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Tourismus und Zeltstädte: Strände und Parks, aber zu wenig Häuser für die Haitianer

Haiti hat schöne Strände und schicke Hotels, aber es wohnen auch noch 279 000 Opfer des Erdbebens und der Tropenstürme in Zelten

Er ist nicht mehr da, aber es ist noch etwas da - und das ist grün. Der Platz, auf dem einmal Haitis Präsidentenpalast stand, ist wohl das Sinnbild für den Zustand des Landes dreieinhalb Jahre nach dem verheerenden Erdbeben am 12. Januar 2010. Das Bild von dem weißen Ungetüm, dessen mächtige Kuppel auf den Trümmern des Gebäudes thronte, ging um die Welt. Gegenüber auf dem Platz entstand eines der vielen Zelt-Camps, in die sich rund 1,5 Millionen Menschen flüchteten, die die Katastrophe obdachlos gemacht hatte. 222 000 Haitianer starben, 300 000 wurden verletzt. Die ganze Welt versprach riesige Summen an Hilfsgeldern, hunderte internationale Organisationen kamen ins Land, einige selbsternannte Helfer suchten das Land regelrecht heim.

Die Camps sollen weg

Nun also das: grünes Nichts. Die Palastreste hat der US-Schauspieler Sean Penn gegen nicht näher definiertes „kleines Geld“ mit seiner Stiftung abtragen lassen. Im Sommer 2013 präsentiert sich das Gelände hinter einem picobello gestrichenen grünen Zaun, der von innen mit grüner Gaze verkleidet ist. Schiebt man das Netz ein wenig zur Seite, fällt der Blick auf Palmen, Masten mit gehissten Staatsflaggen – und gepflegten Rasen. Diplomaten sagen, er wird regelmäßig gewässert, denn ab und zu werden hier in praller Sonne offizielle Feierlichkeiten veranstaltet. Das Camp gegenüber ist verschwunden, so wie die meisten anderen auf den prominenten Plätzen. Einige wurden, wohl mit Billigung von Präsident Michel Martelly, gewaltsam geräumt. Es gibt aber bis heute viele kleinere und einige große Lager. Manche haben die 650 Dollar von der Regierung genommen und eine Wohnung gemietet. Viele Menschen leben inzwischen in Übergangshäuschen aus Holz, die ihnen internationale Organisationen gebaut haben.

Rum wird auch in Haiti gern getrunken. Und es gibt guten einheimischen, der auch im Ausland einen guten Namen hat. Und längst gehören riesige Werbetafeln zum Straßenbild in der Hauptstadt. Auch der Rum Barbancourt wird kräftig beworben.
Rum wird auch in Haiti gern getrunken. Und es gibt guten einheimischen, der auch im Ausland einen guten Namen hat. Und längst gehören riesige Werbetafeln zum Straßenbild in der Hauptstadt. Auch der Rum Barbancourt wird kräftig beworben.

© Ingrid Müller

Präsident Martelly verbreitet Optimismus

An den Laternen längs der Straße vor dem ehemaligen Palast lässt sich „Sweet Micky“ Martelly, früher Sänger und heute Präsident, auf pink-weißen Plakaten als Held feiern. Dort heißt es „Haiti Ap Vanse“, sinngemäß „Haiti, es geht aufwärts“. Die Schilder tauchten überall in der Stadt auf, nachdem der politische Rivale, Ex-Diktator Jean-Bertrand Aristide, heftige Kritik an der Regierung geübt hatte.  

Rund um den Champs de Mars versperren rote und graue Wellblechzäune den Blick auf Baustellen. Nichts mehr deutet auf die Behausungen aus Planen hin, die hier eng an eng standen. Heute sind die Steinplatten Ausstellungsfläche für  junge Männer mit Sonnenbrillen und Turnschuhen, die in bester Beach-Boy-Manier Schnitzereien und naive Bilder feilbieten. Natürlich auch vom früheren Palast.

Ist Haiti, das ärmste Land der westlichen Welt, inzwischen ein Touristenziel?

Die Regierung in Port-au-Prince hätte das gern und tut viel für dieses Bild. Direkt nach der Landung auf dem neuen Flughafen spielt eine karibische Steelband auf, Reisende bekommen die druckfrische Hochglanzbroschüre „Magic Haiti“:  Wasserfall und türkise Lagune auf dem Titel inklusive.

Wer Geld hat, lebt gut

Wer Geld hat, kann es sich längst wieder gut gehen lassen: Ob Einkauf im international sortierten Supermarkt, Drinks und Live Musik in der Bar mit Blick über den kunstvoll renovierten Place Boyer, übernachten im komfortablen Hotel, alles ist möglich. Im besseren Vorort Petionville über der Stadt warten Beherbergungspaläste mit klangvollen Namen: das Best Western mit dem Airportshuttle für 50 Dollar, das Royal Oasis mit vier Bars und Restaurants, das Kinam am Place St. Pierre, das wohlige Fachwerkidylle ausstrahlt und gerade einen großen Anbau bekommt, das Karibe etwas weiter oben, in dem Ex-Diktator „Baby Doc“ Duvalier nach seiner Rückkehr 2011 logierte. Das Haus bietet auch Zimmer für 400 Dollar die Nacht an, plus Steuer plus zehn Dollar für Energie – anderswo in der Stadt ist die Energieversorgung ein Problem. Der Pool des Karibe ist am Wochenende das Freibad all der gut bezahlten Angestellten, die  nicht ein paar Stunden aus der Stadt fahren wollen, um sich an einem der Privatstrände verwöhnen zu lassen und auf Jetski über die Wellen zu knattern. Für ein paar Stunden ist die Ile a Vache, deren Abaka Bay Beach auf Platz 57 der Strandhitliste von CNN steht, ohnehin zu weit.

Haiti hat viele Gesichter. Die Regierung wirbt für die schönen Seiten wie die Strände. Die Probleme des Landes sind allerdings auch dort meist nicht zu übersehen.
Haiti hat viele Gesichter. Die Regierung wirbt für die schönen Seiten wie die Strände. Die Probleme des Landes sind allerdings auch dort meist nicht zu übersehen.

© Ingrid Müller

Mausert sich auch der zweite Staat auf der Insel Hispaniola, die viele Deutsche für einen Urlaub in der Dominikanischen Republik so schätzen? Ein Blick auf die Seite des Auswärtigen Amtes zeigt eine andere Realität: „Vor Reisen nach Haiti wird gewarnt“. Kriminalität, Entführungen, rudimentäre Infrastruktur. Und in der deutschen Botschaft in Port-au-Prince raten sie dringend selbst von einem Stopp im wunderbar in rot und grün restaurierten Eisenmarkt von 1889 im Hafenviertel ab: „höchstens vorbeifahren“.

Zwei Welten an einer Straße. Rechts der nobel hergerichtete Eisenmarkt von Port-au-Prince, auf der anderen Seite verkaufen die Händler ihre Waren weiter in Ruinen.
Zwei Welten an einer Straße. Rechts der nobel hergerichtete Eisenmarkt von Port-au-Prince, auf der anderen Seite verkaufen die Händler ihre Waren weiter in Ruinen.

© Ingrid Müller

Das hat seinen Grund. Die mit Hilfe des Mobilcomriesen Digicel sanierten Markthallen, in denen die Verkäufer jeden der raren Besucher umgarnen, stehen in einem Teil der Stadt, in dem der Alltag noch immer in surreal anmutenden Ruinen und Baulücken stattfindet: Eine Frau lässt sich zwischen rostenden Boxen und weggeworfenen Styroportellern frisieren, in Gebäuden, aus denen verbogene Eisenstangen ragen, die ehedem einen beim Beben weggerissenen Teil des Hauses hielten, werden Bananen, Mangos, Uhren, Lampen, Bilder und Handykarten verkauft. In dieser Gegend leben viele Arme, Gangs streiten um die Vormacht in den Vierteln rund um den Hafen. Da kann es vorkommen, dass es plötzlich einen dumpfen Knall gibt und ein heller Blitz aufleuchtet. Mündungsfeuer? Hat da jemand geschossen? Keiner weiß es – aber alle rennen sofort los. Sie fragen nicht, sondern bringen sich lieber schnell in Sicherheit. Gewalt gehört in Teilen des Landes zum Alltag.

Dies gilt auch für viele der 279 000 Menschen, die noch immer in Zeltlagern leben. Seit Anfang 2013 nahm der Druck auf sie zu, weil die privaten Grundbesitzer ihr Land zurück verlangen. Die großen Plätze in Port-au-Prince – wie der gegenüber vom ehemaligen Palast – sind inzwischen auch keine Lager mehr, sondern wieder frei. Einige sind inzwischen sogar künstlerisch gestaltete Parks und frequentierte Treffpunkte. Manche der Camps wurden allerdings gewaltsam geräumt.

Die Ruine der Kathedrale ist zugemauert

Ein paar Ecken an der Kathedrale haben sie die meisten losen Teile inzwischen abgeschlagen, die Zugänge zugemauert. Drumherum horten auf der einen Seite Sammler abertausende Plastikflaschen in überdimensionalen Säcken, auf der anderen Seite ist in einem Hof eine provisorische Kirche eingerichtet worden. Junge und Alte kommen gleichermaßen, alle sind zurechtgemacht im Sonntagsstaat.

Ein ziemlich trauriges Bild bietet Leogane auch heute noch. Dort lag das Epizentrum des Bebens. Dröhnend asphaltieren große Maschinen Straßen, der zentrale Platz liegt hinter Bauzäunen, hier entsteht ein Versammlungsort mit einer überdachten Bühne, die an eine Tankstelle erinnert. Rundrum wachsen die Bäume aus den Dächern zusammengefallener Häuser, an einer Ecke verkauft ein Mann Maiskolben vom Grill, ein Stück weiter gibt es in der Ruine der Arkaden Obst, junge Leute treffen sich hier mit ihren Mopeds.

Ein Altar auf einem weiten, leeren Platz

Die Kirchenmauern an dem Platz, die nach dem Beben einem sich aufbäumenden Gerippe glichen, haben sie abgerissen. Der gekachelte Fußboden liegt heute unter freiem Himmel, darauf steht mahnend wie einsam der golden verzierte Altar. Von jenseits der Mauer zum nächsten Garten klingen Kirchenlieder herüber. Davor steht die massive Glocke. Neben dem Altar im ehemaligen Kirchenschiff ein schwarzer Leichenwagen, ein „Paradis“. An Symbolbildern mangelt es nicht in Haiti.  

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