein Verbot prüfe. Erkenntnisse über „strukturelle Verbindungen“ von rechtsextremer Szene und Hooligans habe die Berliner Polizei nicht, sagt ein Polizeisprecher: „Aber es gibt personelle Überschneidungen.“

Das Problem im aktuellen Fall: „Die HoGeSa ist kein eingetragener Verein und keine registrierte Institution“, sagt der Polizeisprecher. „Wir wissen nicht, wer das Sagen bei der Truppe hat – wenn es denn eine Truppe ist.“ Klar ist nur: Der Anmelder der Demonstration am 15. November in Berlin ist kein Berliner, sondern ein Privatmann aus Nordrhein-Westfalen.

Mit ihm will die Berliner Polizei nun sprechen. Kann er für einen friedlichen Verlauf der Demonstration sorgen? Welche Auflagen sind zu verhängen? Sprüche wie „Köln war erst der Anfang“, die nun im Internet kursieren, zeigten, „dass Gewalttätigkeit gesucht wird“, heißt es aus dem Polizeipräsidium. Das wäre eine Voraussetzung, um die Veranstaltung zu untersagen.

Warum der Ausbruch den Verfassungsschutz überrascht hat

Szenegröße. Siegfried Borchardt, genannt "SS-Siggi", gründete in den 80ern die "Borussenfront" und saß für "Die Rechte" zwischenzeitlich im Dortmunder Stadtrad.
Szenegröße. Siegfried Borchardt, genannt "SS-Siggi", gründete in den 80ern die "Borussenfront" und saß für "Die Rechte" zwischenzeitlich im Dortmunder Stadtrad.

© picture alliance / dpa

Der Berliner Verfassungsschutz zeigt sich von der Entwicklung überrascht. „Wir hatten Hooligans bisher nicht im Blick“, sagt eine Behördensprecherin. Die hätten sich bislang weniger politisch definiert und mehr über Gewalt – dafür sei die Polizei zuständig. Ob diese Einordnung angesichts der aktuellen Entwicklungen noch lange Bestand hat? „Das ist in Bewegung.“

Hooligans, ob unpolitisch oder rechts, Rechtsradikale, ob Mitläufer oder Funktionäre – die Mischung weckt Ängste. Doch haben solche Leute am Sonntag in Köln das Sagen gehabt?

Die Lage ist nicht nur in Köln und den Fußballstadien des Landes unübersichtlich. Sie ist es auch in einzelnen Köpfen. Andreas aus Berlin zum Beispiel. Der Mittdreißiger ist Fan des BFC Dynamo, eines Traditionsvereins, der in der DDR einst zum Ministerium der Staatssicherheit gehörte und seitdem meist abgestiegen ist – aber ungewöhnlich loyale, gut organisierte Fans hat.

Auch er wollte nach Köln - musste dann aber auf ein Familientreffen

Andreas sagt, auch er habe nach Köln fahren wollen, habe dann aber ein Familientreffen besuchen müssen. Er unterstütze das Anliegen aber immer noch: „Hools gegen Salafisten ist doch besser als Hools für Bier, oder?“ An diesem Mittwoch ist Andreas gegen 11 Uhr sofort ans Telefon gegangen: „Mach’ ja schon Mittag“, sagt er. „Hab’ schon vier Stunden rum.“ Andreas ist Handwerker. Er wohnt in der Nähe des Sportforums in Hohenschönhausen, ganz im Osten der Hauptstadt, wo er aufgewachsen ist und wo der BFC trainiert.

Was er am 15. November machen wird? „Ich quatsche noch mit meinen Jungs“, sagt er kurz angebunden. „Aber so wie es aussieht, gehen wir hin, wenn in Berlin demonstriert wird.“

Wen immer man in der Berliner Fußballszene fragt, es heißt: Hertha habe mit Abstand die meisten Fans, durchaus auch militante, die Masse aber bestehe aus friedlichen Kleingärtnern. Die Szene rund um den 1. FC Union aus Köpenick sei gemischt – viele Familien, dazu Punks, also ein bisschen St. Pauli des Ostens, aber auch ein paar Rechte.

Der BFC wiederum – inzwischen in der Regionalliga – mobilisiere zwar viel weniger Fans, die aber seien die härtesten: die Champions League der Hooligans gewissermaßen.

Andreas ist – eigener Auskunft zufolge – ein bei der Polizei registrierter Sportgewalttäter. In Berlin führt die Polizei über 1554 militanten Hooligans. Davon werden 86 der rechtsextremen Szene zugeordnet, 54 sollen sich im Umfeld des BFC Dynamo bewegen, die anderen vor allem bei Hertha und Union.

Andreas sagt über sein Leben: Freunde, Fußball, Freundin. Seinen Job möge er, wählen gehe er nicht, und am liebsten wäre ihm, man hätte weniger Muslime ins Land gelassen. „Doch bin ich deshalb Nazi?“

Seine Ex-Freundin sei Polin gewesen. Wer wir er viel rumkommt, habe irgendwann „die Schnauze voll von diesen Wilden”. In den 90ern sei er immer wieder mit Türken und Arabern aneinander geraten. Und Freude darüber, in Deutschland zu leben, statt im Irak, wird man ja wohl noch fühlen dürfen, sagt Andreas. Und dass die Kundgebung in Köln ein Rechtsradikaler angemeldet hat? „Aber, da waren trotzdem nicht 4000 Nazis.“

Fans von Lok Leipzig sollen regelmäßig Linke angegriffen haben

Ermittler, aber auch antifaschistische Fans, haben vor allem die Allianz von Anhängern des BFC, des 1. FC Lokomotive Leipzig und Lazio Rom im Blick. In der italienischen Fußballkultur gelten die Lazio-Fankurven als rechtsradikale Treffs, Fans von Lok Leipzig sollen in Sachsen regelmäßig Linke angegriffen haben. Auf der Facebook-Seite der Allianz posieren Kurzgeschorene auf einem Foto mit einer Deutschland-Fahne – darauf steht geschrieben: „Ho-Ge-Sa 24.10.2014.“ Man ist stolz, dabei gewesen zu sein.

SS-Siggi im fernen Dortmund dürfte sich freuen. Kommt da eine Mischszene aus Hools und Nazis in Fahrt? Oder handelte es sich in Köln bloß um eine günstige Gelegenheit für ein paar rechtsradikale Stichwortgeber?

Einige Hools sehen den Tag schon als Beginn einer neuen Bewegung. Auf Internetseiten heißt es: „Wir sind das Volk. Uns kriegt keiner klein!“ Und: „Wir müssen uns zur Wehr setzen. Deutschland muss auf der Straße präsent sein.“

Doch die Szene ist gespalten – nicht nur BFC-Fan Andreas findet etwa NPD-Parolen in Stadien problematisch. Im Internet tauchen ständig neue HoGeSa-Seiten auf, von denen sich andere Hooligans wiederum distanzieren. So geht das im Stundentakt.

Wie Wissenschaftler und Politiker das Phänomen bewerten

Vollverschleiert. Am Sonntag randalierten rund 5000 "Hooligans gegen Salafisten" in Köln. Am 15 November wollen hunderte Islamgegner ihren Protest in Berlin fortsetzen.
Vollverschleiert. Am Sonntag randalierten rund 5000 "Hooligans gegen Salafisten" in Köln. Am 15 November wollen hunderte Islamgegner ihren Protest in Berlin fortsetzen.

© Reuters/Wolfgang Rattay

Unter den Alt-Hools waren viele mit der Aktion in Köln unzufrieden. Einige fühlten sich „verheizt“ von den „größenwahnsinnigen“ Organisatoren, heißt es in einschlägigen Foren, man sei enttäuscht über die „besoffenen und undisziplinierten“ Krawalltouristen. Auch mit der in Berlin angemeldeten Demonstration wollen viele altgediente Schläger aus den Stadien des Landes nicht in Verbindung gebracht werden. Und wie um die Verwirrung komplett zu machen, sagt ein bekannter HoGeSa-Vertreter in einem Video: Die Veranstaltung in Berlin sei „totale Grütze und hat nichts mit uns zu tun“.

Andere wiederum waren gern in Köln dabei – Männer wie der Berliner Nazi-Rapper Villain051. Er gehört zum Umfeld einer Hertha-Gruppe von Alt-Hools, genannt „Wannsee-Front“, die wiederum mit der „Borussenfront“ in Dortmund befreundet ist. Zwischen SS-Siggi und Berliner Schlägern ist der Draht kurz.

Auf solche alte Allianzen weist auch der Politikwissenschaftler Jonas Gabler hin. Er ist einer der Fachleute zum Thema: „Es war schon länger zu beobachten, dass es derartige Überschneidungen zwischen Rechtsextremen und Hooligans gibt.“ Gabler hat in Berlin studiert und forscht am Institut für Sportwissenschaften der Leibniz-Universität Hannover zur Grauzone von Fankultur und Rechtsextremismus.

Die Alt-Hooligans waren eine Zeitlang aus dem Blick geraten

Die Alt-Hooligans seien eine zeitlang aus dem Blickfeld geraten. „Man hat sich davon einlullen lassen, dass Rassismus und Rechtsextremismus in den 2000er Jahren weniger im Stadion zu sehen waren.“ Dass sie jetzt wieder aus der Deckung kämen, erklärt er so: „Die Alt-Hooligans gehen vielerorts wieder in die Offensive, um ihre alten Werte zu verteidigen, auch gegen die Modernisierungstendenzen im Fußball.“

Inzwischen habe ja sogar der Deutsche Fußball-Bund eindeutig Stellung gegen Homophobie bezogen – „das wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen“. Und es gibt mehr als 20 Ultragruppen, die explizit gegen Homophobie und Sexismus aktiv sind. Das verstehen Alt-Hooligans als Kampfansage. Da sind SS-Siggi und BFC-Fan Andreas einander näher als Letzterem lieb wäre.

Was bedeutet das für den 15. November in Berlin?

Angesichts vieler militanter Hooligans und zahlreicher Neonazis in der Region sei zu befürchten, dass es ähnliche Szenen wie in Köln geben könne, sagt etwa Clara Herrmann. Sie ist Rechtsextremismus-Expertin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

In Köln sieht SS-Siggi am Abend nach den Ausschreitungen der „Hooligans gegen Salafisten“ nicht ganz so glücklich aus. Junge Neonazis helfen ihm dabei, sich Tränengas aus dem Gesicht zu waschen. Trotzdem wird Borchardt mit dem Tag zufrieden sein, eine weitere Schlacht ist geschlagen, noch dazu eine, für die sich Neonazis und Hooligans verbündet haben.

Einem Kamera-Team hat Siegfried Borchardt neulich übrigens verraten: Das mit dem bekannten Namen SS-Siggi passe ihm gar nicht. SA–Siggi wäre besser.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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