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Engagiertes Tandem. Karl-Georg Wellmann (r.) fördert Studentin Anna Golubyeva mit einem Deutschlandstipendium. Zusammen setzen sie sich für die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter ein.

© Bernd Wannenmacher

Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine: „Unglaubliche Solidarität“

Sie studiert Jura an der Freien Universität Berlin, er ist der Stifter ihres Deutschlandstipendiums. Zusammen helfen Anna Golubyeva und Karl-Georg Wellmann in Dahlem 150 Geflüchteten aus der Ukraine.

Von Anne Kostrzewa

Anna Golubyeva erinnert sich noch genau an die Nacht, in der der erste Bus in Berlin ankam. Es war kalt, nur knapp über dem Gefrierpunkt, als 38 Frauen und 34 Kinder, mehrere Hunde und Katzen an der Pfarrgemeinde in Dahlem den Bus verließen. Alle waren erschöpft nach der tagelangen Flucht, nun war es halb ein Uhr nachts und wieder war an Schlaf nicht zu denken. „Bis dahin war der Krieg für mich im Kopf noch sehr weit weg gewesen“, sagt Anna Golubyeva, die an der Freien Universität Berlin im dritten Semester Jura studiert. „Und plötzlich standen all diese Familien vor uns. Da schluckt man erstmal.“

Anna Golubyeva stammt selbst aus der Ukraine; bis sie 13 Jahre war, lebte sie in Odessa. Noch immer sind einige ihrer Verwandten dort. Deshalb ist sie in dieser Nacht gemeinsam mit anderen Studierenden wach geblieben: Sie wollte helfen, das Leid derer zu mindern, die es nach Deutschland geschafft haben. In jener Nacht dolmetschte Anna Golubyeva für die ankommenden Frauen und Kinder und stellte ihnen die Familien vor, bei denen sie unterkommen würden.

Es ist Karl-Georg Wellmanns Verdienst, dass der Bus mit all den Geflüchteten in dieser Nacht in Dahlem ankam und dass Dutzende Gastfamilien bereitstanden, um jemanden aufzunehmen. Als der 69-Jährige und seine Frau im Februar im Fernsehen Szenen von der polnisch-ukrainischen Grenze sah, wollten sie zunächst mit dem eigenen Kleinbus losfahren. „Diese Bilder waren nicht zu ertragen, wir mussten irgendetwas tun“, sagt der Jurist.

Gemeinsam holten sie 150 Menschen nach Berlin

Er sprach mit Mitgliedern seiner Kirchengemeinde in Dahlem, die Gastfamilien für Flüchtlinge fanden. Dass er wenige Wochen später gemeinsam mit seiner Frau und Freunden 150 Menschen nach Berlin geholt haben würde, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen.

Bis 2017 saß Karl-Georg Wellmann für die CDU im Bundestag, war Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe und kennt das Land am Schwarzen Meer von Reisen in die Region. Deshalb hat er sich lange vor dem Ausbruch des Kriegs entschieden, mehrere Deutschlandstipendien zu stiften, die Studierenden aus der Ukraine, aus Belarus und aus Russland zugutekommen.

Eine dieser Stipendiatinnen ist Anna Golubyeva. Als er ihr von der geplanten Hilfsaktion erzählte, organisierte sie sofort weitere Studierende, um bei der Ankunft zu helfen. „Diese Vermittlungsgespräche zwischen Geflüchteten und deutschen Familien sind unglaublich wichtig“, sagt Anna Golubyeva. „Beide Seiten erfahren erst einmal, mit wem sie es zu tun haben, was ihre Geschichte ist, auch wenn sie sich danach nur mit Händen und Füßen verständigen können.“

Bevor Karl-Georg Wellmann losfuhr, überzeugte ihn ein Freund, statt des Familienwagens gleich einen Reisebus zu mieten. Seine Kirchengemeinde fand zahlreiche Familien, die jemanden aufnehmen wollten. Seine Frau kaufte Stofftiere für die Kinder im Bus, und eine große Lebensmittelkette spendete Getränke und Snacks. Ein befreundeter Diplomat in Warschau stellte in Polen die nötigen Kontakte her, kurz darauf stand eine Kooperation mit einer Stadt nahe der ukrainischen Grenze. „Diese unglaubliche Solidarität hier und auch in Polen hat mich sehr bewegt“, sagt Karl-Georg Wellmann. „Es ist beeindruckend zu sehen, was man gemeinsam schaffen kann.“

In Kontakt zu bleiben ist wichtig

Karl-Georg Wellmann ist gut vernetzt. Das ermöglichte es ihm auch, zwei Wochen später weitere 75 Menschen nach Berlin zu holen. Gemeinsam mit der Gemeinde Nikolassee und den großen Segelclubs am Wannsee vermittelte er neue Unterkünfte, bemüht sich seitdem um Schulplätze, Sprachkurse, Jobs, Perspektiven. „Durch die persönlichen Kontakte habe ich noch einmal einen ganz anderen Bezug zur Ukraine bekommen“, sagt der ehemalige Politiker. „Aufwühlend“ nennt er seine Erlebnisse in Polen. „Die Tränen, die Verzweiflung und Erschöpfung, das ist schwer in Worte zu fassen.“ Umso wichtiger sei es ihm, mit den Familien in Kontakt zu bleiben, sie auf ihrem Weg in ein neues normales Leben zu begleiten.

Das ist auch Anna Golubyeva wichtig. Seit Wochen hilft sie nun geflüchteten Freunden und Verwandten, sich in ihrem neuen Leben in Deutschland zurechtzufinden. Ihre Cousine und eine weitere junge Ukrainerin hat sie in ihrer eigenen Wohngemeinschaft aufgenommen. Zwei Familien konnte sie bei deutschen Gastfamilien unterbringen. Karl-Georg Wellmann sagt: „Wir teilen einen Kulturkreis, und die Ukraine hat sehr gute Schulen. Das wird es vielen gerade jungen Geflüchteten erleichtern, sich in Deutschland einzuleben.“

Einen besonders bewegenden Moment habe er am Tag nach der Hilfsaktion in seinem Segelclub am Wannsee erlebt, der 35 Flüchtlinge aufgenommen hat. Zum Frühstück traf er sie auf der Terrasse: „Die Mütter saßen in der Sonne, sahen den Kindern beim Spielen zu, und sagten zu mir: Jetzt können wir wieder draußen sein, ohne Angst vor Bomben zu haben.“

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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