zum Hauptinhalt
Hetty Berg, 58 Jahre alt, Niederländerin, hat noch nichts darüber verlauten lassen, was sie in Berlin vorhat.

© Yves Sucksdorff/Jüdisches Museum Berlin/dpa

Hetty Berg soll es richten: Die neue Chefin des Jüdischen Museums Berlin muss Wunder wirken

Das Jüdische Museum stand zuletzt tief in der Kritik. Die neue Direktorin Hetty Berg wird als Vermittlerin gefragt sein - die Voraussetzung dafür hat sie.

Falls Hetty Berg nach ihrem Einzug ins Büro im dritten Stock des Berliner Jüdischen Museums aus dem schmalen Fenster schaut, dann erblickt sie vom Schreibtisch aus den Garten des Exils, eine eigentümliche Mischung aus Natur und Stein. Aus 49 schief aufragenden Betonstelen erwachsen Ölweiden als Symbol für Frieden und Hoffnung. Dahinter erhebt sich ein zwölfstöckiger Wohnblock.

Am 1. April tritt Hetty Berg ihr Amt als neue Direktorin an. Auf die Amsterdamer Museumsmanagerin und Chefkuratorin des Jüdischen Kulturquartiers richten sich große Hoffnungen. Sie soll dem Berliner Haus wieder Frieden und Ruhe bringen.

Ihr traut man nicht nur den Sprung von einer Institution mit rund 100 Angestellten und 2500 Quadratmetern Ausstellungsfläche zu einem Haus der dreifachen Größe mit entsprechend mehr Personal zu. Die neue Chefin kann Ausstellungen organisieren, einen Betrieb leiten, eine Mannschaft führen, Geld beschaffen, internationale Verbindungen knüpfen.

Doch braucht es für ein Jüdisches Museum ein weiteres Talent, das Hetty Berg ebenfalls besitzt: die Gabe, Menschen an einen Tisch zu bringen. Anders als in einem herkömmlichen Kunstmuseum wirken religiöse Befindlichkeiten in die Arbeit, es gibt politische Fallstricke, besondere Sensibilitäten durch den Holocaust und die Beschäftigung damit. Das Jüdische Museum hat die Aufmerksamkeit der jüdischen Gemeinde, deren Spektrum von liberal bis strenggläubig reicht. Häufig geht es um die Frage, wer sich wie richtig oder falsch repräsentiert fühlt, um das Selbstverständnis des Museums. Zwischen diesen Stimmen gilt es zu vermitteln.

700.000 Besucher, drei Viertel aus dem Ausland

In Berlin wurde der Ton in den vergangenen beiden Jahren scharf. Der Streit gipfelte im vergangenen Sommer im Rücktritt von Peter Schäfer, dem amtierenden Direktor. Streit begleitet die Institution seit ihrer Gründung vor 20 Jahren als eigenständige Einrichtung.

Damals machte sich die Judaica-Abteilung unabhängig vom Stadtmuseum, das im Kollegienhaus an der Kreuzberger Lindenstraße residierte. Mit dessen Übernahme und der Eröffnung des von Daniel Libeskind entworfenen Neubaus daneben entstand das größte Jüdische Museum Europas. Jährlich kommen mehr als 700.000 Besucher, drei Viertel aus dem Ausland.

Das Jüdische Museum Berlin.
Das Jüdische Museum Berlin.

© Mauritius Images/Alamy/Schütze/Rodemann

Die Diskussion spitzte sich mit der Ende 2017 eröffneten Jerusalem-Ausstellung weiter zu, die mit Fotos, Filmen, Modellen die Fülle des Lebens in der israelischen Hauptstadt zeigte. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung durch eine Intervention des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. In einem Brief an die Bundeskanzlerin forderte er, die Unterstützung für das Jüdische Museum einzustellen, weil die Ausstellung eine „palästinensisch-muslimische Sicht auf Jerusalem“ widerspiegele.

„Das Maß ist voll“

Zum Eklat kam es schließlich durch einen unglücklich vom Pressebüro des Museums per Twitter weitergeleiteten Verweis auf einen „taz“-Artikel zur israelkritischen Boykottbewegung BDS. Er war es, der Schäfer das Amt kostete. Ihm wurde vorgeworfen, dass er in seiner Institution dem vom Bundestag als antisemitisch eingestuften BDS eine Plattform gebe.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland twitterte am 11. Juni: „Das Maß ist voll. Das Jüdische Museum Berlin scheint gänzlich außer Kontrolle geraten zu sein. Unter diesen Umständen muss man darüber nachdenken, ob die Bezeichnung ,jüdisch‘ noch angemessen ist.“

Der im vergangenen Jahr zurückgetretene Direktor Peter Schäfer.
Der im vergangenen Jahr zurückgetretene Direktor Peter Schäfer.

© Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa

Seitdem hat der Geschäftsführende Direktor Martin Michaelis kommissarisch die Leitung übernommen. Er spricht von Glück, dass am Museum in den vergangenen Monaten alle Mitarbeiter intensiv mit der Vorbereitung einer neuen Dauerausstellung und der Einrichtung eines Kindermuseums auf der gegenüberliegenden Straßenseite beschäftigt waren, die beide Mitte Mai eröffnen. Sonst wäre man endgültig in die Sinnkrise geraten.

Nur eine kurze Stellungnahme

Hetty Berg soll es nun richten. Von ihr werden Wunder erwartet. Umso weniger erstaunt, dass die 58-Jährige sich bedeckt hält, bevor sie in Berlin ihre Arbeit aufnimmt. Nach ihrer Berufung Ende November hinterließ sie nur eine kurze Stellungnahme für die Öffentlichkeit. „Es ist mir eine Ehre, die Leitung des Jüdischen Museums zu übernehmen“, schrieb sie und flog zurück nach Amsterdam. Die Belegschaft bekam am nächsten Morgen durch Martin Michaelis ein Grußwort verlesen. Im Januar ist ein gemeinsamer Workshop mit den Berlinern geplant. Darüber hinaus war seitdem nichts zu erfahren.

Wer also mehr über Hetty Berg erfahren will, was ihre bisherige Arbeit ausmacht, muss sich nach Amsterdam ins Jüdische Kulturquartier begeben, wo die Theaterwissenschaftlerin und Museologin 1989 begann. 2002 übernahm sie den Posten der Chefkuratorin und schob die Entwicklung des Kulturquartiers rund um den Waterlooplein an, das neben dem Historischen Museum, dem Kindermuseum, der Portugiesischen Synagoge auch das Nationale Holocaust-Museum und die Gedenkstätte Hollandsche Schouwburg umfasst. Als Vordenkerin prägte Berg die Marke Kunstquartier.

Als sie im November nach ihrer Berliner Berufung wieder nach Hause eilte, hatte dies seinen guten Grund: die Eröffnung einer Ausstellung von Eli Content in der zeitgenössischen Abteilung am nächsten Tag. Der 75-Jährige, einer der wichtigsten jüdischen Maler in den Niederlanden, schuf in den letzten Jahren immer wieder Werke für das Haus, im Kindermuseum gestaltete er eine ganze Wand samt Fenster.

Nur 10000 überlebten

„Elis Retrospektive ist die Krönung ihrer Arbeit“, sagt Bernadette van Woerkom vor seinen mit dicker Farbe gemalten Bildern, die menschliche Figuren zeigen. Von Anfang an hat die Fotokuratorin mit Hetty Berg zusammengearbeitet. Die designierte Berliner Direktorin macht sich erwartungsgemäß rar.

Nächste Station ist die historische Abteilung, deren Interieur an jene Synagoge erinnert, die einst hier stand. Nach Kriegsende waren die vier eng zusammengerückten Synagogen fast bis auf die Grundmauern abgetragen. Von der jüdischen Bevölkerung, die hier rundum wohnte und 60 bis 70 Prozent der Nachbarschaft ausmachte, kehrten wenige zurück in die Stadt: Nur 10000 der 80000 Juden überlebten. In den 80er Jahren entschloss sich die Stadt, die Synagogen als Museum unter einem gemeinsamen Dach zumindest in ihrer Silhouette zu rekonstruieren.

Die Backsteinmauern kehrten zurück, die gerundeten Fenster, im Inneren ein modernes Gebäude. Die Dauerausstellung in der historischen Abteilung trägt Bergs Handschrift, sie war 2004 die Projektleiterin. Zuvor, bei der Neueröffnung des Museums 1987, war der Raum in kühlem Grau und Blau gehalten, die Präsentation fiel distanziert aus. Heute widmet sie sich unmittelbar religiösen Gefühlen, die neuen hölzernen Vitrinen gleichen entfernt den einstigen Bänken. Die Funktion sakraler Objekte wird erklärt, Gläubige erzählen in Interviews von den Ritualen.

Das Kindermuseum - das erste seiner Art

Hetty Berg entwickelte hier mit ihrem Team einen empathischeren Ansatz, um den Besucher mitzunehmen. Das funktioniert sofort, wenn der Gesang erklingt und wieder jener Film an die große Wand projiziert wird, der einst in der noch unversehrten Synagoge entstand. Und doch wird die Persönlichkeit der Chefkuratorin dahinter nicht greifbar, bleibt sie immer noch ein Phantom.

Das Kindermuseum, mit dem das Jüdische Museum in Amsterdam international Standards setzte, ist das erste seiner Art und dürfte ebenfalls zu Bergs Berufung beigetragen haben.

Der Weg führt raus zur gegenüber gelegenen Portugiesischen Synagoge aus dem 17. Jahrhundert, die den Zweiten Weltkrieg intakt überstand. Nur wenige Schritte weiter folgen als Gedenkstätte die Hollandsche Schouwburg, ein ehemaliges Theater, das den deutschen Besatzern als Sammelpunkt vor der Deportation der Juden in die Konzentrationslager diente. Vis-à-vis wurde vor drei Jahren in einer ehemaligen Schule, dessen Rektor zahlreichen Kindern zur Flucht verhalf, ein Holocaust-Museum eingerichtet. Anfang Februar schließt es, um ausgebaut zu werden. Die Planung lief noch durch Hetty Bergs Hände.

Emile Schrijver, der Generaldirektor des Jüdischen Kulturquartiers, nimmt den Weggang seiner Stellvertreterin mit gemischten Gefühlen. „Ich habe es gefürchtet und für sie gehofft“, das sei sein Kommentar gewesen, als ihn Kulturstaatsministerin Monika Grütters anrief, die ihn als Vorsitzende der Berufungskommission von der Wahl informierte. „Wir sind stolz, aber Hetty hinterlässt eine große Lücke.“ Der Wissenschaftler verliert die Praktikerin an seiner Seite.

Das Wissen, worauf sie sich einlässt

Überrascht hat ihn die Entscheidung trotzdem nicht. In der Museumslandschaft gebe es nur wenige Frauen mit ihren Qualifizierungen. Als Mitbegründerin der Association of European Jewish Museums verfügt sie über hervorragende Verbindungen in die jüdische Community, auch durch die eigene Familie. Schrijver ist überzeugt, dass sie auch in Deutschland zwischen den verschiedenen Gruppen hervorragend vermitteln kann, wo als Täterland die auf das Museum gerichtete Aufmerksamkeit sehr viel größer ist, die Spannungen stärker spürbar sind.

Hetty Berg müsste wissen, worauf sie sich einlässt. Das Berliner Museum kennt sie, sie gehörte 2010 zu den Kuratoren der gemeinsamen Ausstellung „Helden, Freaks, Superrabbis“ über jüdische Comics, die anschließend nach Paris weiterzog. Ihr Lebensgefährte, der Fotograf Frédéric Brenner, organisierte die gerade laufende Ausstellung „This Place“, für die er elf weitere Kollegen bat, ihre Sicht auf Israel und das Westjordanland vorzuführen. Als Brenner 2016/17 als Fellow des Wissenschaftskollegs nach Berlin kam, nahm sich seine Partnerin eine Auszeit im Beruf und begleitete ihn.

Seitdem hat mancher Kurator aus den Niederlanden auf einen Führungsposten ins Nachbarland gewechselt, darunter auch Paul Spies, der seit drei Jahren die Stiftung Stadtmuseum leitet. „Wunderbar“, sagt er über die Berufung seiner Kollegin. Die beiden kennen sich aus seiner Zeit als Direktor des Amsterdamer Stadtmuseums. In Berlin soll sich die Zusammenarbeit fortsetzen.

Schon bahnt sich an, was sich mancher seit Längerem vom Haus versprochen hat: eine stärkere Öffnung. Die Diskussion über die Funktion eines Jüdischen Museums, an wen es sich wendet, wen es vertritt, wie viel Raum politische Debatten einnehmen dürfen, aber bleibt. Sie gehört dazu. Nur muss es erst einmal Frühling werden und Hetty Berg kommen. Vor dem Fenster ihres neuen Büros dürfte es dann grünen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false