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Hans-Joachim Roedelius 2018 in Berlin.

© Hahn+Hartung.

Hans-Joachim Roedelius im Interview: "Ich hatte einen Klangspeicher im Kopf"

Kinderstar in der Nazizeit, Gefangener in der DDR, Babysitter in der Kommune 1: Der Avantgarde-Musiker Hans-Joachim Roedelius im Interview.

Hans-Joachim Roedelius ist einer der einflussreichsten deutschen Avantgarde-Musiker. Der 84-jährige war Kinderstar in der Nazizeit, saß im DDR-Gefängnis, war Babysitter in der Kommune 1 und komponierte mit Brian Eno. Roedelius' Frau Martha begleitet ihn zum Interview, hält sich aber im Hintergrund - zunächst.

Herr Roedelius, Entschuldigung, Achim, Sie haben gerade ein neues Album veröffentlicht, diesmal gemeinsam mit Christoph H. Müller. Haben Sie selbst noch den Überblick, wie viele Alben Sie mittlerweile aufgenommen haben?

Oh, es sind sehr viele. 172 haben wir mal gezählt, mit allen Raubkopien und so weiter, Soloalben und Kollaborationen. Also ist das Neue mindestens Nummer 173. Ich glaube, es sind über 1500 einzelne Stücke, die bei der Gema registriert sind.

Wie viel lagert noch im Archiv?

Es gibt noch reichlich Material, das ich gerne veröffentlichen würde. Alles, was ich am Anfang aufgenommen habe, ist auf Bändern gespeichert, davon ist vielleicht die Hälfte digitalisiert. Es ist so viel Zeug, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich habe alles aufgehoben, seit 1968, ein ganzer Raum voll. Manche Bänder sind schon angeschimmelt, weil sie so alt sind, aber sie sind immer noch brauchbar.

In den letzten Jahren haben Sie sich von den elektronischen Geräten abgewandt, hin zum Piano. Wieso eigentlich?

Meine Mutter hat in der Nachkriegszeit versucht, mir das Klavierspielen beibringen zu lassen. Das hat nicht geklappt, weil unser Klavier verstimmt war und ich mich geweigert habe, darauf zu spielen. Das klang so furchtbar! Trotzdem: Das Piano ist meine große Liebe. Das möchte ich in Zukunft auch am liebsten machen: Alleine spielen am Klavier und meine Texte dabei zitieren. Es ist ja kaum bekannt, dass ich schreibe und auch spreche - dabei ist das eigentlich der richtige, volle Roedelius.

Was sind die ersten Töne, die erste Musik, an die Sie sich erinnern?

Im Krieg habe ich den Bombenlärm, die Granaten und den ganzen Wahnsinn in Berlin erlebt, in Friedenau. 1943 sind wir evakuiert worden, nach Ostpreußen ins Grüne. Und da habe ich mich eigentlich immer nur draußen rumgetrieben - das war das prägende Erlebnis. Ich habe immer an Flüssen rumgehangen, ich war Kuhhirte und habe den Kühen zugehört. Das waren tiefe Erlebnisse mit natürlicher Tonqualität. Ich habe innig zuhören können, das war mir gegeben. Und das hat sich ausgewirkt. Ich hatte einen Klangspeicher im Kopf.

Als vierjähriges "Hänschen" Roedelius spielte der Künstler in Ufa-Filmen, hier in "Verklungene Melodie" mit Brigitte Horney (1938).
Als vierjähriges "Hänschen" Roedelius spielte der Künstler in Ufa-Filmen, hier in "Verklungene Melodie" mit Brigitte Horney (1938).

© Berliner Illustrierte

Vor dem Krieg waren Sie ein Kinderstar der Ufa, Sie haben in NS-Durchhaltefilmen mitgespielt.

Ich weiß noch, dass ich mich sehr unwohl gefühlt habe, als man beim Dreh von "Verklungene Melodie" von mir verlangte, krank zu spielen - das habe ich als Vierjähriger einfach nicht verstanden. Ich war ja nicht krank. Ich glaube heute, dass ich dadurch, dass ich das aber musste, gezwungen durch viel Schokolade und Eisenbahnspielen, eine Prädestination für meine spätere Migräne bekommen habe. Ich habe jahrzehntelang mehrmals im Monat in einem abgedunkelten Raum kostbare Zeit mit unerträglichen Schmerzen verplempern müssen.

Sie waren aber nicht nur in kitschigen Melodramen zu sehen.

Nein, da war zum Beispiel auch "Reitet für Deutschland" von 1940 - als sie mich da hinschickten, haben meine Eltern nicht gewusst, dass der Hitler damit guten Wind machen wollte für seine Aktionen. Mein Vater war kein Nazi, er musste nicht in den Krieg, im Ersten Weltkrieg musste er als Sanitäter die Verwundeten von den Battlefields auflesen und hat dabei selbst Giftgas eingeatmet. Papa war okay - und auch die Großväter, ich wüsste nicht, dass die irgendwann mal eine Waffe in der Hand hatten.

Nach dem Krieg sind Sie im Erzgebirge aufgewachsen, wurden zur DDR-Volkspolizei rekrutiert. Und hauten ab in den Westen.

Meine Mutter ist dann zur Stasi gegangen und hat gefragt: Passiert dem Jungen was, wenn er zurückkommt, er ist doch noch jung. Sie haben gesagt; Nein, ihm passiert nichts. Aber es ist ihm natürlich doch was passiert. Ich saß dann wegen Boykotthetze und Kriegshetze - ich! Ha! Icke! Aber das war alles Vorbedingung zu dem, was ich jetzt noch mache. Ich empfinde es als sehr wichtig, dass das alles passiert ist.

Sie wurden zu vier Jahren Haft verurteilt.

Das erste halbe Jahr im Gefängnis wollten sie aus mir herausprügeln, dass ich ein Spion bin - wer kann sich schon vorstellen, dass jemand freiwillig zurückgeht in die DDR! Aber ich konnte ihnen nicht sagen, dass ich ein Spion bin, ich war ja keiner. Aber was ich da für Leute getroffen habe! Das waren Kriminelle, die wollten mir das Schlossknacken beibringen und das Klauen - irre.

Wie sind Sie rausgekommen?

Ich habe mich rausgelogen - raussägen ging nicht. Ich tat so, als wäre ich ein reumütiger Rückkehrer, das haben sie geglaubt. Ich habe Lobgedichte geschrieben auf die DDR, musste die vor Hunderten anderen Gefängnisinsassen zitieren. Ich war schweißgebadet. Aber ich wusste, nur so komme ich hier raus. Danach war ich verfemt bei meinen Zellengenossen, ich war der Verräter. Ich bin aber kein Verräter. Das musste ich erst mal lernen.

Und danach?

Nachdem sie mich rausgelassen hatten, waren sie großzügig und haben mich studieren lassen. Weil ich kein Abitur hatte, wollte ich über die Krankengymnastik ins Medizinstudium kommen. Das wäre auch gegangen, wenn ich nicht, als ich die Ausbildung gerade abgeschlossen hatte, aufgefordert worden wäre, zur Stasi zu kommen und Rede und Antwort zu meinem Lebenswandel zu stehen. Ich hatte da natürlich gemacht, was ich wollte, immer wieder Freunde in West-Berlin besucht, hatte im Osten Kontakt zu Dissidenten wie Manfred Krug und Wolf Biermann. Als die Vorladung kam, bin ich sofort abgehauen, das ging damals noch, 1960 war die Stadt noch offen. Ich musste dann meinen Lebensunterhalt verdienen. Mein Ost-Examen wurde zuerst nicht anerkannt, also habe ich im Fruchthof gearbeitet, als Krediteintreiber, als Putzmann, als Detektiv - das war die Oberfreude: fremdgehenden Ehepartnern nachzuspüren!

Später sind Sie als Masseur viel rumgekommen: Berlin, Korsika, Frankreich. Was hat Sie besonders beeindruckt?

In Paris bin ich als Hippie-Heiler langhaarig und barfuß in den Élysée-Palast eingelassen worden, um die Frau des damaligen Präsidenten der französischen Nationalversammlung zu massieren. Die lag dann vor mir auf dem Tisch, hatte sich Freundinnen dazu geladen, und ich musste mir ihre antisemitischen Tiraden anhören. Unerträglich!

Sound der Apparate: Roedelius mit Dieter Moebius (rechts) bei einem Konzert 1976 in München.
Sound der Apparate: Roedelius mit Dieter Moebius (rechts) bei einem Konzert 1976 in München.

© privat

Und dann landeten Sie in West-Berlin, 1968.

Es gab drei Kommunen zu der Zeit: Die K1, die Kaufhausanzünder. Die Freie-Liebe-Kommune mit Uschi Obermayer. Und uns, Human Being, die Musikkommune. In der Liebeskommune waren wir nicht zu Hause, ich weiß gar nicht, warum, wäre ja ganz schön gewesen. Aber ich kannte das Theater in der K1, wo Baader und Meinhof auch mal zu Besuch waren, da war ich Kinderbetreuer. Meine damalige Freundin und ich haben uns der Kinder angenommen, die da hilflos rumliefen und nicht wussten, was sie tun sollten, während die Eltern sinnloses revolutionäres Zeug brabbelten und ihre Brandanschläge vorbereiteten. Drei, vier ganz süße Kleine waren das, ich weiß nicht, zu wem sie gehörten. Die haben wir ins Bett gebracht und getröstet, wenn es gewitterte. Babysitter in der Kommune 1!

Sie haben dann das Musik- und Kunstprojekt Zodiak Free Arts Lab mitgegründet - eine Keimzelle der experimentellen Musik, aus der Bands wie Ash Ra Tempel und Tangerine Dream hervorgingen.

Conrad Schnitzler hatte die Idee. Der war Schüler von Beuys, ziemlich aktiv, hat sich in Berlin als Art-Scout betätigt und die Leute fürs Zodiak unter einen Hut gebracht, später auch für unsere Band Kluster. Schnitzler war ein guter Freund. Ich weiß gar nicht, wie ich auf ihn gekommen bin, aber als ich aus dem Osten nach West-Berlin übergewechselt bin, hat er mich in den Schoß seiner Familie aufgenommen und für mich gesorgt wie ein Papa, dafür bin ich ihm ewig Dank schuldig.

Das Zodiak befand sich im Parterre des heutigen HAU-Theaters am Tempelhofer Ufer, im ersten Stock residierte Peter Steins Schaubühne.

Wir waren der Untergrund von Peter Stein, den hat er, glaube ich, auch geschätzt. Aber die Stadt, von der Schnitzler die Räume gemietet hatte, war damit nicht glücklich, dass die bürgerlichen Herrschaften in ihren Abendroben die Nase rümpfen mussten, weil wir vor ihrem Theater saßen und schön kifften. Dann war eben irgendwann Schluss.

Bei einem Konzert mit Human Being in der Akademie der Künste 1969 gab es Tumulte, Ihr Equipment wurde zerstört. Wieso reagierten die Leute so aggressiv?

Es war Revolution und das waren Faschisten! Die Aggression lag in der Luft, damals ist auch in Frankreich viel kaputtgegangen. In Avignon, wo wir 1968 das New Yorker Living Theatre begleiteten, haben wir mit Knüppeln in der Hand hinter der Tür unseres Palazzos gesessen und auf die Hooligans gewartet, die angekündigt hatten, die Premiere von "Paradise Now" zu stürmen. Und Human Being war eine wild zusammengewürfelte Gruppe: ein Berberprinz, der schwedische Poesie schrieb, ein desertierter GI ... Wir hatten selbstgebaute Flöten, es wurde viel geschrien, vielleicht waren wir auch einfach zu laut.

Waren Sie ein Hippie?

Ich habe mich bemüht, obwohl ich es eigentlich nicht war. Wir sind, nachdem das Zodiak zu war, mit Kluster nach Afrika gefahren, auf dem Weg haben wir Straßenmusik gemacht. Da saß ich wie alle anderen und habe getrommelt, mit langen Haaren und Glöckchen am Fuß. Ich habe mich aber als Fremder gefühlt.

Auf dem alten Hof im niedersächsischen Forst fand Roedelius Ruhe vom Musikerleben und zu sich selbst.
Auf dem alten Hof im niedersächsischen Forst fand Roedelius Ruhe vom Musikerleben und zu sich selbst.

© Christine Martha Roedelius

Nach langem Touren landeten Sie 1972 mit Ihrem Kluster-Bandkollegen Dieter Moebius auf einem alten Hof im niedersächsischen Forst - völlig weg von allem.

Ich war so glücklich da draußen. Ich konnte endlich mal ein bisschen Garten machen, normale Arbeit, in den Wald gehen, Holz hacken. Meine Frau hat 1975 unser erstes Kind vor dem Kaminfeuer allein im Bett zur Welt gebracht, nur mit einer Hebamme, die in der Ecke saß, mit einem Spitzenhäubchen. Ganz alte Schule.

Sie beide sind seit 45 Jahren verheiratet - wie trafen Sie sich?

Martha ist auch Künstlerin, sie hat damals eine sanfte Art von Aktionismus quer durch Europa betrieben. Wir sind uns immer wieder auf Kunstmärkten und Konzerten begegnet. 1972 ist sie nach Forst gekommen, weil meine damalige Freundin, die Schwester von Florian Schneider-Esleben von Kraftwerk, fand, dass ich zu ihr nach Hamburg gehöre. Sie hatte Martha geschickt, um mir auszurichten, ich solle doch versuchen, mich zurück in die Stadt zu fügen. Tja, und dann stand sie da und es wurde klar, warum wir uns vorher schon immer merkwürdig angeguckt hatten.

Hach! Eine schöne Geschichte!

Aber auch der Beginn einer schweren Geschichte für Martha. Denn so freundlich, wie ich mich hier gebe, bin ich nicht immer. Ich bin ein sehr störrischer, sehr widersprüchlicher Mensch, meine Frau muss viel aushalten. Sie ist eine tolle Partnerin. Ohne sie wäre das alles nichts, gar nichts.

Ihre Frau arbeitete als Lehrerin, um Ihnen das Leben als Musiker zu ermöglichen. Wie viele Liebeslieder haben Sie Ihr geschrieben? (Martha Roedelius ist inzwischen dazugekommen.)

Ich habe ein wunderbares Liebeslied an meine Frau geschrieben, die aber immer, wenn ich es zitieren will, aufschreit: Bitte nicht! In Wirklichkeit ist es doch ganz anders, als du da schreibst!

Martha Roedelius: Ich will lieber praktische Ergebnisse. Müll raustragen, Staubsaugen, Geschirrspüler ausräumen ... ohne Auf-forderung! Und in der gleichen Weise, wie sie es tun würde, jedes Stäubchen wegwischen ... wenn schon, dann richtig!

Hans-Joachim Roedelius 2018 in Berlin.
Hans-Joachim Roedelius 2018 in Berlin.

© Hahn+Hartung

Wie geht denn das Liebeslied?

Das sagt alles das, was sie leistet in Bezug auf uns. Ich kann es sogar aus dem Gedächtnis: Oh Frau, führe mich raus, wo Sorgen wohnen

... weil wir immer sehr darum gekämpft haben, miteinander, dass er auf dem richtigen Weg bleibt und sich nicht die Seele rauben lässt.

Du Frau, Ergänzung mein und Gegenteil, dass ich dich finde, zog ich aus. Du warst es, die mich fand, am Wegesrand und krank, du warst es, die sich liebreich zwang, sich mir, dem Müdgewordenen, zuzuwenden. Du fischtest mich aus jenem dunklen Teich, in dem ich scheinbar reglos trieb. Du suchtest dir den Bräutigam ... - ja.

Das ist schon schön. Aber im Alltag hätte man halt gern handfeste Beweise.

Achim, zu der Zeit, als Sie und Ihre Frau ein Paar wurden, wollten Sie eigentlich in ein Kloster gehen. Warum das?

Der Arzt hat damals gesagt: Der Reiter hat sein Pferd überfordert. Er war wirklich müde geworden.

Zu viel gesoffen, zu viel gekifft, zu viele Drogen genommen. Zu einsam gewesen.

Wir haben dann miteinander ein natürliches Leben geführt in Forst, mit Gemüseanbau, gesundem Leben. Ich war wirklich erstaunt, dass er Lust hatte, da mitzumachen.

Wovon haben Sie gelebt?

Wir hatten das wenige, was von dir reingekommen ist. Und meine Mutter hat uns unterstützt. Wir hatten auch kaum Unkosten.

Von der Kollaboration mit Brian Eno bei dem Stück "By this river" sind wir auch eine Zeitlang getragen worden. Es hat immer irgendwie geklappt, dass wir weiterleben konnten.

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Der legendäre britische Musikpionier und Produzent Eno besuchte Sie in Forst, um mit Ihnen und Ihren Bandkollegen wegweisende Musik aufzunehmen. Wie reagierte er auf das Landleben?

Wir hatten riesige Kamine, da musste jeden Tag Holz geschnitten werden. Du hast Brian eine Säge besorgt, ihn in den Wald geschleppt und gesagt: Wenn du bei uns bist, musst du mit uns arbeiten. Brian hat sich hingesetzt, auf seinem Taschenrechner rumgetippt und gesagt: Achim, wenn du etwas fleißiger wärst in der Musik, könntest du jemanden bezahlen, der das für dich macht.

Aber ich wollte Holz machen! Ich wollte das! Aber ich glaube, Brian hat inzwischen kapiert, dass das motivierend für unsere Musik war. Er schreibt in seiner eigenen Autobiografie, dass er damals bei uns wie in einer Blase gelebt hat. Das ist exakt die Bezeichnung, die dafür passt. Er war immer auf dem Punkt, der Typ.

Und ein schwerer Workaholic, auf eine andere Art und Weise als du. Er hat auch gesagt, wenn unsere kleine Tochter, acht Monate war sie, nachts unruhig war: Komm, ich trage sie rum, ich kann sowieso nicht schlafen.

War die Abgeschiedenheit in Forst notwendig für die Musik?

Ganz wichtig! Das fing mit Cluster an ...

... der Weiterentwicklung ihrer Band Kluster, zusammen mit Dieter Moebius.

Mit Cluster kam der Wechsel vom Abstrakten, von der für Normalverbraucher schwer verdaulichen Musik hin zum Lieblichen, Romantischen. Mit "Sowiesoso" haben wir den Sprung sofort geschafft, danach ist es harmonisch weitergegangen.

Die nächste Band hieß dann auch Harmonia.

Genau, das Projekt hat aber nicht lange geklappt, weil Moebius und ich nicht immer mit Michael Rother das gleiche Programm üben wollten. Üben war nie unser Ding, wir übten im Machen.

Brian Eno (rechts) improvisierte zusammen Roedelius und seinen Bandkollegen bahnbrechende Musik.
Brian Eno (rechts) improvisierte zusammen Roedelius und seinen Bandkollegen bahnbrechende Musik.

© privat

Alle Ihre Alben sind live eingespielt und improvisiert - die Stücke existieren immer nur im Moment ihrer Aufnahme.

Sie sind nicht reproduzierbar. Auch das Wiederkäuen auf der Bühne ist meine Sache nicht.

Wie komponieren Sie denn dann?

Ich bereite mir zwischen 50 und 100 Klangquellen vor, Soundlandschaften, Vogelzwitschern, Wasserrauschen, Samples, eine Pianofigur. Ich sitze am Keyboard, die Klänge liegen vor mir auf dem Bildschirm, ich habe einen Laptop und zwei iPads. Jetzt habe ich die Wahl: Womit fange ich an? Das ist bestimmt vom Publikum, von der Atmosphäre im Raum, der Bereitschaft, zuzuhören. Dann lasse ich es kommen. Ich bin so drin, dass ich überhaupt nicht mehr merke, was läuft. Martha ist manchmal völlig geplättet, mit wie viel Stille ich manchmal arbeite.

Wenn ich manchmal auf bestimmte Klänge warte und sie kommen nicht, dann gehe ich raus, weil ich das nicht aushalte.

In den vierzig Jahren, in denen wir zusammen sind, hat sie ein einziges Konzert so tief empfunden, dass sie gesagt hat: Oh, endlich habe ich verstanden, was du machst.

Das war in Baltimore. Da habe ich mich mit einem Besucher unterhalten, der mir sagte: Wir kommen alle deswegen. Da kommt niemand, der sich berieseln und bedienen und unterhalten lassen will - die Leute wollen mit ihm auf eine Abenteuerreise gehen. Und das ist es, was ich manchmal nicht kann.

Achim, wenn Sie es kommen lassen -womit treten Sie in Verbindung?

Hör mal, wir sind alle in der Hand unseres Schöpfers! Wir können nichts anderes machen als das, was er von uns will. Ich empfinde mich als Medium für etwas, das gesagt werden will oder gesagt werden muss. Viele meiner Vorfahren waren Pastoren oder Kantoren, die Spur ist gelegt.

 Sie haben auch schon Konzerte für Frösche, Eidechsen, Vögel gegeben.

Und die Tiere haben mitgemacht! Ich habe mal ein 24-Stunden-Konzert im Waldviertel in Österreich gegeben, und in der Morgenstunde kamen die Vögel dazu. Die haben reagiert auf das, was ich gespielt habe, und ich habe reagiert auf das, was sie gesungen haben.

Die "FAZ" nannte Ihre Musik einmal "Klangmassagen". Einverstanden?

Ein Hörer schrieb, dass meine Musik seine Dauermigräne beseitigt habe - nicht schlecht, oder? Ich bekomme viel Post von Leuten, die mir sagen, wie heilsam die Klänge auf ihre Seelen wirken. Es ist mein Harmoniebedürfnis in Musik gefasst.

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, am Anfang Ihrer musikalischen Arbeit seien Sie "krank geworden von meinen eigenen Tönen".

Ich habe so herumexperimentiert, dass ich mich selbst beschädigt habe. Monatelang hatte ich Bauchschmerzen, als ich mit dem MS-20 experimentiert habe, ein analoger Synthesizer, mit dem man in die tiefsten Tiefen der Hölle gehen kann. Da musste ich rein. Dann habe ich mich eines Tages von dem Ding abgewendet und Klavier gespielt - und von Stund an ging es besser.

Ist Ihre Musik ein Gegenpol zu diesem Leben voller Krieg, Flucht, Gefängnis? Innere Harmonie statt äußerem Chaos?

Ich habe so ein großes Bedürfnis nach Balance. Ich bin einfach ein unverbesserlicher Romantiker. Nur Kunst und Wissenschaft können die Welt vor dem Chaos retten. Ob das mein persönliches Programm ist, vorgegeben von dem da oben oder von der Schöpfung, weiß ich nicht, ist auch völlig wurscht. Es ist einfach so und ich folge dem willig. 

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