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Idol. Kanzleramtsminister Peter Altmaier.

© Illustration: Uli Knörzer

Haltungsfragen: Ich wäre gerne uncool und unironisch. So wie Peter Altmaier

Dieser Mann ist der Klassensprecher der Politik - langweilig, aber er verändert die Welt zum Guten. Fabian Federl findet: das perfekte Idol.

Vor zwei Jahren, auf den Stufen der Volksbühne: Wir waren noch ganz beflügelt vom Widerstandsgeist der Vorstellung, tranken Spätibier und stritten über die eben gehörten Thesen. Über die Entflechtung von Freiheit und Liberalismus, dem „unüberschreitbaren Horizont unserer Zeit“. Kleiner hatten wir's nicht. In barocker Weltbeschimpfung probten wir die Dissidenz, planten die ganz große Rebellion. Dann zogen wir uns die Mäntelkragen in den Nacken und gingen durch die Herbstkälte nach Hause - wir hatten alles durchschaut.

Seit jenem revolutionären Abend trat eine Freundin in die SPD ein und besuchte kein einziges Treffen. Eine andere vergaß auf dem Weg in den Schweden-Urlaub ihre Wahlunterlagen zu Hause. Und ich habe mir von drei verschiedenen Parteien Beitrittsformulare zuschicken lassen. Und dann versehentlich mit alten Zeitungen ins Altpapier geworfen.

Gefühlte und gespielte Unzuständigkeit

Und immer, wenn wir wieder darüber sprachen, verteidigten wir nicht unsere Faulheit oder rechtfertigten sie, sondern wir entfernten uns ironisch davon. Wir seien halt jene „Kellerbewohner“, wie Hillary Clinton alle nach 1980 Geborenen nannte. Als „narzisstisch, verschwenderisch und gierig“ charakterisierten uns Sozialforscher. Unsere politischen Ansichten „ergeben keinen Sinn“, schreiben Magazine. In Zeiten, in denen eine gruselige „schweigende Mehrheit“ ihre Herrschaftsansprüche geltend macht, Länder spaltet und pöbelnde Präsidenten wählt, beschweren wir uns, dass die Alten uns Jungen die Welt kaputtmachen. Anstatt wirklich wählen zu gehen.

Diese gefühlte und gespielte Unzuständigkeit ist ein Gewächs jener distanzierten Coolness, die schon immer mit Ironie verwoben war, in nahezu allen Subkulturen der vergangenen Jahrzehnte. Bei Beatniks, Punks, Grungern, Hipstern. Man war cool, wenn man sich selbst und alles andere nicht so ernst nahm, über den Dingen schwebte. Uncool, das waren die, deren Überzeugung nackt im Raum stand, die das Faktische verwalteten: Klassensprecher, Jungpolitiker, AStA-Kader.

Kein deutscher Politiker verkörpert diesen Typus wie Peter Altmaier. Altmaier ist Deutschlands Klassensprecher. Die helfende Hand der Lehrerin. Er zeigt keine Steinbrück-Gabriel-Mittelfinger. Er wirkt sogar neben seiner Chefin nüchtern.

Auf dem Schulhof warten die sozialen Alphas

Altmaier ist 58 Jahre alt, zu seinen Hobbys gehören Bismarck und Antiquitäten. Er ist nicht gut gekleidet, spricht oft unnatürlich laut. Wenn er seinen Körper auf die Bühne wirft, dauert es nicht lange, da wischt er sich mit einem weißen Stofftaschentuch die Glatze. Der Kanzleramtschef organisiert „praktische Regierungsarbeit möglichst geräuschlos“ („Focus“), er ist „ein wandelnder Vermittlungsausschuss“ („FAS“). Sein Motto: „Dienst ist Dienst“ (“FAZ“).

Peter Altmaier erinnert mich an einen Klassenkameraden, der sich an Diskussionen immer engagiert beteiligte und nach der Stunde mit dem Lehrer noch weiter diskutierte. Nicht, um auf sich aufmerksam zu machen, sondern weil ihn das Thema interessierte. Der Besserwisser, mit einem etwas zu ernsthaften Interesse an der Sache. Und auf dem Schulhof warteten die sozialen Alphas und lachten ihn aus.

Über kaum einen Politiker werden so viele Witze gemacht wie über Peter Altmaier, Übergewicht, Sprachfehler, es ist ja auch einfach. Kürzlich sah ich auf YouTube ein altes Video von Deutschlands Obersatiriker Martin Sonneborn. Für seine - natürlich ironisch betitelte - Sendung „Sonneborn rettet die Welt“ traf er sich mit Altmaier in dessen Büro (ab Minute 3:45).

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Altmaier steht da wartend im Raum herum, als die Kamera reinschwenkt. Sonneborn fordert ihn auf, mit ihm CO2-Zertifikate zu verbrennen, um so deren Preis in die Höhe zu treiben. Altmaier fragt erst einmal, ob die Zertifikate echt seien. Dann kommentiert er den Preis von CO2, das Verbrennen verweigert er mit Verweis auf den Brandschutz. Als Zuschauer fühlt man, wie Sonneborn sich viel mehr versprochen hatte, einen Ausrutscher, einen unbedachten Kommentar oder zumindest die Bilder, wie Altmaier in seinem Büro herumkokelt. Aber nichts da. Sonneborns Jetzt-mach-doch-mal-mit-Lächeln versendet sich, prallt ab an Altmaiers höflicher, aber bestimmter Art. Ein Fels der Ernsthaftigkeit, der physischen, rhetorischen, strategischen Unerschütterlichkeit.

Eindeutigkeit zulassen und umsetzen

Als Peter Altmaier 1993 zum „Generalsekretär der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer“ ernannt wurde erschien in den USA gerade David Foster Wallaces „E Unibus Pluram“. Darin skizzierte der Autor die Notwendigkeit des „neuen Rebellen“ in einer durchironisierten Welt. Einen, der „die kindliche Frechheit besitzt, Eindeutigkeit zuzulassen und umzusetzen“. Der neue Rebell erträgt das Gähnen und die schiefen Blicke. Gelächter prallt an ihm ab, seine Aufgabe wird nicht durch Coolness, Verfremdung und Distanz verwässert. Seine Aufgabe ist seine Aufgabe, Punkt.

Daran will ich mir ein Beispiel nehmen. Die nächste Diskussionsreihe an der Volksbühne heißt „Ordnung und Anarchie“. Wir werden wohl wieder auf den Stufen vor dem Theater sitzen und pompös vor uns hin diskutieren. Diesmal aber werde ich aufstehen, mit dem Feuerzeug gegen die Flasche klopfen, mir Aufmerksamkeit erräuspern und rufen: „Ich habe mir wieder Beitrittsformulare zuschicken lassen!“

Fabian Federl, geboren 1987 in München, ist freier Journalist und Übersetzer. Sein Text ist gedruckt in unserem Magazin "Tagesspiegel Berliner" erschienen, das Sie hier kostenlos online lesen und herunterladen können.

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