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Ein Luftbild vom Ringheiligtum Pömmelte.

© LDA Sachsen-Anhalt; M. Zirn

Archäologie in Deutschland: Neue Entdeckungen beim Stonehenge von Sachsen-Anhalt

Am Ringheiligtum von Pömmelte wird weiter gegraben. Mit etwa 50 Langhäusern entdeckten Archäologen die wohl größte frühbronzezeitliche Siedlung Mitteleuropas.

Stonehenge ist den meisten von uns ein Begriff – aber Pömmelte? Dabei kann es das 1991 durch Luftbildaufnahmen entdeckte Ringheiligtum bei Pömmelte-Zackmünde südlich von Magdeburg, nahe der Elbe, durchaus mit Stonehenge aufnehmen.

Seit 2016 kann man die Bedeutung von Pömmelte auch als Laie erfassen, denn damals hatte sich das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt entschlossen, das Ringheiligtum originalgetreu zu rekonstruieren und die Holzpfähle wieder in die freigelegten Pfostenlöcher einzusetzen.

Von außen betrachtet wirkt das Ringheiligtum zunächst wie ein Fort aus der Pionierzeit des Wilden Westens. Kahle, aber geglättete und oben abgerundete Baumstämme bilden einen gewaltigen runden Palisadenzaun.

Erst der Blick vom neun Meter hohen Aussichtsturm lässt den Besucher begreifen, warum man Pömmelte mit Stonehenge vergleichen kann. Aufbau, Größe und Alter entsprechen der Anlage auf der britischen Insel. Das Ringheiligtum wurde um 2300 vor Christus errichtet, der Durchmesser beträgt 115 Meter wie in Stonehenge und die vier Zugänge in vier Himmelsrichtungen sind nach den sogenannten Mitviertel-Festen zum Beginn der Jahreszeiten im März, Juni, September und Dezember ausgerichtet.

Eine neue Grabungskampagne ist bis Ende 2020 finanziert

Einziger Unterschied: In Pömmelte wurden damals Eichenstämme verwendet, da es weit und breit keinen Steinbruch gab, erzählt Franziska Knoll vom Institut für Kunstgeschichte und Archäologie Europas – Prähistorische Archäologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2018 betreut sie hier die zweite große Grabungskampagne seit der Ersterschließung von 2005 bis 2008.

[Lesen Sie auch unsere Berichte zu den neuesten Entdeckungen rund um Stonehenge: Herkunft der Sarsen-Steine geklärt und Das Rätsel des heiligen Bezirks]

Für die Rekonstruktion hat man allerdings Robinienstämme benutzt, deren unterirdischer Teil entsprechend behandelt wurde. Eiche könnte man heute nicht mehr bezahlen. Das jetzige Grabungsprojekt, das die Siedlung rund um das Heiligtum erkundet, wird bis Ende 2020 von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien und dem Land Sachsen-Anhalt gefördert.

Der Anblick der Anlage vom Turm aus ist faszinierend und rätselhaft zugleich. Ein äußerer Kranz aus naturbelassenen geschälten Pfosten umgibt einen Ringgraben, bestehend aus einzelnen Gruben. Es folgt ein Kreisgraben mit innen liegender dicht gestellter Palisade. Davor befindet sich ein Erdwall.

Im Innern des Heiligtums sieht man zwei weitere locker gestellte Pfostenkränze. Vom Kreisgraben an gemessen beträgt der Durchmesser immer noch 80 Meter. Die Durchgänge befinden sich jeweils im Nordwesten, Nordosten, Südosten und Südwesten.

Farbtupfer in der Anlage sind die rot gestrichenen Tore, die mit einem Querbalken gebildet werden, der mit Seilen mit den Pfosten verbunden ist. Die Tore und einzelne Pfosten sind mit Ornamenten verziert, im Innern des Kreises stehen acht mannshohe Stelen aus Holz, die ebenfalls Verzierungen zeigen.

Pfeil und Bogen sind oft zu erkennen, Kreise, Rastermuster. Aber woher weiß man das, wenn sich organisches Material so lange nicht erhält? „Die Ornamente haben wir bekannten Glockenbecherstelen aus Südfrankreich nachempfunden“, erzählt Franziska Knoll. Die „Bauern“ der Bandkeramik waren die Ersten, die im 6. Jahrtausend vor Christus in Pömmelte auf dem fruchtbaren Schwarzerdeboden der Magdeburger Börde siedelten.

Geschnürte Tore? So müsste es gewesen sein

Das Kunststück für Archäologen bei einer jungsteinzeitlichen/frühbronzezeitlichen Anlage besteht darin, ohne schriftliche Quellen möglichst viele Informationen aus den Objekten, den archäologischen Befunden, dem Boden, den Pflanzenresten sowie aus den Knochen zu ermitteln. Rot war in dieser Zeit eine gängige Farbe, mineralische Pigmente wie Hämatit für Rot und Ocker für Gelb, Kalk für Weiß sowie Holzkohle und Mangan aus dem Harz für Schwarz lassen sich nachweisen.

Die Träger mit den Schnüren seien frei interpretiert, gibt Knoll zu, aber wie sollen die Menschen der Glockenbecherkultur von 2500 bis 2200 vor Christus die Tore sonst montiert haben?

Zu dieser Zeit ist die Elbe nahe an dem Ringheiligtum vorbeigeflossen, eine Analogie zum Fluss Avon in der Landschaft von Stonehenge. Die Elbe erleichterte den Transport und die Anreise zu dem Heiligtum, das gewiss eine überregionale Bedeutung hatte.

In den Schächten wurden Verletzte rituell bestattet

In den Schachtgruben im Wall vor dem Palisadenzaun fanden die Archäologen ganz unten eine noch unbekannte organische Basis. Darauf lagen Mahlsteine, Töpfe, Trinkgefäße, abgenutzte Steinbeile oder gar Teilbestattungen von Menschen mit Verletzungen. Diese seien „perimortal“, also um den Tod herum, ob die Verletzung die Ursache für den Tod war oder nachträglich zugefügt wurde, ist noch unklar. „Eine Schachtgrube repräsentiert wohl ein Ritual, das im Heiligtum stattgefunden hat“, vermutet Knoll. Die zerstörten Gegenstände mussten beerdigt werden, da sie nach dem Ritual nicht noch einmal benutzt werden durften.

Gräber finden sich auch um das Heiligtum, heute deuten nur noch die Ringgräben darauf hin. In der Rekonstruktion zeigen jeweils weiße Steinplatten mit einem Skelettrelief in Embryostellung, wo die Gräber waren. Früher deckte aber ein Grabhügel die Stätte zu, sodass der Oberflächeneindruck mit vielen Grabhügeln damals ein ganz anderer war. Bei Schönebeck rund 1,5 Kilometer von Pömmelte entfernt hat man Anfang der 90er Jahre ein zweites Ringheiligtum mit etwa 80 Metern Durchmesser entdeckt. Es weist große Ähnlichkeiten zum – allerdings viel größeren – Heiligtum von Durrington Walls bei Stonehenge auf, um das herum man kürzlich einen Kreis von Schachtgruben entdeckt hat. Das Heiligtum von Schönebeck wurde 2011 zu 75 Prozent ausgegraben und ist auf 2150 vor Christus datiert.

Pfosten, die in Totenköpfen enden, und eines der geschnürten Tore in Pömmelte.
Pfosten, die in Totenköpfen enden, und eines der geschnürten Tore in Pömmelte.

© Rolf Brockschmidt

Schachtgruben hat man nicht hier, sondern in Pömmelte ausgegraben, vermessen und erforscht – etwas, wovon die englischen Archäologen noch träumen, denn so leicht bekomme man keine Grabungsgenehmigung in England. Daher kämen die Studierenden der Partneruniversität von Southampton sehr gerne nach Pömmelte, um bei der Grabung Praxiserfahrung zu sammeln. Doch die Pandemie hat diese Pläne für dieses Jahr durchkreuzt.

Aber Pömmelte ist mehr als nur ein Ringheiligtum. Nachdem man das Gelände weiträumig geophysikalisch untersucht hatte, rückten 2018 die Bagger an, um mit den Grabungen des Umfelds zu beginnen. Ziel war und ist es, die Besiedlung am Rande des Heiligtums zu erkunden. Es sieht martialisch aus, wenn der Bagger mit seiner großen Schaufel über den Boden schabt und das Planum, die fruchtbare oberste Bodenschicht, die landwirtschaftlich genutzt wird, entfernt. „Die Baggerführer haben das im Gefühl, sie spüren den Unterschied und gehen nicht zu tief. Ja, sie schärfen sogar extra die Kante ihrer Schaufel, um präziser zu graben“, sagt Knoll.

Größte frühbronzezeitliche Siedlung Mitteleuropas

Etwa 50 Langhäuser, davon einige aus der Glockenbecherkultur und die meisten aus der darauffolgenden Aunjetitzer Kultur (erstmals in Böhmen entdeckt), konnten bisher nachgewiesen werden. Damit kann Pömmelte schon jetzt als größte frühbronzezeitliche Siedlung Mitteleuropas gelten.

Kürzlich wurde am Rande des Untersuchungsgebiets ein neues Haus entdeckt, das ganz anders ausgerichtet und mit zwei Apsiden versehen ist, was einem Typus entspricht, den man aus der nordischen Bronzezeit kennt und der nach einer Pause zwischen 1400 und 1100 vor Christus hier auftaucht.

Aktuell zu sehen ist eine rechteckige Grube, gerade ganz frisch abgebaggert, vielleicht 40 Zentimeter tief. Metallstäbe markieren die Pfostenlöcher, rundherum ist jeweils ein roter Kreis gesprüht. Deutlich sichtbar wird die mittlere Pfostenreihe sowie die Rundung der Apsis.

Grafik, auf der die neuen Funde rund um Durrington Walls eingezeichnet sind.
Rund um Durrington Walls bei Stonehenge entdeckten Archäologen einen Kreis von tiefen Schächten.

© University Of Bradford/Handout via REUTERS

„Eigentlich wollten wir hier aufhören, da die Funddichte abnahm, doch der Grabungsleiter wollte noch einen letzten Versuch unternehmen – und fand wieder Pfostenlöcher“, berichtet Knoll. Manchmal helfe der Zufall.

Der Arbeitsaufwand ist immens, den Knoll mit ihren Kollegen und einer Gruppe aus erfahrenen und weniger erfahrenen Studierenden unternimmt: Jedes markierte Pfostenloch wird eingemessen, für weitere chemische und botanische Untersuchungen beprobt und ein Schnitt durch das Loch angelegt.

Suche nach Verbindungswegen

Bei einem der neu entdeckten Häuser fanden die Archäologen eine tiefe Grube. Ein Brunnen? Die Idee verwarfen die Forschenden bald: Im Schnitt zeigt sich ganz unten ein Holzboden, darüber noch einer, nur breiter. Später wurde das Loch verfüllt, vermutlich ein Erdkeller.

Hier fanden die Archäologen Muschelschalen: Das deutet auf Nahrung, aber auch auf eine Grundlage für das Brennen von Kalk. Ein in den Boden eingelassenes Vorratsgefäß spricht für die Kellerthese. Es gab aber auch große Vorratsgruben, etwa einen halben Meter tief, in denen Getreide gelagert wurde. Die Oberfläche verschimmelt und konserviert damit den Rest des Getreides.

Eine Archäologin steht am Rand einer Grabung, in deren Querschnitt eine große Ausbuchtung zu sehen ist.
Franziska Knoll deutet auf eine Ausbuchtung, in der ein vollständiges Vorratsgefäß entdeckt wurde.

© Rolf Brockschmidt

Die jetzigen Grabungen konnten eine mehr oder weniger konstante Besiedlung von der jungsteinzeitlichen Baalberger Kultur im 4. Jahrtausend vor Christus über Befunde der Schnurkeramik-Kultur, die aus der circumpontischen Steppe stammt, Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr., bis zur Aunjetizer Kultur nachweisen.

Warum Pömmelte 2050 vor Christus abgebrannt und um 1950 vor Christus endgültig aufgegeben wurde, ist noch nicht klar. Auch ist noch nicht erforscht, wo der Weg lag, der zu dem Ringheiligtum von Schönebeck führte. Franziska Knoll vermutet ihn entlang des im letzten Jahr entdeckten Gräberfeldes der Glockenbecherkultur, aber dies werden künftige Grabungen zu beweisen haben. Gegraben wird dieses Jahr noch bis Anfang November.

Die Funde werden täglich gesichert, auf dem nahe gelegenen Modellflughafen gewaschen und dann ins Museum gebracht. Während der Wintermonate wartet dann die Aufarbeitung der Funde wie Keramik, Knochen, Knochenwerkzeuge und Steinbeile auf die Archäologinnen und Archäologen.

Im kommenden Jahr ist für den 4. Juni die Landesausstellung „Die Welt der Himmelscheibe von Nebra. Neue Horizonte“ in Halle in Kooperation mit dem British Museum geplant, die Bezüge zwischen Stonehenge und der Welt der Himmelsscheibe von Nebra herstellen wird. Ebenfalls 2021 soll in Pömmelte ein Besucherzentrum eröffnen – gebaut aus Holzpfosten und Stampflehm.

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